Mit der neuen Mehrwertsteuerregelung will die EU Marktplätze mehr in die Pflicht nehmen, kleine Online-Händler entlasten, gleichzeitig Betrug bekämpfen und die Digitalisierung vorantreiben. Das sind hehre Ziele. Ob diese aber auch erreicht werden, ist offen, denn was in der Theorie gut klingt, dürfte in der Praxis wie so oft noch für einiges Kopfzerbrechen sorgen. Nicht umsonst plant die EU hier langfristig.
Grundsätzlich ist eine Renovierung der Mehrwertsteuerregeln im grenzüberschreitenden Handel überfällig. Steuerexperte Roger Gothmann von Taxdoo verrät im Interview, worauf sich Händler:innen in Zukunft einstellen müssen, warum noch ein One-Stop-Shop nicht unbedingt die beste Idee ist und welche Stellschrauben der Pläne noch für Fragezeichen sorgen dürften.
Sinkende Hürden
OHN: Vielleicht erstmal positiv: Was ist gut an der neuen EU-Mehrwertsteuerrichtlinie?
Roger Gothmann: Wer als Online-Händler international verkauft und das Thema Umsatzsteuer sicher und effizient lösen will, weiß, wie kompliziert die Regeln dafür sind. Das wird mit der neuen EU-Mehrwertsteuerrichtlinie einfacher. Wer z. B. aktuell auf ein grenzüberschreitendes Fulfillment, wie z. B. Amazon Pan EU, CEE oder Zalando Fulfillment setzt, wird bald keine lokalen steuerlichen Registrierungen im EU-Ausland benötigen und damit einiges an laufenden Kosten sparen. Die Hürden für den internationalen Versand sinken also.
Die Richtlinie soll Marktplätze in die Pflicht nehmen und kleine Online-Händler entlasten. Ist davon auszugehen, dass das klappt?
Gothmann: Die Entlastung kleiner Online-Händler ist positiv hervorzuheben. Wir werden darauf gleich noch beim Thema One-Stop-Shop eingehen. Da bin ich auch positiv gestimmt, dass das funktionieren wird. Die erweiterten Pflichten der Marktplätze werden leider nicht so kommen, wie es angedacht war. Während der jahrelangen Verhandlungen zur neuen EU-Richtlinie stand zur Disposition, dass Marktplätze zukünftig immer die Umsatzsteuer für alle Online-Händler abführen. Das wäre für viele – gerade international tätige Händler – eine enorme Erleichterung gewesen. Allerdings hätte es auch große Marktplätze, wie z. B. Amazon, im Verhältnis zu den kleineren Marktplätzen bevorteilt, weil die Umsetzung mit einem hohen finanziellen und technischen Aufwand verbunden ist. Viele kleinere Marktplätze wären daran vermutlich gescheitert, sodass es diese Neuregelung auch aus wettbewerbsrechtlichen Aspekten in den letzten Verhandlungsrunden nicht in die neue Richtlinie geschafft hat.
OSS mal vier
Mehrwertsteuermeldepflichten für grenzüberschreitende Transaktionen sollen mit einem Mehrwertsteuer-One-Stop-Shop vollständig digitalisiert werden, dabei soll jede grenzüberschreitende Transaktion in Echtzeit digital gemeldet werden. Das klingt jetzt nicht unbedingt nach weniger Aufwand.
Gothmann: Das klingt auf den ersten Blick einfacher, als es tatsächlich wird. Den One-Stop-Shop haben wir ja bereits seit dem 1. Juli 2021. Dieser greift aktuell nur für eine einzige Transaktionsart: internationale B2C-Verkäufe innerhalb der EU. Wer Warenlager von Amazon oder Zalando im EU-Ausland nutzt, der weiß: Da kommt man mit dem OSS nicht weit. Man braucht immer noch zusätzlich in jedem Lager-Staat eine lokale steuerliche Registrierung und einen lokalen steuerlichen Vertreter.
Das wird ab dem 1. Juli 2028 wegfallen. Dann wird es insgesamt vier One-Stop-Shops geben, über die die Händler dann die restlichen Transaktionen im EU-Ausland melden können. Der lokale Steuerberater im EU-Ausland fällt zwar weg. Allerdings muss man dann vier OSSe orchestrieren. Wer aktuell schon bei dem einen merkt, wie aufwändig das sein kann, der wird diesen Aufwand ab Mitte 2028 also in vierfacher Form haben. Warum eigentlich vier OSSe? Die Antwort ist einfach: Die Finanzverwaltung kann faktisch immer nur eine Transaktionsart pro One-Stop-Shop abbilden.
Die Meldungen in Echtzeit sollen in einer Phase zwischen 2030 und 2032 umgesetzt werden. Wir sprechen hier also über fünf bis sieben Jahre – Stand heute.
OSS mal vier:
- internationale B2C-Verkäufe innerhalb der EU (gibt es schon seit dem 1. Juli 2021)
- lokale Verkäufe im EU-Ausland (z. B. aus einem Amazon-Lager in Frankreich an einen französischen Endverbraucher)
- innergemeinschaftliche Verbringungen (also die Warenumlagerungen zwischen den Amazon-Lagern)
- Vorsteuer
Mit den Neuerungen soll auch Mehrwertsteuerbetrug bekämpft werden. Wie soll das funktionieren?
Gothmann: Dreh- und Angelpunkt ist die Meldung der Transaktionsdaten in quasi Echtzeit an die Finanzverwaltung. Wenn es der Verwaltung gelingen sollte, auf diese gewaltigen Datenströme ein automatisiertes Risikocontrolling aufzusetzen, könnte sie fast in Echtzeit Steuerbetrug im E-Commerce identifizieren. Das klingt zu gut, um wahr zu sein? Ja, vermutlich ist es das. Warum? Alle großen Marktplätze von Airbnb, Amazon, Ebay bis Zalando müssen bereits seit 2023 umfassende Transaktions- und Zahlungsdaten einmal im Jahr an die Finanzbehörden (in Deutschland das BZSt) melden. Wirklich etwas mit den Daten gemacht hat dort niemand. Die verstauben dort gerade mehr oder weniger, weil die Technologie dafür und vor allem die Spezialisten für die Auswertungen fehlen. Die arbeiten lieber für das x-fache Gehalt bei Google, OpenAI oder Microsoft.
Absolute Großprojekte
Die Aktualisierung der Mehrwertsteuerrichtlinie ist bereits seit 2022 in Planung, ab 2030 sollen die neuen Regeln gelten – 8 Jahre für ein vermeintlich einfacheres Mehrwertsteuerverfahren. Warum dauert das so lange?
Gothmann: Die Finanzverwaltung muss die dafür erforderlichen elektronischen Plattformen und Schnittstellen bauen. Das sind aus ihrer Sicht absolute Großprojekte, die diese Zeit brauchen werden. Ich würde sogar behaupten, dass die Finanzverwaltung aufgrund der Komplexität und der gewaltigen Datenmengen hier Neuland betritt, sodass ich nicht darauf wetten würde, dass 2030 bzw. 2032 in Stein gemeißelt sind.
Vielen Dank für das Gespräch!
Artikelbild: http://www.depositphotos.com
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