Die neuen Regelungen zur Barrierefreiheit sollen sicherstellen, dass Menschen mit Behinderungen gleichermaßen Zugang zu digitalen Angeboten haben. In den vergangenen Teilen unserer Themenreihe haben wir bereits erklärt, wer überhaupt unter die neuen Vorschriften aus dem BFSG fällt und was sich das Gesetz unter einem barrierefreien Online-Shop abstrakt vorstellt. Nun soll es jedoch an die Umsetzung gehen. Wie man die Anforderungen an die Barrierefreiheit seiner Shops praktisch umsetzen kann, welche Schritte jedes Unternehmen selbst gehen muss und wo Tools oder Software helfen können, werden wir im dritten Teil erörtern.

Bestandsaufnahme: Wo stehe ich aktuell?

Die BFSG-Anforderungen umfassen die gesamte Customer Journey, von der Navigation über den Bestellprozess bis hin zu Zahlungsmethoden. Umgesetzt werden müssen dabei vier Grundprinzipien: Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit und Robustheit, gemäß den Web Content Accessibility Guidelines (kurz: WCAG). Hierzu haben wir bereits eine Checkliste zusammengestellt. Allerdings nutzen die meisten Online-Shops ein fremdes Shopsystem und lassen viele Programmierarbeiten von Profis durchführen.

Bevor Verantwortliche die nötigen Maßnahmen zur Verbesserung der Barrierefreiheit ergreifen, müssen sie sich daher zunächst einen Überblick über den aktuellen Stand ihrer Website verschaffen. Eine Bestandsaufnahme hilft, Schwachstellen zu identifizieren und Prioritäten zu setzen. Es schützt aber auch davor, unnötige Schritte einzuleiten und in Panik zu verfallen, denn nicht selten hat man (beziehungsweise das Shopsystem oder der Online-Marktplatz) bereits mehr oder weniger unabsichtlich vieles richtig gemacht. So sind zahlreiche Maßnahmen aus dem SEO-Bereich, wie beispielsweise die Nutzung von Alt-Texten, zwar aus dem Wunsch nach einem besseren Ranking erfolgt. Praktisch nützen sie jedoch auch der Barrierefreiheit und sind ein wichtiges Kriterium für eine zugängliche Webseite.

Für eine erste Bestandsaufnahme bieten sich verschiedene Tools zur Überprüfung der Barrierefreiheit an, die es zuhauf im Netz gibt, u. a.:

  • WAVE (Web Accessibility Evaluation Tool): Das wohl bekannteste kostenfreie Online-Tool, untersucht den Quellcode einer Website auf Barrierefreiheitsprobleme und zeigt sie auf. Hier gibt es zudem Verbesserungsvorschläge.
  • axe Accessibility Checker: Ein Browser-Plugin, das Barrierefreiheitsprobleme auf Webseiten erkennt und Entwicklern detaillierte Informationen zur Behebung bereitstellt.
  • Lighthouse (Google Chrome): Ein integriertes Tool in den Chrome-Entwickler-Tools, das eine umfassende Prüfung auf Barrierefreiheit sowie andere Qualitätsfaktoren durchführt.
  • Contrast Checker: Mit der Erweiterung für Google Chrome Tool kann überprüft werden, ob die Farbkontraste den Anforderungen der WCAG-Guidelines entsprechen.
  • Screenreader-Tests (z. B. NVDA): Diese helfen, die Bedienbarkeit der Webseite aus der Perspektive eines Nutzers mit Sehbehinderung zu testen.

Die genannten Tools liefern erste Anhaltspunkte, welche Bereiche eines Shops überarbeitet werden müssen. Es ist jedoch auch stets ratsam, nicht nur auf automatisierte Tests zu vertrauen, sondern auch manuelle Prüfungen durchzuführen, insbesondere bei komplexeren Funktionen und Inhalten.

Was ist manuell zu tun, was kann automatisiert werden?

Nicht alle Aspekte der Barrierefreiheit lassen sich durch Tools oder automatisierte Softwarelösungen angehen. Es ist wichtig zu verstehen, welche Anforderungen manuell umgesetzt werden müssen und welche durch Softwareunterstützung automatisiert werden können.

Automatisierte Maßnahmen

  • Barrierefreie Themes und Plugins passend zum Shopsystem verwenden: Nutzen sollte man fertige Lösungen für das eigene Shopsystem, denn diese wurden speziell für die Websites entwickelt. Diese enthalten häufig vorgefertigte Elemente wie Menüs oder Formulare, die den Anforderungen entsprechen.
  • Vorlagen und Plugins für Barrierefreiheit: Es gibt diverse weitere Plugins und Vorlagen, die speziell für barrierefreie Websites entwickelt wurden und Elemente wie Menüs, Slider oder Formulare gemäß den Barrierefreiheitsanforderungen gestalten. Das Plugin WP Accessibility hilft beispielsweise dabei, WordPress-Websites barrierefrei zu machen, indem es unter anderem Tastaturnavigation, Bildbeschriftungen und semantische HTML-Elemente integriert.

Manuelle Maßnahmen

  • Texte und Inhalte anpassen: Auch wenn es mittlerweile genügend Hilfe durch Software oder KI gibt. Inhalte wie Alt-Texte oder aussagekräftige Produktbeschreibungen muss man nach wie vor selbst anstoßen. Sie sollten leicht verständlich und in einfacher Sprache geschrieben sein, was man zwar KI-gestützt jedoch trotzdem manuell erledigen muss. Einige Tools bieten KI-gestützte Vorschläge für Bildunterschriften an. Diese sollten jedoch manuell überprüft und angepasst werden, um sicherzustellen, dass sie den Bildinhalt korrekt wiedergeben.
  • Navigation und Benutzerführung optimieren: Menüs und Navigationsstrukturen sollten übersichtlich und logisch gegliedert sein. Die Möglichkeit der Navigation ausschließlich über die Tastatur sollte geprüft und gegebenenfalls optimiert werden. Auch wenn ein Tool warnen kann, dass die korrekte Hierarchie nicht eingehalten wurde, so muss die sinnvolle Nutzung von H1–H6-Überschriften im Zweifel manuell angepasst werden.
  • Formulare zugänglich gestalten: Formularfelder benötigen aussagekräftige Labels und Fehlermeldungen sollten verständlich formuliert sein. Auch hier ist eine manuelle Prüfung notwendig.

Bei der Umsetzung der Barrierefreiheitsanforderungen gibt es somit leider kein Patentrezept wie ein Tool, was man mal eben schnell über den Shop laufen lässt und alles ist fix und fertig. Viele Optimierungen sind händisch zu erledigen oder zumindest manuell anzustoßen (wie die Aktualisierung der Shopsoftware).

Vorsicht vor dubiosen Anbietern: Mit der Gesetzesänderung gibt es zunehmend Anbieter, die versprechen, mit ihren Tools oder Dienstleistungen eine vollständige Barrierefreiheit auf Knopfdruck zu gewährleisten. Es ist wichtig, kritisch zu prüfen, welche Leistungen wirklich angeboten werden und welche Maßnahmen tatsächlich notwendig sind. Automatisierte Tools können keine vollständige Barrierefreiheit garantieren – insbesondere bei der Qualität von Texten und Inhalten ist eine manuelle Anpassung unabdingbar.

Online-Shopsysteme: Muss ich etwas tun?

Shop-Systeme wie Shopify und Shopware bieten bereits einige Funktionen und Unterstützung für die Umsetzung von Barrierefreiheit, aber auch für die sonstigen gängigen Shopsysteme gilt das gerade eben Erläuterte. Die vollständige Anpassung muss teilweise manuell erfolgen, auch wenn die Anbieter bereits einiges im petto haben.

  • Shopify unterstützt Shop-Betreiberinnen und -Betreiber zwar durch fertige barrierefreie Themes, Anpassungsmöglichkeiten für Farbkontraste und Alt-Text-Funktionen für Bilder. Alt Text ist beispielsweise eine App, die die Möglichkeit bietet, die Eingabe von Alt-Attributen bei Shopify zu übernehmen.
  • Shopware plant, bis spätestens Ende des Jahres 2024 vollständige Konformität mit den Barrierefreiheitsstandards der WCAG zu erreichen. Dies ermöglicht es allen, die notwendigen Anpassungen ohne Zeitdruck vornehmen zu können. Um dies zu gewährleisten, werden umfangreiche Softwaretests, auch mit beeinträchtigten Personen, durchgeführt. Ein Produkt-Update ist geplant, das gezielte Neuerungen zur Barrierefreiheit umfasst, um Sellern die Umsetzung gesetzlicher Anforderungen zu erleichtern und ein barrierefreies Einkaufserlebnis zu schaffen. Die ersten Umsetzungsschritte hat Shopware auch schon parat. Auf die Schnelle kann man Menschen mit Behinderungen schon das Barrierefrei-Plugin an die Hand geben. Alle Seller, die Shopware nutzen, sollten sich für den Newsletter eintragen, um nichts zu verpassen.
  • Auch Magento bietet eine solide Grundlage für barrierefreies E-Commerce, unterstützt durch Plugins und Erweiterungen, die auf WCAG-Standards basieren. Das Magento Accessibility Plugin bietet unter anderem eine Tastaturnavigation, Screenreader-Kompatibilität sowie die Anpassung von Farbkontrasten und Textvergrößerung. Es ermöglicht die Erstellung barrierefreier Online-Shops, die den Standards wie WCAG entsprechen. Zusätzlich unterstützt das Plugin die automatische Generierung von Alternativtexten für Bilder und stellt sicher, dass Formulare korrekt beschriftet sind.
  • BigCommerce bietet Accessibility-Funktionen über eine eigene Anwendung, die ebenfalls helfen, die Barrierefreiheit eines Shops zu verbessern. Es gibt unter anderem eine Screenreader-Unterstützung, Farbkontrastanpassungen, Voice-Navigation und automatische Alternativtextgenerierung. Einige Features, wie ein manueller Prüfbericht, können als kostenpflichtiges Add-on hinzugefügt werden.
    WooCommerce basiert auf WordPress, was viele Plugins und Themes bietet, die auf Barrierefreiheit ausgelegt sind. Es gibt diverse Accessibility-Plugins, die Tastaturnavigation, Kontrasteinstellungen und Screenreader-Unterstützung verbessern. Allerdings liegt ein großer Teil der Verantwortung für die Barrierefreiheit auf den Shop-Betreibern, da die Auswahl und Konfiguration der richtigen Plugins (eine kleine Vorstellungsrunde gibt es bei Florian Salmann) sowie die Anpassung der Inhalte manuell erfolgen müssen.
  • PrestaShop bietet ebenfalls barrierefreie Themes und Plugins, wobei der Grad der Barrierefreiheit stark von den verwendeten Erweiterungen und der Implementierung abhängt. Das PrestaShop Accessibility-Modul ermöglicht es, die Barrierefreiheit eines Online-Shops zu verbessern, indem es Funktionen wie Tastaturnavigation, Anpassung von Farbkontrasten und die Bereitstellung von Alternativtexten für Bilder unterstützt. Es hilft, die Konformität mit WCAG-Standards zu erreichen, indem es verschiedene Anpassungsoptionen bietet.

Wer ein Shopsystem nutzt, sollte also rechtzeitig in die Spur gehen, was in den kommenden Monaten an Neuerungen und Support geplant ist.

Darüber hinaus empfiehlt sich die regelmäßige Nutzung der oben genannten Check-Tools , um den Barrierefreiheitsstatus langfristig zu prüfen und sicherzustellen. Das ist eine Besonderheit des BFSG: Es gibt keine festen Standards, die man einmal umsetzen muss. Die Anforderungen entwickeln sich stetig weiter und es kommt stets auf den aktuellen Stand der Technik an.

Checkliste: Die barrierefreie Shopsoftware

  • Verfügbarkeit von barrierefreien Themes und Vorlagen: Es sollte überprüft werden, ob Themes und Softwarelösungen mit barrierefreien Elementen beim jeweiligen Shopsystem zur Verfügung stehen, um die gesetzlichen Anforderungen leichter umzusetzen.
  • Plugins und Erweiterungen für Barrierefreiheit: Einige externe Plugins bieten nützliche Funktionen, wie automatische Kontrastanpassung, Alternativtexte für Bilder und Unterstützung für Tastaturnavigation, die zur Barrierefreiheit beitragen können.
  • Kosten für Erweiterungen: Da viele Lösungen kostenpflichtig sind, ist es ratsam, eine Kosten-Nutzen-Analyse durchzuführen, um den finanziellen Aufwand abzuschätzen. Was kann inhouse erledigt werden, was gibt man in Dienstleister-Hände und wo braucht es Support von der Shopsoftware?
  • Regelmäßige Updates und Unterstützung: Plugins und Vorlagen sollten regelmäßig aktualisiert werden, und der Anbieter sollte verlässlichen Support bieten, um die langfristige Funktionalität zu gewährleisten.

Zahlungsdienstleister: Auch diese müssen barrierefrei sein?

Ja. Die gesamte Customer Journey des B2C-Shops muss barrierefrei sein: vom Einstieg auf eine Website (z. B. Cookie-Banner) bis hin zum Abschluss des Vertrages (Checkout), also auch alle für den Kauf relevanten Dienste und Funktionen wie die Zahlungsfunktionen (z. B. Zahlungs-Checkout über PayPal).

Unter anderem hat uns PayPal bereits telefonisch bestätigt, dass das Unternehmen die neuen Richtlinien vollständig umsetzen wird und sich Betroffene keine Sorgen machen müssen. Etwas anderes wäre auch nicht akzeptabel, denn Händlerinnen und Händler müssen darauf vertrauen können. Andernfalls könnten sie – streng genommen – den Zahlungsdienst mangels Barrierefreiheit auch nicht mehr nutzen.

Doch wie sieht es bei den Online-Marktplätzen aus?

Beim Verkauf über Plattformen wie Amazon, Ebay, Kaufland oder andere Marktplätze stehen Händlerinnen und Händler vor noch ganz anderen Voraussetzungen, denn sie müssen die Anforderungen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG) auch dort berücksichtigen, haben aber vergleichsweise keinen oder nur wenig Handlungsspielraum.

Knackpunkt: Grundsätzlich liegt die Verantwortung für die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben des Plattform-Shops aber trotzdem bei den jeweiligen Sellern, die dafür sorgen müssen, dass ihre genutzten Shops und Prozesse barrierefrei gestaltet sind. Daher können Unternehmen eine Haftung riskieren, wenn sie eine Plattform nutzen, die das BFSG nicht umsetzt. Dies zieht sich wie ein roter Faden und erstreckt sich neben allen anderen Wettbewerbsfragen nun auch auf den Bereich Barrierefreiheit.

Es liegt, wie im eigenen Online-Shop, auch hier im Verantwortungsbereich des Verkäufers oder der Verkäuferin, sicherzustellen, dass Produkttexte leicht verständlich und gut lesbar sind, keine wichtigen Informationen ausschließlich durch Farben vermittelt werden, und dass für alle visuellen Elemente aussagekräftige Alternativtexte vorhanden sind, um so das Risiko eines Verstoßes zumindest im eigenen Machtbereich zu minimieren.

Fazit

Die neuen Anforderungen des BFSG stellen viele Shops vor Herausforderungen, bieten aber auch die Chance, die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern und eine breitere Zielgruppe zu erreichen. Durch eine sorgfältige Bestandsaufnahme, den Einsatz geeigneter Tools und Software sowie die Nutzung der bereitgestellten Lösungen kann man seinen Shop barrierefrei gestalten. Dabei sollten man sich jedoch nicht von unseriösen Angeboten täuschen lassen, die schnelle Lösungen versprechen – besonders, weil diese nicht gerade preisgünstig sind.

Alles, was man zur Barrierefreiheit wissen muss

Wir haben uns dem Thema Barrierefreiheit in unserer Themenreihe bereits aus vielen Blickwinkeln und umfassend gewidmet:

  1. Muss meine Webseite bald barrierefrei sein?
  2. Wie muss der barrierefreie Online-Shop aussehen?
  3. Barrierefreier Online-Shop: Diese Hürden stellen sich im Alltag (Interview)
  4. Das sind die neuen Anforderungen an barrierefreie Produkte
  5. Erweiterte Rechtstexte und neue Informationspflichten
  6. Was droht, wenn die Barrierefreiheitsanforderungen nicht umgesetzt werden?
  7. Checkliste zur Vorbereitung auf den 28. Juni
  8. FAQ zur Barrierefreiheit: Alles, was du wissen musst

Weitere Informationen rund um die Barrierefreiheit findest du auf unserer Themenseite Barrierefreiheit.

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