Was moralisch gesehen eine Selbstverständlichkeit scheint, interessiert die meisten Unternehmen bislang nicht wirklich: ein Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit oder die Einhaltung von Umweltstandards. Diese Grundpfeiler vereint nun das EU-Lieferkettengesetz, auch bekannt als Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) oder EU-Lieferkettenrichtlinie. Jetzt wurde das Gesetz beschlossen, meldet der Spiegel.

Worum geht es beim Lieferkettengesetz?

Alle Welt lästert über Temu. Dabei müssten sich viele Unternehmen in puncto Verantwortung an die eigene Nase fassen. Das neue EU-Lieferkettengesetz legt die Daumenschrauben an und schreibt künftig vor, dass große Unternehmen in der EU ihre globalen Lieferketten dahingehend prüfen müssen, dass diese keine negativen Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt haben. Dies dient dazu, die Transparenz und vor allem die vielfach vermisste Verantwortlichkeit in globalen Lieferketten zu erhöhen und sicherzustellen, dass Unternehmen ihre sozialen und ökologischen Verpflichtungen ernst nehmen.

Dass dieses Regelwerk von der FDP wegen eines angeblichen „Bürokratie-Burnout“ blockiert wurde, überrascht wenig. Doch deren Bemühungen waren vergebens. Das Europäische Parlament hat das EU-Lieferkettengesetz nun beschlossen. Die Abgeordneten stimmten allerdings einer abgeschwächten Kompromisslösung des Gesetzes zu.

Das EU-Lieferkettengesetz im Überblick

  • Zweck: Verbesserung der Unternehmensverantwortung für Menschenrechte und Umweltschutz in globalen Lieferketten.
  • Anwendungsbereich: Stufenweise Einführung der Vorschriften, beginnend mit den größten Unternehmen von 5.000 Beschäftigten und mehr als 1,5 Milliarden Euro Umsatz weltweit. In fünf Jahren trifft die Richtlinie auch Unternehmen mit einer Größe von mindestens 1.000 Beschäftigten und einem Umsatz von 450 Millionen Euro pro Jahr.
  • Sorgfaltspflichten: Unternehmen müssen Risiken für Menschenrechte und Umwelt identifizieren, bewerten und Maßnahmen zur Minderung ergreifen.
  • Berichterstattung: Verpflichtende jährliche Berichte über die Durchführung und Wirksamkeit der Sorgfaltspflichten.
  • Beschwerdeverfahren: Einrichtung eines zugänglichen Beschwerdeverfahrens für Betroffene und Stakeholder.
  • Rechtliche Konsequenzen: Bei Nichteinhaltung können Unternehmen mit Sanktionen und zivilrechtlichen Haftungen konfrontiert werden. Geldstrafen von bis zu fünf Prozent des weltweiten Nettoumsatzes eines Unternehmens sind möglich.
  • Indirekte Betroffenheit auch für (kleine) Online-Shops: Kleinere Unternehmen, die Zulieferer für größere Firmen sind, können indirekt betroffen sein.
  • Übergangsfrist: Abgesehen von der schrittweisen Geltung, beginnend in drei Jahren mit den größten Unternehmen, hat Deutschland für die Umsetzung zwei Jahre Zeit.

 

„Zusammen mit dem Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit setzt die EU damit ein wichtiges Zeichen für unsere globale Verantwortung“, zitiert das Handelsblatt die Europaabgeordnete Anna Cavazzini (Grüne). „Dadurch verbessern wir die Arbeitsbedingungen von Menschen in der EU und darüber hinaus.“ Ob das Gesetz, wie befürchtet, mehr Schein als Sein ist und zu einem Papiertiger ausartet, der wenig bewirken kann, bleibt abzuwarten.

Was haben (kleine) Online-Shops jetzt damit zu tun?

Direkt gar nichts, denn sie fallen nicht in den Anwendungsbereich des Lieferkettengesetzes. Kleinere Online-Händler:innen können jedoch indirekt betroffen sein, wenn sie sich in der Lieferkette von größeren Unternehmen befinden, die direkt unter das Gesetz fallen. Diese großen Unternehmen könnten strengere Anforderungen an ihre Zulieferer stellen​. Shops sollten ihre eigene Lieferkette überprüfen und in den Austausch gehen, damit sie den Anforderungen ihrer größeren Geschäftspartner künftig entsprechen können und die Geschäftsbeziehungen aufrechterhalten werden.

Für kleinere Online-Händler:innen, die nachhaltige und ethische Praktiken verfolgen, könnte das Gesetz sogar Marktchancen eröffnen, da sie als bevorzugte Zulieferunternehmen für große Unternehmen interessant werden könnten.

Gab es so ein Gesetz nicht schon?

Jein. In Deutschland gilt bereits ein nationales Lieferkettengesetz für Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten, das sogenannte Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Sie sind verwandt, aber nicht identisch. Beide Gesetze zielen darauf ab, die Verantwortung großer Unternehmen für ihre Lieferketten zu stärken, insbesondere im Hinblick auf Menschenrechte und Umweltschutz.

Das EU-Gesetz hat potenziell eine breitere Reichweite und erfordert von Unternehmen, Einfluss auf ihre gesamten Lieferketten zu nehmen, einschließlich indirekter Zulieferer. Das deutsche Gesetz konzentriert sich auf direkte und, in begrenztem Maße, indirekte Zulieferer und zielt eher auf Berichtspflichten ab. Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz wird nun jedoch an die EU-Richtlinie angepasst, um Doppelungen und Widersprüche aufzuheben.

Update: Rat erteilt endgültige Genehmigung

Der Rat der Europäischen Union hat die Richtlinie am 24. Mai 2024 formell angenommen. „Ein wichtiger Schritt hin zu einem besseren Ort zum Leben für alle“, kommentiert Pierre-Yves Dermagne, belgischer stellvertretender Premierminister und Minister für Wirtschaft und Beschäftigung.

Nach der Unterzeichnung durch den Präsidenten des Europäischen Parlaments und den Präsidenten des Rates wird die Richtlinie im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung in Kraft. Die Mitgliedstaaten haben zwei Jahre Zeit, um die Vorschriften und Verwaltungsverfahren umzusetzen

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