Petze, Nestbeschmutzer, Kameradenschwein – wer Fehlverhalten in Unternehmen anprangert, wird selten mit offenen Armen empfangen. Entsprechend hoch kann die Hemmschwelle sein, selbst Straftaten anzuzeigen. Nach dem Motto: „Beiße nie die Hand, die dich füttert“, schwingt auch immer die Angst um den eigenen Arbeitsplatz und die damit verbundene wirtschaftliche Absicherung mit.
Das Hinweisgeberschutzgesetz soll seit Juli die Situationen von Personen in Unternehmen, die Missstände melden, verbessern. Angst um den Arbeitsplatz oder der Schikane soll jedenfalls keiner mehr haben. Damit verfolgt das Gesetz nicht nur das Ziel des Schutzes der hinweisgebenden Personen, der sogenannten Whistleblower, sondern will gleichzeitig Korruption und Fehlverhalten von Unternehmen wirksamer bekämpfen – indem Vorfälle frühzeitig gemeldet und ermittelt werden können.
Whistleblower – Das ist doch Snowden?
Der Begriff der Whistleblower hat es insbesondere durch einen seiner berühmtesten Vertreter, Edward Snowden, zur Bekanntheit geschafft. Der Fall Snowden hat bis heute Auswirkungen. Insbesondere deswegen mag dem einen oder anderen das Thema für das durchschnittliche, deutsche mittelständische Unternehmen zu groß und zu weit weg zu sein. Allerdings gab es auch in Deutschland Fälle, in denen Whistleblower eine Rolle gespielt haben. Und nach jedem dieser Fälle wurde immer wieder gefordert: Es braucht einen besseren Schutz von hinweisgebenden Personen.
Wir haben drei der spannendsten Fälle aus Deutschland zusammengetragen.
Der Apotheker und die gepanschten Krebsmedikamente
Jahrelang hatte der Apotheker Peter S. aus Bottrop Krebsmedikamente gestreckt. Zwischen 2012 und 2016 hatte S. nachgewiesen unterdosierte Krebsmedikamente ausgegeben. Bei den Medikamenten ging es um individuell zubereitete Infusionslösungen. Von dem eigentlichen Medikament, dem Kostentreiber, fügte er weniger hinzu als verschrieben. Bei der Krankenkasse rechnete er das Ganze aber so ab, als hätte er die vollständige Menge in die Infusionslösung gegeben. So handelte er in 14.500 Fällen und erwirtschaftete ein Vermögen von 13,6 Millionen Euro. Das Motiv liegt dabei aber nicht so klar auf der Hand, wie es den Anschein hat: Peter S. kam bereits gut betucht auf die Welt. Geld scheint also nicht der Motivationstreiber gewesen zu sein. In Bottrop selbst war er angesehen. So organisierte er regelmäßig Spendenaktionen für das Hospiz und gehörte gleichzeitig zu den größten Spendern.
Vermutungen gab es viele
Aber: Wie konnte der Apotheker so lange unentdeckt Krebsmedikamente panschen? Eigentlich werden solche Medikamente im Vier-Augen-Prinzip zubereitet. Es hätte also stets ein Kollege oder eine Kollegin aus der Apotheke mit im gleichen Raum anwesend sein müssen, die alles protokolliert. Durch diese Regel sollen einfach auch menschliche Fehler verhindert werden. Dieses Prinzip hat der Apotheker verletzt. Aufgeflogen ist das ganze dann am Ende durch das Engagement eines Mitarbeiters und einer Mitarbeiterin. Zunächst ging es darum, mögliche Verstöße gegen Hygienevorschriften aufzudecken. Krebsmedikamente müssen unter besonders sterilen Bedingungen hergestellt werden. Daher darf auch nicht jede Apotheke diese Mittel zusammenmischen. Dabei wurde den beiden aber bewusst, dass es um weit mehr geht. Als Kommissar Zufall der Mitarbeiterin schließlich einen Infusionsbeutel in die Hände spielte, hatte sie auch den Beweis: Dieser kam aus einer Praxis und enthielt nur Kochsalzlösung. Der Mitarbeiter konnte parallel eine Manipulation des Warenwirtschaftssystems nachweisen. Es folgte der Gang zur Polizei und am 29. November 2016 klickten die Handschellen.
Allerdings waren diese zwei Whistleblower:innen nicht die ersten, denen das Verhalten des Apothekers auffiel: Die Gerüchte um den Apotheker kannten viele. Und viele schauten weg. Als Grund nennt ein ehemaliger Mitarbeiter in einer NDR-Doku das streng hierarchische System. „Wenn man mich mal fragt: Ich weiß von nichts“, sollen Teammitglieder gesagt haben, wenn man sie mit den Gerüchten konfrontiert hat. Ist der Apotheker zur Herstellung der Infusionen in den Raum gegangen, soll es geheißen haben, dass er wieder „spielen“ geht. Es war wohl auch die Angst um den eigenen Arbeitsplatz, die die Mitarbeitenden daran hinderte, dem Chef bei seinem Vorgehen zu widersprechen. Unangekündigte Kontrollen von seitens der Behörden gibt es nicht. Entsprechend konnte sich der Apotheker sehr sicher sein, eben nicht erwischt zu werden.
Das Urteil
Peter S. wurde schließlich zu einer Haftstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Zudem bekam er ein lebenslanges Berufsverbot. Seine Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil wurde nicht zur Entscheidung angenommen. Verurteilt wurde er wegen „Betrugs und Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz“. Problematisch war unter anderem, dass am Ende kaum einer wusste, wer gepanschte und wer richtige Krebsmedikamente erhielt. Entsprechend konnte kein kausaler Zusammenhang zwischen einzelnen Krankheitsverläufen und der Taten nachgewiesen werden. Allerdings kam die AOK 2018 durch Berechnungen zu dem Ergebnis, dass Patient:innen, die mit den Mitteln aus der Bottroper Apotheke versorgt wurden, schlechtere Heilungschancen gehabt hätten. Dabei wurden laut Ärzteblatt die Daten der Kundschaft der Bottroper Apotheke mit denen von anderen von Krebs betroffenen Menschen verglichen.
Der KSK-Hauptmann und der Brandbrief
In den letzten Jahren gerieten Gruppen der Polizei und Bundeswehr immer wieder in die öffentliche Kritik. Auch beim KSK ging es offenbar nicht immer – oder eben gerade – mit rechten Dingen zu. So machte ein KSK-Elitesoldat 2020 mit einem Brandbrief an die damalige Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer Missstände öffentlich.
Rechtsextreme Umtriebe
In dem Brandbrief, der damals dem Spiegel vorlag, thematisierte der Elitesoldat, dass rechtsextreme Umtriebe in der Einheit „ignoriert oder gar toleriert“ würden. Auf zwölf Seiten schilderte der Soldat, dass die strenge Ausbildung „von Kommandosoldaten in Ausbildung bereits mit dem der Waffen-SS verglichen wurde“. Die rechten Tendenzen seien so verfestigt, dass dem nur „durch eine vollständige externe Untersuchung und anschließende Reformierung Herr zu werden“ sei. Es wurden mehrere Vorfälle geschildert, um dem ganzen Kraft zu verleihen. So sei von der Kommandozentrale das Kürzel „Y-88“ als Anspielung auf den Hitlergruß verwendet worden. Ein bereits als problematisch geltender Soldat sei weiter aufgestiegen und erst, als Verbindungen zur Identitären Bewegung nachgewiesen werden konnten, entlassen worden. Rekruten wurden mundtot gemacht. Der Verfasser des Brandbriefs selbst sollte aus dem Dienst entlassen werden, da er eine außereheliche Affäre hatte. Er sei charakterlich ungeeignet. Damit war er aber nicht der einzige, der von willkürlichen Strafmaßnahmen betroffen war.
Teil der Reform
Der Brandbrief brachte die Verteidigungsministerin jedenfalls in Zugzwang. „Das klare Signal ist: Wer Missstände benennt, hilft sie zu beseitigen. Wer schweigt, ist Teil des Problems und macht sich mitschuldig“, lauteten ihre klaren Worte zu dem Brandbrief. Im Ergebnis sollte der KSK-Hauptmann bei den Reformen des KSK mitwirken. Auch der KSK-Chef Kreitmayr machte als Reaktion auf den Brandbrief deutlich, dass für Rechtsextremismus in der Truppe kein Platz sei.
Nachdem erst von einer Zerschlagung des KSK die Rede war, stand 2021 fest: Das Kommando Spezialkräfte bleibt bestehen. Insgesamt wurden unter dem Titel „KSK-Reform: Vertrauen wiederherstellen“ 60 Maßnahmen erarbeitet. Diese betreffen unter anderem strukturelle Betrachtungen, Dienstaufsicht, Personalgewinnung und Einstellungsverfahren, Werdegänge, Maßnahmen zur Prävention und Resilienz sowie zur Erhöhung der Reaktionsfähigkeit im Umgang mit Verdachtsfällen.
Die Lehrkräfte und die rechte Szene
Nicht nur beim KSK gibt es Probleme mit rechtem Gedankengut. Schon seit Jahren schlagen Lehrkräfte Alarm. Braunes Gedankengut macht auch vor der Schultür nicht Halt. Laura Nickel und Max Teske, zwei Lehrkräfte aus dem Brandenburgischen Burg, wollten das jedenfalls nicht hinnehmen.
Letzter Ausweg: Öffentlichkeit
Hakenkreuzschmiererein, oder das Zeigen des Hitlergrußes – was die zwei Lehrrkäfte an ihrer Schule in Burg erlebten, ließ ihre Alarmglocken schrillen. Rechtsextremismus, Rassismus oder Homophobie sei unter den Schülern und Schülerinnen verbreitet gewesen. Dabei sei der Mainstream an der Schule eher rechts. Konsequenzen gäbe es keine. So wurde ein Vorfall geschildert, bei dem ein Schüler den Verweis des Lehrers aus dem Klassenraum mit dem Spruch „Arbeit macht frei“ kommentierte. Diese Aussage und auch das mehrmalige Zeigen des Hitlergrußes durch verschiedene Schüler zogen keine Konsequenzen nach sich. Die beiden Lehrkräfte beklagten hier den fehlenden Zusammenhalt im Kollegenkreis: Während die eine Hälfte aktiv sei, schaue die andere lieber weg.
Die beiden sahen sich schließlich gezwungen, die Vorkommnisse an ihrer Schule öffentlich zu machen. Im April 2023 wandten sie sich mit einem offenen Brief an verschiedene Medien und lösten damit eine bundesweite Debatte aus.
Mit Abmahnung gedroht
Für die beiden hatte die Courage Folgen: Sie wurden in der Schule teilweise nicht mehr gegrüßt. Dem Lehrer soll sogar mit einer Abmahnung gedroht worden sein, sollte er weiter Anfragen der Presse zu den Vorkommnissen an der Schule beantworten. Immerhin sei er kein Pressesprecher. Auf Instagram wurde sogar zur Jagd auf die beiden Lehrkräfte aufgerufen. Außerdem tauchten Aufkleber mit Fotos der beiden auf, auf denen sie dazu aufgefordert wurden, nach Berlin zu verschwinden. „Wir stören vielleicht, indem wir den Finger in gewisse Wunden legen“, sagte die Laura Nickel gegenüber dem Rbb.
Nach den anhaltenden Drohungen haben sich nun beide versetzen lassen.
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