In aller Kürze:
- Ab 1. Juni 2023 gilt das neue Vertriebskartellrecht auch für Verträge, die vor dem Juni 2022 zwischen Händler:innen und Hersteller:innen abgeschlossen wurden.
- Vereinbarungen, die bisher legal waren, können ab dann rechtswidrig sein.
- Unveränderte Verträge können Bußgelder nach sich ziehen.
- Daher: Unbedingt Verträge überprüfen (lassen)!
Das Kartellrecht betrifft nur große Unternehmen? Das stimmt so nicht: Auch kleine und mittelständische Händler:innen sollten sich mit dem Thema auseinandersetzen, denn: Oftmals schließen sie Verträge mit herstellenden Unternehmen und Lieferanten. Gerade solche Verträge sind kartellrechtlich nicht nur interessant – sondern müssen mit Hinblick auf das Ablaufen einer Übergangsfrist auch von „den Kleinen“ überprüft werden.
Diese Frist läuft ab
Die Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Beschränkungen, auch "Vertikal-GVO" genannt, ist ein Regelwerk in Europa, das bestimmte Abmachungen zwischen Unternehmen erlaubt, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen. Diese Abmachungen betreffen Unternehmen, die auf verschiedenen Stufen der Herstellung oder des Vertriebs tätig sind. Unternehmen sind in aller Regel selbst dafür verantwortlich, zu prüfen, ob eine Vereinbarung unter das Kartellrechtsverbot fällt. Und das ist im Einzelfall häufig sehr komplex, auch da die Vorgaben sehr allgemein gehalten sind. Gruppenfreistellungsverordnungen schaffen praktische Vereinfachungen, indem sie diese allgemeinen Vorgaben konkretisieren und bestimmte Fälle damit vom grundsätzlichen Verbot ausnehmen.
Zusammen mit der Vertikal-GVO wurden die Vertikalleitlinien 2022 eingeführt. Diese sind bedeutend für Verträge, die nach diesem Zeitpunkt abgeschlossen wurden. Es gab jedoch eine Übergangsfrist von einem Jahr für Verträge, die vor Juni 2022 geschlossen wurden, wie zum Beispiel langfristige Vertriebs- oder Bezugsverträge. Diese Übergangsfrist endet Ende Mai 2023.
Ab dem 1. Juni 2023 gilt das neue Vertriebskartellrecht auch für diese älteren Verträge. Das bedeutet, dass man jetzt auch für diese Verträge die neuen Regeln kennen und gegebenenfalls Anpassungen vornehmen muss, um das rechtliche Risiko zu minimieren. Es ist also wichtig, die neuen Vorschriften zu verstehen und sicherzustellen, dass sie mit den bestehenden Verträgen übereinstimmen.
Wir haben uns mal angeschaut, was das genau bedeutet.
Was ist eine vertikale Beschränkung?
Man stelle sich vor, ein Unternehmen stellt Fahrzeuge her, die wiederum durch andere Unternehmen verkauft werden. Bei solchen Konstellationen treffen die Unternehmen oftmals Vereinbarungen miteinander. Zum Beispiel könnte das herstellende Unternehmen darauf bestehen, dass das abnehmende Unternehmen ausschließlich seine Fahrzeuge verkauft.
Solche Vereinbarungen zwischen verschiedenen Unternehmen auf verschiedenen Stufen der Wirtschaft werden "vertikale Wettbewerbsbeschränkungen" genannt. Sie sind anders als Vereinbarungen zwischen gleichrangigen Unternehmen, die "horizontale Wettbewerbsbeschränkungen" genannt werden.
Die Vertikal-GVO ist eine wichtige Regelung, die dafür sorgt, dass diese Vereinbarungen zwischen Herstellern und Händlern legal sind, solange sie bestimmte Regeln einhalten. Ohne diese Regelung wäre es viel schwieriger für Hersteller und Händler, ihre Zusammenarbeit zu organisieren. Normalerweise sind Vereinbarungen, die den Wettbewerb einschränken, verboten. Zum Beispiel könnte es kritisch sein, wenn ein Automobilhersteller diktiert, dass seine Neuwagen nur an autorisierte Wiederverkäufer weiterverkauft werden dürfen. Ein generelles Verbot solcher Vereinbarungen ist aber nicht unbedingt sinnvoll. Zum Beispiel schützen solche Absprachen die Investitionen der Hersteller:innen und Händler:innen und sorgen dafür, dass sie effizient zusammenarbeiten können, was letztendlich der Kundschaft zugutekommt.
Die Vertikal-GVO stellt also einen rechtlichen Rahmen dar, der sicherstellt, dass Hersteller und Händler fair zusammenarbeiten können und dass der Wettbewerb geschützt wird.
Wie vertikale Beschränkungen dennoch legal sein können
Die Vertikal-GVO ist eine wichtige Regelung für Hersteller und Händler. Sie erlaubt ihnen, im Sinne der Vertragsfreiheit Vereinbarungen zu treffen, ohne gegen das Kartellrecht zu verstoßen.
In einfacheren Worten bedeutet das: Kontrolliert weder die eine Partei, noch die andere, 30 Prozent des Marktes, so kann der Vertrag von der Freistellung profitieren. Händler:innen und Hersteller:innen dürfen dann Vereinbarungen treffen, die sonst kartellrechtlich schwierig werden. Die Voraussetzung ist allerdings, dass die Vereinbarungen von der GVO erfasst sind und keine sogenannten Kernbeschränkungen enthalten. Werden Vereinbarungen getroffen, die so nicht in der GVO vorgesehen sind, oder sind Kernbeschränkungen enthalten, so ist der Vertrag womöglich rechtswidrig und ein Bußgeld kann die Folge sein. Hier muss dann geprüft werden, ob die Regelung im konkreten Einzelfall vielleicht doch mit dem Kartellrechtsverbot vereinbar ist.
Überschreitet eine der Parteien die 30-Prozent-Marke, so müssen sie belegen, dass der Vertrag das Kartellrechtsverbot nicht erfüllt. Wenn sie das nicht beweisen können, ist der Vertrag nicht erlaubt und es drohen hohe Strafen.
Warum ist das auch für Händler:innen wichtig?
Auch wenn die Verträge in der Praxis oftmals von Lieferanten- und Herstellerunternehmen vorgegeben werden, müssen auch Händler:innen genauer hinschauen: „Das gilt prinzipiell aus Hersteller- und Händlersicht, da auch Händler sich prinzipiell an einem Kartellrechtsverstoß beteiligen, wenn sie kartellrechtswidrige Geschäftspraktiken eines Herstellers akzeptieren“, schreibt dazu der auf Kartellrecht spezialisierte Rechtsanwalt Dr. Nils Ellenrieder in seinem Beitrag.
Das steht drin
Gebiets- und Kundenkreisbeschränkungen
Nach den alten und neuen Regeln der Vertikal-GVO gilt die Beschränkung der Gebiete oder Kundschaft als Kernbeschränkung. Solche vertraglichen Beschränkungen dürfen also nun grundsätzlich nicht mehr in Verträgen vorkommen. Allerdings sieht das neue Vertriebskartellrecht auch Ausnahmen und Regeln für den Online-Handel vor.
Unter den neuen Regeln ist es zum Beispiel verboten, das Internet als Vertriebskanal komplett zu verbieten. Es gibt auch andere Vorschriften, die darauf abzielen, Händler:innen daran zu hindern, das Internet effektiv zu nutzen, um ihre Produkte online überall oder in bestimmten Gebieten zu verkaufen. Es ist wichtig, diese Vereinbarungen oder Vertriebspraktiken zu überprüfen, um sicherzustellen, dass sie mit den neuen Regeln übereinstimmen.
Einige Beispiele für rechtswidrige Beschränkungen im Online-Vertrieb sind:
- Vereinbarungen, die darauf abzielen, Online-Verkäufe zu reduzieren oder zu erschweren.
- Verbote der Nutzung von Suchmaschinen, Preisvergleichsportalen oder des eigenen Online-Shops.
- Anforderungen, dass der Shop nur in bestimmten Gebieten zugänglich sein darf.
- Anforderungen, dass die Produkte nur in einem physischen Laden oder in Anwesenheit von Fachpersonal verkauft werden dürfen.
- Verbote, dass Markennamen oder Markenzeichen des Anbieters im Shop verwendet werden dürfen.
Informationsaustausch im dualen Vertrieb
Beim dualen Vertrieb, also wenn Hersteller:innen ihre Produkte sowohl über Händler:innen als auch direkt verkaufen, gibt es Regeln für den Austausch von Informationen zwischen den Parteien. Es ist wichtig zu verstehen, dass nicht alle Informationen einfach so ausgetauscht werden dürfen. Nur Informationen, die direkt mit dem Vertrag zwischen den Parteien zu tun haben oder die helfen, die Produktion oder den Verkauf der Produkte zu verbessern, dürfen ausgetauscht werden.
Es geht also darum, Informationen auszutauschen, die für die Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Vertragsparteien wichtig sind. In den Regeln gibt es Beispiele für Informationen, die bedenklich oder unbedenklich sein können. Informationen über zukünftige Verkaufspreise oder spezielle Verkaufsdaten der Kundschaft, wie genaue Umsätze oder Mengen pro Bestellung, sind besonders heikel und dürfen nicht einfach so ausgetauscht werden.
Vereinbarungen mit Online-Plattformen
Online-Plattformen, wie zum Beispiel Amazon, Ebay oder App Stores, werden durch das neue EU-Vertriebskartellrecht als Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten definiert. Das bedeutet, dass sie Dienste anbieten, um Transaktionen zwischen Käufern und Verkäufern im Internet zu vermitteln. Unternehmen und vor allem Händler, die diese Online-Plattformen nutzen, werden als Abnehmer bezeichnet, auch wenn sie für die Dienste bezahlen.
Das hat wichtige Auswirkungen in der Praxis:
Da die Plattformen als Anbieter von Vermittlungsdiensten und nicht als Abnehmer der Produkte gelten, dürfen sie den Händlern auf der Plattform nur sehr begrenzt Vorschriften machen.
Die Plattformen dürfen zum Beispiel nicht den Preis festlegen, zu dem die Händler ihre Produkte verkaufen müssen (das nennt man vertikale Preisbindung). Zum Beispiel darf die Plattform A dem Händler H nicht vorschreiben, dass er ein Produkt mindestens für 50 Euro verkaufen muss.
Auch Einschränkungen bezüglich der Kundschaft oder bei Gebieten sind Tabu. Zum Beispiel darf H sich gegenüber der Plattform A nicht verpflichten, das Produkt nicht an Kundschaft in Süddeutschland zu verkaufen.
Gleiches gilt für andere Verkaufsbeschränkungen, die die Nutzung des Internets als Verkaufskanal beeinträchtigen. Zum Beispiel darf H sich nicht verpflichten, außerhalb von Plattform A keinen eigenen Online-Shop zu betreiben.
Besonders strenge Regeln des Kartellrechts gelten für Vereinbarungen mit hybriden Online-Plattformen wie Amazon. Das sind Plattformen, die selbst Produkte verkaufen und gleichzeitig Dienste für andere Unternehmen anbieten. Hier besteht die Sorge, dass es zu unerlaubten Absprachen oder sensiblen Informationsaustausch zwischen den Plattformen und den Händlern kommen könnte. Es müssen möglicherweise angemessene Maßnahmen ergriffen werden, wie z.B. die Einrichtung von Firewalls, um sicherzustellen, dass kein unzulässiger Informationsaustausch zwischen dem Eigenhandel der Plattform und den teilnehmenden Händlern stattfindet.
Was ist zu tun?
Es ist wichtig, Verträge, die vor Juni 2022 vereinbart wurden, nochmal zu prüfen. Sie dürfen keine Regeln haben, die nach dem neuen Gesetz nicht erlaubt sind. Wenn die Verträge nicht geändert werden, können Strafen drohen. Diese Strafen betreffen nicht nur die herstellenden Unternehmen, sondern auch die Händler:innen, weil sie die Bedingungen akzeptiert haben und somit an einem Verstoß gegen das Kartellrecht beteiligt sind.
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Die Regelungen seitens Amazon und eBay sind für (fast) alle Händler gleich und für alle mit den entsprechenden fragwürdigen "Vereinbarungen " bestückt.
Ich würde mir wünschen, dass der Händlerbund jeweils die TOP 3-5 Punkte konkret benennt, die auf diesen zwei führenden Plattformen seine Mitglieder angreifbar macht, an Stelle ein solch lächerliches Beispiel wie "...Zum Beispiel darf die Plattform A dem Händler H nicht vorschreiben, dass er ein Produkt mindestens für 50 Euro verkaufen muss..." anzuführen, wo jeder von uns Händlern genau das Gegenteil - Ausschluss vom Verkauf wegen angeblich zu hohem Preis - seitens Amazon regelmäßig erlebt.
Wie so oft, werden mal wieder Unsicherheiten geschürt und keine echte Hilfestellung (für die mal keine Hand aufgehalten wird) erbracht. Schade...
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Antwort der Redaktion
Hallo Paul,
danke für die Anregung.
Wir werden uns das Thema mal anschauen.
Mit den besten Grüßen
die Redaktion
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