Beispiel: Lukas verkauft online Schuhe. Schuhe sind kein Produkt, was barrierefrei gestaltet werden muss, damit fällt er also nicht unter das BFSG. Allerdings bietet er eine elektronische Dienstleistung an, nämlich den Kauf über das Internet über einen automatischen Bestellablauf, die sogenannte Dienstleistung im elektronischen Geschäftsverkehr. Damit fällt er, zumindest was seinen Shop angeht, unter das BFSG und muss diesen barrierefrei gestalten. Für seine angebotenen Produkte ändert sich nichts.
Das BFSG enthält keine Generalklausel, das bedeutet, dass wirklich nur die genannten Produkte und Dienstleistungen barrierefrei zu gestalten sind. Ausgenommen ist also der komplette B2B-Handel, denn nur Verbraucherprodukte beziehungsweise Verbraucherinnen und Verbrauchern angebotenen Dienstleistungen unterfallen dem BFSG. Jedem Unternehmen steht es jedoch frei, seine Produkte und Dienstleistungen, die ausgenommen sind, freiwillig barrierefrei anzubieten.
Allerdings gibt es weitere Ausnahmen.
Sonderregelungen für Kleinstunternehmen
Das BFSG fügt sich in eine Reihe von Regulierungen ein, die in den letzten Jahren verstärkt wurden. Es ist nachvollziehbar, dass sich viele Unternehmen von diesen Anforderungen überwältigt fühlen. Die Anpassung bestehender Systeme und Prozesse erfordert Zeit, Ressourcen und oft auch eine grundlegende Veränderung des Denkens. Mit großer Sorge wurde das BFSG vor allem von kleinen Unternehmen beäugt und wir wurden in der letzten Zeit immer wieder gefragt, ob es nicht eine Ausnahme gäbe. Und tatsächlich gibt es eine Entlastung für sogenannte Kleinstunternehmen.
Kleinstunternehmen sind Unternehmen, die maßgebliche Dienstleistungen anbieten und
- weniger als zehn Personen beschäftigen
und die entweder
- einen Jahresumsatz von höchstens 2 Millionen Euro erzielen oder
- deren Jahresbilanzsumme sich auf höchstens 2 Millionen Euro beläuft.
Die Pflicht zur barrierefreien Gestaltung gilt also nicht für Dienstleistungen (z. B. Online-Shops) aus sogenannten Kleinstunternehmen. ABER: Diese Ausnahme gilt nicht in Bezug auf die maßgeblichen Produkte (s. o.). Diese sind nicht vom BFSG ausgenommen. Zur Verdeutlichung ein Beispiel.
Beispiel: Susanne verkauft online Elektronikartikel, darunter auch Spielekonsolen. Sie beschäftigt weder Personal noch hat sie einen nennenswerten Umsatz. Mit ihrem Online-Shop als solches fällt sie somit nicht unter das BFSG, sie muss ihn als kleine Unternehmerin nicht barrierefrei gestalten. Aber sie kann sich ihr Sortiment betreffend nicht auf die Ausnahme berufen. Sie darf in ihrem nicht-barrierefreien Online-Shop trotzdem nur barrierefreie Spielkonsolen anbieten.
Nicht zu vergessen ist jedoch, dass Kleinstunternehmen, die sich auf die Ausnahme berufen wollen, trotzdem Dokumentationspflichten haben. Diese Pflicht umfasst eine Erklärung, warum sich das Unternehmen auf diese Ausnahme berufen will. Gegenüber der Behörde (diese befinden sich derzeit in den jeweiligen Bundesländern in der Aufstellung) muss dann auf Nachfrage mitgeteilt werden, warum man sich auf diese Ausnahme beruft und entsprechende Belege sind ggf. vorzulegen.
Ausnahme: Unverhältnismäßige Belastung
Zudem hat das Gesetz noch eine weitere Ausnahme geschaffen für alle, die mit der Kleinstunternehmerregelung nicht weiter kommen. Die Barrierefreiheitsanforderungen sollen nur insoweit gelten, als deren Einhaltung nicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung führen würde. Die Kriterien für die Beurteilung der unverhältnismäßigen Belastung sind wie so oft sehr starr und für den Laien kaum verständlich (siehe Anlage 4). Die geschätzten Kosten für die Herstellung und Sicherstellung der Barrierefreiheit werden hierbei mit dem Nutzen für Menschen mit Behinderung in einer komplexen Berechnung ins Verhältnis gestellt.
Ausnahme: Wesentliche Veränderung
Außerdem müssen Verantwortliche die Barrierefreiheitsanforderungen dann nicht einhalten, wenn die Umsetzung des BFSG zu einer grundlegenden Veränderung des Produkts oder der Dienstleistung führen würde. Dies wäre zum Beispiel der Fall, wenn die Einhaltung der Barrierefreiheitsanforderungen, etwa durch den Einsatz einer neuen Technologie oder Software, die Leistungsfähigkeit des Produktes in einem solchen Ausmaß beeinflussen würde, dass es nicht mehr den beabsichtigten Zweck erreichen kann, heißt es in den BFSG-Leitlinien. Allerdings dürfte dies nur herstellende Unternehmen betreffen, und weniger kleine Unternehmen, die die Artikel lediglich weiterverkaufen.
Warum eine barrierefreie Webseite trotzdem ein Vorteil ist
Viele Leserinnen und Leser werden nun zunächst erfreut sein, dass sie nicht erneut strenge Vorschriften umsetzen müssen. Das Thema Barrierefreiheit ist aber mindestens einen zweiten Gedanken wert, wenn man sich aktuelle Zahlen anschaut: In Deutschland leben rund 7,8 Millionen Menschen mit einer schweren Behinderung. 80 Prozent der Menschen mit Behinderung in Deutschland nutzen das Internet.
Schaut man sich einmal gezielt um, ist der Bestand an wirklich brauchbaren barrierefreien Online-Shops jedoch Mangelware. Trotz aller technischen Möglichkeiten halten es viele Shops für überflüssig, in die Zugänglichkeit zu investieren. Dabei bedeutet Accessibility auch gleichzeitig Usability – und die nützt allen. Unternehmen, die barrierefreie Dienstleistungen anbieten, erschließen nicht nur größere Absatzmärkte und erhalten Wettbewerbsvorteile. Sie sind auch gut für die Zukunft aufgestellt, weil Google derartige Bemühungen langfristig belohnt. Das sollte Verantwortliche veranlassen, loszulegen.
Wie das geht, werden wir in den kommenden Wochen in unserer Themenreihe erklären. Angefangen mit der konkreten Umsetzung der Barrierefreiheit im Shop schauen wir uns im Folgenden an, welche neuen Informationspflichten betroffene Shops (in ihren AGB) erfüllen müssen oder welche Sanktionen drohen, wenn man sich nicht ans BFSG hält.
Artikelbild: http://www.depositphotos.com
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