Barrierefreier Online-Shop: Diese Hürden stellen sich im Alltag

Veröffentlicht: 06.11.2024
imgAktualisierung: 06.11.2024
Geschrieben von: Hanna Behn
Lesezeit: ca. 6 Min.
06.11.2024
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ca. 6 Min.
Blinde Person, die Computer mit Braillezeile benutzt
zlikovec / Depositphotos.com
Websites müssen künftig barrierefrei sein. Welche Hürden für Menschen, beispielsweise mit einer Sehbeeinträchtigung, müssen abgebaut werden?


Online-Käufe und -Dienstleistungen sind das normalste der Welt – doch noch immer wird bei deren Gestaltung und Angebot übersehen, dass nicht jeder Mensch selbstverständlich auf alle Inhalte oder Services zugreifen kann. Nur ein Fünftel der hiesigen Online-Shops ist derzeit barrierefrei, ergab eine Untersuchung der Aktion Mensch und Google Mitte des Jahres.

Spätestens mit den Vorschriften des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG) sind Unternehmen ab 28. Juni 2025 gesetzlich dazu verpflichtet, ihre Produkte und Dienstleistungen barrierefrei zu gestalten – unabhängig davon, ob es sich um einen großen Online-Anbieter oder ein kleines Start-up handelt. Und auch Kleinstunternehmen, für die Ausnahmen gelten, müssen sich mit der Regelung auseinandersetzen.  

Grundsätzliche Anforderungen, wie so ein barrierefreier Online-Shop auszusehen hat, stehen bereits fest. Doch welche Hürden stellen sich eigentlich in der Praxis für Menschen, die beispielsweise eine Sehbehinderung oder -beeinträchtigung haben? Wie sollten Online-Shops – allen voran der ohnehin mit Risiken verbundene Bezahlvorgang, aber auch weitere Leistungen wie Kundenservice oder Logistik – wirklich funktionieren, um echte Teilhabe zu ermöglichen? Wir haben mit Jana Mattert, Referentin beim Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) mit dem Schwerpunkt digitale Barrierefreiheit, über die alltäglichen Herausforderungen und Handlungsbedarf gesprochen.

Unüberwindbare Barrieren? Dann kaufen die Leute nichts

OHN: Was bedeutet Barrierefreiheit im Internet, insbesondere für Menschen mit Seheinschränkungen? Warum ist sie so wichtig?

Jana Mattert: Barrierefreiheit im Internet bedeutet, dass alle digitalen Angebote – Webseiten, Apps, downloadbare Dokumente, eingebundene Videos etc. – von Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Das gibt das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) in Artikel 4 vor. Das Internet ist zu einem wesentlichen Bestandteil unseres Alltags geworden – ob die Videokonferenz auf der Arbeit oder Online-Shopping nach Feierabend. Nur wenn Menschen mit Behinderung gleichermaßen Zugang zu dieser digitalen Welt haben, können sie auch gleichermaßen gesellschaftlich teilhaben.

Welche alltäglichen Herausforderungen begegnen Menschen mit Seheinschränkungen, wenn sie Online-Shops nutzen möchten?

Online-Shops, wie auch andere digitale Angebote im Internet, sind bislang nicht vollständig barrierefrei gestaltet. Das bereitet vielen Menschen, die auf digitale Barrierefreiheit angewiesen sind, enorme Schwierigkeiten. Im schlechtesten Fall können Menschen mit Sehbeeinträchtigungen in einem Online-Shop keine Produkte kaufen, weil von der Information über die Produkte und deren Auswahl bis zum Abschluss des Bezahlvorgangs unüberwindbare Barrieren bestehen.

Zu den häufigen digitalen Barrieren zählen zum Beispiel:

  • Fehlende Alternativtexte für Grafiken und Bilder: Diese Alternativtexte werden Menschen vorgelesen, die Webseiten nicht visuell wahrnehmen.
  • Fehlende Beschriftungen von interaktiven Elementen wie Buttons und Eingabefelder: Wenn Produkte zum Beispiel über Checkboxen nach Farben oder Größen gefiltert werden können, dann müssen auch Menschen, die sich die Webseite vorlesen lassen, die Zuordnung dieser Checkboxen korrekt wahrnehmen können. Dafür reicht ein Text wie z. B. „rot“ neben einer Checkbox nicht aus. Die Checkbox selbst muss technisch eine Beschriftung erhalten.
  • Fehlende Tastaturbedienbarkeit: Nicht alle Menschen können eine Maus benutzen. Online-Shops müssen so gestaltet sein, dass man ausschließlich mit der Tastatur Produkte auswählen, zur Online-Kasse gehen und bezahlen kann.
  • Unzureichende Kontraste auf einer Webseite: Texte, interaktive Elemente, Grafiken etc. müssen für alle gut erkennbar sein.

„Einen Online-Shop liest man nicht wie einen Krimi“

Wie wirken sich schlecht programmierte Websites denn konkret auf die Navigation und Benutzerfreundlichkeit mit Screenreadern aus?

Ein Screenreader ist eine sehr komplexe Software, die Bildschirminhalte nicht nur von oben nach unten vorliest, sondern mit der ich auch ganz gezielt bestimmte Elemente einer Webseite, wie z. B. Überschriften oder Seitenregionen, ansteuern kann. Dass das funktioniert ist auch enorm wichtig, da man ja einen Online-Shop nicht wie einen Krimi von oben nach unten durchliest. Hier möchte man Produkte durchstöbern oder gezielt bestimmte Produkte einkaufen, ohne sich Tage mit der Funktionsweise des Online-Shops auseinandersetzen zu müssen. Das muss auch bei der Nutzung eines Online-Shops mit einem Screenreader möglich sein.

Hinzu kommt, dass der Abschluss eines Bezahlvorgangs eine sensible Angelegenheit ist. Hier möchten auch Nutzende, die die Webseite nicht oder nicht richtig sehen, sichergehen, dass sie das richtige Produkt in der richtigen Stückzahl zum richtigen Preis erwerben. Gerade der Bezahlvorgang macht in der Praxis Probleme. Oft werden dafür externe Dienstleister eingebunden. Es braucht barrierefreie und nutzerfreundliche Online-Shops, die in der gesamten Abfolge eines Online-Kaufs funktionieren.

Produkttexte und Suchergebnisse – darauf kommt es an

Welchen Stellenwert hat die Gestaltung von Produktbeschreibungen?

Die Produktbeschreibung ist das A und O, wenn ich mich über ein Produkt informieren möchte. Daher ist es wichtig, dass sie informativ formuliert und barrierefrei zugänglich ist. Auf Basis der Produktbeschreibung muss ich mich für oder gegen einen Kauf entscheiden können. Produktbeschreibungen in Online-Shops werden häufig durch Produktfotos ergänzt. Alles, was im Absatz vor oder nach einem Produktfoto beschrieben wird, muss nicht im Alternativtext gedoppelt werden. Sind alle notwendigen Informationen in der Produktbeschreibung vorhanden, kann der Alternativtext eine rein identifizierende Funktion haben – also z. B. „Vorderansicht Hose X“.

Eine ausführliche Produktbeschreibung hat auch einen Mehrwert für alle, weil Produktfotos abhängig von Lichtverhältnissen und Ausgabegerät im Detail manchmal schwer zu erkennen sind. Zur barrierefreien Gestaltung von Produktbeschreibungen gehört z. B., dass Überschriften als solche ausgezeichnet sind, dass es einen ausreichenden Kontrast zwischen Text und Hintergrund gibt oder dass Schriftart und -größe gut leserlich sind (siehe leserlich.info).

Welche Herausforderungen gibt es bei der Darstellung und bei den Auswahlmöglichkeiten von Produkten, etwa in Kategorien oder Suchergebnissen?

Die Filterfunktionen von Online-Shops müssen via Tastatur navigierbar und bedienbar sein. Das heißt auch, dass unter Nutzung eines Screenreaders wahrnehmbar sein muss, welche Filter aktuell gesetzt sind. Auch Suchergebnisse sollten navigierbar sein, indem sie zum Beispiel als Liste ausgezeichnet sind. Wenn Produkte dynamisch einer Liste hinzugefügt werden, muss auch für Nutzende mit Screenreader die Orientierung erhalten bleiben. Es gibt unterschiedliche technische Anforderungen, die hier zu berücksichtigen sind.

Über die technischen Aspekte hinaus ist aber wichtig, dass bei der Darstellung von angebotenen Produkten und Dienstleistungen auch über deren barrierefreie Nutzbarkeit informiert wird.

Können Sie ein Beispiel für eine besonders gut zugängliche Website nennen und erklären, was diese auszeichnet?

Statt eine konkrete Webseite zu nennen, deren Barrierefreiheit gegebenenfalls mit dem nächsten Relaunch wieder anders bewertet werden müsste, würde ich gern generell auf die Gelingensbedingungen für eine gute barrierefreie Webseite eingehen. Eine gute Zugänglichkeit erreicht man, wenn man die Standards der digitalen Barrierefreiheit bei der Konzeption mitdenkt, bei der Entwicklung umsetzt und bei der Pflege von Online-Shops beibehält. Der wichtigste Standard ist die Europäische Norm EN 301549 für barrierefreie IKT-Produkte und Dienstleistungen. Sie ist für den Online-Handel ab 28. Juni 2025 verpflichtend und enthält behinderungsübergreifende Anforderungen an die digitale Barrierefreiheit. Diese Anforderungen betreffen sowohl die Programmierung als auch das Design und den Content von Online-Shops. Wichtig ist, diese Anforderungen aus der Europäischen Norm systematisch abzuprüfen und darüber hinaus Nutzungstests mit Menschen mit Behinderungen durchzuführen, um sicherzugehen, dass alles auch bei Verwendung von Hilfsmitteln wie Screenreader oder Vergrößerungssoftware gut funktioniert.

Das barrierefreie Angebot muss sich generell verbessern

Gibt es weitere Stellschrauben im Online-Handel, beispielsweise im Kundenservice oder bei der Logistik, die aus Ihrer Sicht noch verbessert werden sollten?

Es geht aus unserer Sicht ganz grundsätzlich darum, die Belange von Menschen mit Behinderungen mitzudenken und sie als Kundinnen und Kunden ebenso anzusprechen. Dazu muss das Thema Barrierefreiheit in den unterschiedlichen Prozessen durchdekliniert werden. Das kann zum Beispiel im Bereich der Logistik heißen, einen Versanddienstleister auszuwählen, dessen Webseite und dessen digitale Paketverfolgung barrierefrei funktionieren.

Was muss sich Ihrer Meinung nach im Netz und beim Online-Shopping in den nächsten Jahren noch deutlich verbessern?

Die Palette der barrierefreien Produkte und Dienstleistungen muss sich deutlich vergrößern. Was nützt der beste Online-Shop, wenn die darin angebotenen Haushaltsgeräte nicht barrierefrei nutzbar sind oder mein Paket an eine Paketstation geliefert wird, die nicht barrierefrei nutzbar ist. Hier ist viel Luft nach oben.

Vielen Dank für das Gespräch! 

Artikelbild: http://www.depositphotos.com

Veröffentlicht: 06.11.2024
img Letzte Aktualisierung: 06.11.2024
Lesezeit: ca. 6 Min.
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Hanna Behn

Hanna Behn

Expertin für Handel & Unternehmertum

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