Die neue EU-Richtlinie zum Recht auf Reparatur soll die Reparatur defekter Geräte erleichtern und die Menge an Elektroschrott reduzieren. Ziel ist es, bezahlbare Reparaturdienste anzubieten, um die Lebensdauer der Produkte zu verlängern und eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft zu fördern. Von dem Gesetz sind neben Hersteller:innen auch Händler:innen betroffen.
Im Interview sprechen wir mit Wolfgang Kobek, EVP & General Manager International Business bei Infor, über die praktischen Auswirkungen für den E-Commerce.
Onlinehändler-News: Herr Kobek, können Sie uns kurz erklären, was das EU-Recht auf Reparatur genau beinhaltet und welche Ziele damit verfolgt werden?
Wolfgang Kobek: Die neue EU-Richtlinie zielt darauf ab, die Reparatur defekter und kaputter Geräte für Verbraucher zu erleichtern. Die Intention dahinter: Die Menge an Elektroschrott zu reduzieren, denn allein im Jahr 2020 landeten mehr als eine Million Tonnen Elektroschrott in deutschen Sammelstellen.
Diese Regelung gilt für eine Reihe von Haushaltsgeräten – Waschmaschinen, Staubsauger, Kühlschränke usw. – sowie für Smartphones und Tablets und verpflichtet die Hersteller, Verbrauchern den Zugang zu Ersatzteilen, Reparaturinformationen und Software-Updates zu gewährleisten. Es werden klare Erwartungen an bezahlbare Reparaturdienste gestellt, die die Hersteller anbieten müssen, damit die Verbraucher ihre Produkte länger nutzen können. Letztlich geht es darum, Abfall zu reduzieren und eine nachhaltigere Kreislaufwirtschaft zu fördern.
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Die Konstante ist der Wandel
Welche spezifischen Hürden müssen Händler überwinden, um die Anforderungen des EU-Rechts auf Reparatur zu erfüllen?
Statt von Hürden zu sprechen, sollten Einzelhändler diese Richtlinie als Chance sehen, ihr derzeitiges Geschäftsmodell zu erweitern und mehr Dienstleistungen anzubieten. Veränderungen sind im Einzelhandel ebenso wie im Elektrohandel eine Konstante und dies ist nur ein neuerlicher Wandel, den sie bestmöglich nutzen sollten.
Die Verpflichtungen, die sich aus der Richtlinie über das Recht auf Reparatur ergeben, werden voraussichtlich bis spätestens Anfang 2027 in Kraft treten. Das gibt allen betroffenen Unternehmen wie E-Commerce-Plattformen, Händlern und Herstellern ausreichend Zeit zu überlegen, wie sie ihr Geschäft weiterentwickeln können, um Kundenanforderungen gerecht zu werden und neue Einnahmequellen zu erschließen.
So wird beispielsweise die steigende Nachfrage nach Reparaturdienstleistungen Möglichkeiten für neue Kooperationen oder Geschäftsfelder eröffnen – zumal die Hersteller gesetzlich verpflichtet sein werden, Dritten und Verbrauchern Ersatzteile, Werkzeuge und Reparaturinformationen zu angemessenen Preisen zur Verfügung zu stellen. Die Richtlinie erfordert die Einrichtung nationaler Online-Plattformen, über die Verbraucher Reparaturdienste finden können. Unternehmen, die bereits erfolgreich online tätig sind, könnten hier einen Vorsprung beim Verkauf von Produkten und der Gewinnung von Neukunden haben.
Zudem ist auch von finanziellen Anreizen die Rede, wie es Österreich oder auch der Freistaat Sachsen derzeit schon mit dem Reparaturbonus umsetzt, um Reparaturen erschwinglicher und attraktiver zu machen als einen Austausch. Auch daraus könnten sich Möglichkeiten für neue Geschäftsmodelle ergeben.
Online-Marktplätze und -Händler sollten die Entwicklungen genau beobachten, um zu verstehen, wo die Chancen liegen und wie sie ihr Handeln an die neue Entwicklung anpassen können.
Gibt es bestimmte Produktkategorien, die besonders betroffen sind?
Wie bereits erwähnt, betrifft die Richtlinie eine Reihe von Haushaltsgeräten - Waschmaschinen, Staubsauger, Kühlschränke usw. - sowie Smartphones und Tablets. Wir gehen jedoch davon aus, dass diese Kategorien in den kommenden Jahren durch weitere Gesetzesänderungen erweitert werden.
Wirtschaftliche Faktoren sind noch nicht abschätzbar
Wie können Händler die notwendige Infrastruktur für die Reparatur und Ersatzteilversorgung aufbauen?
Dies wird nur in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Herstellern gelingen. Da wir auch in diesem Sektor viele Kunden haben, sehen wir an den Anfragen an unsere Berater bereits jetzt, dass hier Veränderungen angestoßen werden. Das betrifft die Bereiche der Produktentwicklung, aber natürlich auch die Logistik und den Dienstleistungssektor selbst, für die es bei Infor bereits spezielle Lösungen für Hersteller gibt.
Welche wirtschaftlichen Auswirkungen erwarten Sie durch die Umsetzung des Rechts auf Reparatur für Händler?
Natürlich bedeutet diese neue Regelung zunächst eine entsprechende Investition für den Händler. Es ist aber auch zu bedenken, dass der Hersteller ebenfalls mit ins Boot geholt werden muss. Und auch der Service kann ein Geschäft mit hohen Margen sein. Außerdem ändert sich das Umweltbewusstsein der Kunden und damit auch die Wahrnehmung und Einstellung der Händler. Man muss aber ehrlicherweise sagen, dass die wirtschaftlichen Parameter noch nicht wirklich abzuschätzen sind.
Online-Shops als 360° Plattform
Welche Empfehlungen würden Sie Händlern geben, die sich auf die neuen Regelungen vorbereiten?
Dies wird wahrscheinlich eine entscheidende praktische Erfahrung im Rahmen der digitalen Transformation sein. Wie immer bei solchen Veränderungsprozessen hängt der Erfolg von Menschen, Prozessen und der Technologie ab. Wenn Menschen Bedenken haben, müssen die Unternehmen Mitarbeiter finden, die intern eine Vorreiterrolle einnehmen. Diese Mitarbeiter müssen die Notwendigkeit von Veränderungen erkennen und können dazu beitragen, diese in Unternehmen durchzusetzen. Was die Prozesse betrifft, da sollten die Unternehmen versuchen, die Arbeitsabläufe und den Datenverkehr entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu automatisieren. Der Mensch sollte nur dann eingreifen, wenn eine Entscheidung zu treffen ist.
Die Technologie wird dazu beitragen, dass auch jene Abläufe gefestigt werden, die das Recht auf Reparatur unterstützen. Dazu gehören das Sammeln, Speichern und Pflegen von Informationen über die Ersatzteile, die von einer Reihe von Herstellern in einer Vielzahl von Geräten verwendet werden. Dazu gehört aber auch, dass diese Informationen mit dem physischen Bestand innerhalb der erweiterten Wertschöpfungskette verknüpft werden und zudem sichergestellt wird, dass Marktplätze und Händler ihre rechtlichen Verpflichtungen einhalten. Deshalb sollten Unternehmen nach Systemen suchen, die sich einfach und schnell in die von Zulieferern und Partnern integrieren lassen, damit der Datenaustausch klappt und ein aktuelles und genaues Bild auch bei sich verändernden Situationen möglich ist.
Gibt es Potenziale, die Händler aus der Umsetzung des Rechts auf Reparatur ziehen können?
Für Händler ist dies eine großartige Gelegenheit, die Wahrnehmung der Kunden zu verändern: Indem sie nicht nur als eine Plattform zum Kauf von Produkten wahrgenommen werden, sondern als 360°-Plattform mit einem Rundum-Servicepaket. Wo Menschen sich wohlfühlen, kaufen sie auch mehr. Darüber hinaus sollte der Service nicht nur als Kostenfaktor gesehen werden, sondern kann zu einem margenstarken Geschäftsbereich ausgebaut werden.
Vielen Dank für das Interview!
Über Wolfgang Kobek
Wolfgang Kobek ist seit 2022 federführend für die Cloud-first-Strategie von Infor in Europa, dem Nahen Osten, Afrika und dem asiatisch-pazifischen Raum inklusive Japans verantwortlich – mit dem Ziel, das geschäftliche Wachstum der Kunden und Partner von Infor in allen Geschäftsbereichen zu unterstützen und zu beschleunigen.
Kobek ist nicht zum ersten Mal in leitender Funktion für Infor tätig: Zwischen 2002 und 2010 war er bereits als Vice President für das Geschäft in Zentraleuropa verantwortlich. 2010 wechselte er zu Qlik, wo er bis 2021 als Senior Vice President EMEA die Transformation von On-Premise- hin zu Cloud-Produkten führte und ein globales Channel-Partner-Ökosystem pflegte. Zuletzt übernahm er die Position des General Manager EMEA bei c3.a1, einem der wichtigsten strategischen Produktpartner von Infor.
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