Auf den ersten Blick wirkt die Teilzeitkrankschreibung wie ein Heilsversprechen. Wenn man halbkrank ist, wieso nicht halbtags arbeiten? Endlich eine Lösung für all jene Erkältungsviren, die nicht stark genug sind, um uns komplett lahmzulegen, aber dennoch ausreichen, uns den Arbeitstag zu vermiesen. Ein Segen für alle, die irgendwo zwischen Hustenanfall und Homeoffice feststecken, während die To-do-Liste drängelt. Doch bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass der Vorschlag mehr Komplexität birgt als eine einfache Erkältungsmedizin.
Statt „Ganz oder gar nicht“ ein „Ja, aber nur ein bisschen“?
Eine fiebrige Grippe oder der Hexenschuss sind ohne Wenn und Aber Gründe, um im Bett zu bleiben. Doch was tun, wenn der Hals kratzt und der Kopf drückt? Aus lauter Pflichtgefühl tauchen viele trotzdem am Arbeitsplatz oder im Homeoffice auf – oft nicht besonders produktiv, dafür potenziell ansteckend und mit deutlich gedrosseltem Elan. Der Teilzeitkrankschreibung muss man also ihren Wunsch nach einem Mittelweg durchaus zugutehalten. So könnten wir, wie mancher träumt, „halbtags ausruhen, halbtags arbeiten“, sprich: die Aufgabenliste etwas im Zaum halten und trotzdem auf die eigenen Bedürfnisse achten.
Für Unternehmen könnte das mehr Stabilität und Kontinuität im Betrieb bedeuten und weniger Stress durch plötzlich ausfallende Mitarbeiter. Ein halb anwesender Mitarbeiter ist immerhin besser als ein ganz abwesender – zumindest in der Theorie. In Zeiten von Remote Work ließe sich das sogar recht flexibel gestalten. Ein wenig Arbeit von der Couch aus, der Rest des Genesungsprozesses im Bett – warum nicht? Doch steckt hinter diesem Modell wirklich die Lösung für alle?
Krank ist krank – oder doch nicht?
Genau hier wird es knifflig: Wann gilt man eigentlich als „halb krank“? Wird der Arzt jetzt gefragt, ob die Diagnose eher nach drei Stunden Arbeit klingt oder vielleicht doch nach fünf? Die medizinische Beurteilung könnte dadurch fast zur Rechenaufgabe mutieren. Und wie genau definiert man, ob jemand fit genug ist, um ein paar Stunden Excel-Tabellen zu pflegen, aber nicht für ein Team-Meeting? Gerade in Zeiten der Digitalisierung scheint eine solch differenzierte Diagnose illusorisch. Man ahnt förmlich den Papierkrieg und die endlosen Bescheinigungen, die Bürokraten beglücken, aber Patientinnen und Patienten und die Ärzteschaft frustrieren dürften.
Der schmale Grat zwischen „noch fähig“ und „schon zu krank“
Neben der organisatorischen Frage steht ein weiteres Problem im Raum: die psychologische Kehrseite. Würden Angestellte sich mehr denn je verpflichtet fühlen, auch „halbkrank“ zu arbeiten? Eine schleichende Verschiebung könnte drohen, in der sich das Recht auf Erholung und Genesung verflüchtigt und der „Halbtags-krank-Arbeitsdruck“ zu einer unausgesprochenen Norm wird.
Das „Recht auf Kranksein“, das Recht auf vollständige Erholung, könnte so einer neuen Grauzone weichen, in der Mitarbeitende zwischen Pflichtgefühl und Selbstfürsorge balancieren, ohne sicher zu sein, wann es okay ist, einfach mal ganz auszusetzen. So gut der Ansatz auch klingt: Eine Kultur, in der die Frage „Bist du krank oder halbkrank?“ zur Routine wird, könnte langfristig mehr stressen als erleichtern.
Gesundes Gleichgewicht – oder kranke Idee?
Bleibt die Frage, ob die Teilzeitkrankschreibung tatsächlich das Arbeitsmodell der Zukunft sein könnte – oder nur eine gut gemeinte Idee mit zahlreichen Stolperfallen. Sicher ist: In bestimmten Fällen mag sie durchaus sinnvoll sein. Aber als allgemeine Lösung? Fraglich. Denn die Vorstellung, dass der Gesundheitsminister quasi zum Personalchef avanciert und für jeden Nieser und jeden Kopfschmerz eine „Teilzeit-Lösung“ parat hat, klingt mehr nach Bürokratie als nach echter Entlastung. Sie bietet somit vermutlich nur eine vermeintliche Lösung für halbkranke Tage, könnte aber eine neue Kultur des „Ich-bin-nicht-krank-genug-zum-Zuhausebleiben“ etablieren.
Vielleicht brauchen wir also weniger ein neues Modell für Krankschreibungen, als vielmehr eine neue Kultur, in der Arbeit und Erholung kein ständiger Balanceakt sind, sondern in gesundem Einklang stehen. Bis dahin bleibt die Teilzeitkrankschreibung vielleicht eher ein charmantes, aber kompliziertes Pflaster für die Baustellen unserer Arbeitswelt.
Artikelbild: http://www.depositphotos.com
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