Dass ausgerechnet die Europäische Union mit ihrer Novelle der Mehrwertsteuerrichtlinie auf EU-Ebene einen großen Schritt in Richtung Bürokratieabbau gehen könnte, dürfte in der vergangenen Woche auch den größten Kritikern ein überraschtes „Na guck mal an!“ entlockt haben. Sollte es denn tatsächlich so kommen, dass die großen Marktplätze stärker in die Pflicht genommen werden und vor allem, dass Unternehmen mit einem funktionierenden One-Stop-Shop Mehrwertsteuerpflichten über ein komfortables Online-Portal abwickeln können, dann wäre das tatsächlich mal ein, nun, Mehrwert, der der gedachten Zielgruppe auch hilft.
Wir bleiben vorerst freilich im Konjunktiv, denn bis zum Jahr 2030, wenn die Regelungen final stehen sollen, werden noch viele Politiker mit dem Kampfbegriff „Bürokratieabbau“ um sich geworfen haben. Man kann in diesem verkürzten Winterwahlkampf zur vorgezogenen Bundestagswahl 2025 mithin das Gefühl bekommen, dass der Bürokratieabbau die eierlegende Wollmilchsau für die Wirtschaft wird – denn bei dem alleskönnenden Fantasienutztier weiß auch niemand, wie es eigentlich funktionieren soll.
„Entrümpelung“, „Praxis-Check“ und „Burnout“
Wer sich dieser Tage die Duelle, Quadrelle und Wahlarenen angeschaut hat, wer sich die Spitzenkandidat:innen auf ihren Parteitagen und in Talkshows angehört und Wahlprogramme gelesen hat, wurde im Akkord mit dem Kampf gegen die Bürokratie konfrontiert, der ja nun wirklich endlich mal angepackt gehört, wie es allenthalben heißt. Die Ideen und Forderungen sind in der Regel aber ähnlich konkret wie der Begriff selbst.
Die CDU setzt auf „Entrümpelungsgesetze und Bürokratie-Checks“, die SPD will die „Vereinfachung und Digitalisierung von Dokumentations- und Berichtspflichten“, genau wie die Grünen, und beide wollen einen „Praxis-Check“ für neue Gesetze. Die AfD will diverse Gesetze gleich ganz abschaffen und hat das Problem ohnehin auf EU-Ebene ausgemacht, genau wie die FDP, die den „Bürokratie-Burnout“ mit einer „Bürokratiebremse im Grundgesetz“ im Bundestag bekämpfen will.
Konkreter wird's nicht
Das soll für Unternehmer:innen alles ganz wunderbar klingen, die dürften sich aber zu Recht fragen, wie das denn konkret umgesetzt wird. Phrasendrescherei hat noch keine Berichtspflicht vereinfacht. Die „etablierten“ Parteien hatten in den vergangenen Jahrzehnten wahrlich genug Zeit und Regierungsmacht, an konkreten Maßnahmen zu einem echten Bürokratieabbau zu arbeiten und werfen in diesem Highspeed-Wahlkampf doch wieder nur mit wohlfeilen Allgemeinplätzen um sich. Dass man von der AfD kaum konkrete Vorschläge, sondern vor allem Wettern gegen den Status Quo erwarten darf, ist ohnehin keine Überraschung.
Allen Parteien gemein ist ein diffuses, wenig sinnstiftendes Abarbeiten an bürokratischen Problemen, die über Jahrzehnte gewachsen sind. Der Allgemeinplatz „Bürokratieabbau“ wird mit dem Allgemeinplatz „Digitalisierung“ abgehakt und damit wird es schon gut sein. Man darf gespannt sein, ob die künftige Regierung den „Praxis-Check“ beim Bürokratieabbau besteht. Darauf wetten sollte man nicht.
Artikelbild: http://www.depositphotos.com
Kommentar schreiben
Antworten
Ihre Antwort schreiben
Antworten
Ihre Antwort schreiben