Fritz ist sauer. So richtig sauer. Bis vor Kurzem hat er noch einen kleinen Laden betrieben, in dem er Kameras und allerhand Dinge rund um die Fotografie angeboten hat. Das Geschäft lief gut, aber man muss und will sich ja weiterentwickeln. Deshalb hat er kurzerhand einen Online-Shop gestartet und dort die Ware angeboten. Die erste Bestellung geht ein, eine schöne teure Spiegelreflexkamera wandert über die virtuelle Ladentheke und macht sich auf zu ihrem Empfänger. Doch die auf der Rechnung genannten fälligen Kosten will der Käufer einfach nicht bezahlen. Es kommt und kommt zu keinem Geldeingang. 

Naja, denkt sich Fritz, hole ich mir halt professionelle Unterstützung. Gemeinsam mit seinem Nachbarn macht er sich auf den Weg zum Käufer der Kamera. Dieser wird sogleich von beiden kopfüber geschüttelt, bis das Geld aufhört zu rieseln, die Kamera und die um die Ecke schauende Perserkatze des Käufers nehmen die beiden auch noch mit – Forderung so gut wie beglichen, denken sie.

„Früher litten wir an Verbrechen, heute an Gesetzen“

Dass man ganz glücklich damit sein kann, heute nicht mehr unter dem lange vor der Existenz von Spiegelreflexkameras gepflegten Faustrecht zu leben, finden vermutlich auch die Leser dieses Artikels. Heute gibt es allgemeine und gesetzte Verhaltensregeln, an denen wir uns orientieren können. Es gibt eine gewisse Ordnung und es gibt Rechtssicherheit – schon dadurch, dass bestimmte Verhaltensregeln für jedermann grundsätzlich verbindlich festgehalten sind.

Mit diesem Recht werden Konflikte vielleicht nicht immer wirklich gelöst – aber sie können entschieden werden. Dass dieses Recht auch durchgesetzt werden kann, darum kümmern sich heute in aller Regel die Gerichte. Sein persönliches Recht kann man zwar auch abseits dieser meist entweder sehr schönen oder sehr hässlichen Gebäude suchen, doch wenn es hart auf hart kommt, dann „trifft man sich vor Gericht“. Das Zitat „Früher litten wir an Verbrechen, heute an Gesetzen“ soll übrigens aus der Feder des römischen Senators und Historikers Tacitus stammen.

Gerichtsurteile – am Zahn der Zeit

So viel zur abstrakten Theorie. Für Online-Händler spielt die Tätigkeit von Gerichten eine nicht ganz irrelevante Rolle hinsichtlich ihrer Tätigkeit. Wie in allen anderen Lebensbereichen gibt es hier Gesetze bzw. Verhaltensregeln – mit Konsequenzen bei Verstößen. Das erleben Unternehmer wie Händler etwa dann, wenn es zu einer Abmahnung kommt, oder womöglich schlimmer: wenn eine Klage zugestellt wird. Aus juristischer wie nicht-juristischer Sicht gibt es hier sicherlich eine Menge zu erzählen, auszutauschen und zu kritisieren. Hier widmen wir uns aber mal der praktischen Seite.

Online-Händler wissen: Nur weil es für ein bestimmtes Verhalten eine Abmahnung gibt, muss die noch lange nicht gerechtfertigt sein – auch wenn völlig sinnfreie Abmahnungen tendenziell weniger vorkommen. Der Gewinn an Erkenntnis aus solchen Schreiben hält sich für die Allgemeinheit eher in Grenzen. Anders aber kann es mit solchen Schriftsätzen aussehen, über die auch Besucher von OnlinehändlerNews regelmäßig stolpern: Urteile. Da gibt es diese Menschen, die regelmäßig über die Probleme anderer Leute urteilen. Das macht vermutlich sogar der Großteil aller Menschen. Die förmlichen Urteile aber, die durch Richter ausgesprochen werden und um die es hier geht, haben dagegen eine ganz eigene Bedeutung. Ein Hammer, wie oben auf dem Titelbild, wird übrigens vor allem in den USA eingesetzt. In deutschen Gerichten ist diese Praxis eher unüblich. 

Wenn es von Vorteil ist, Recht zu haben – Urteile

Sich den Hintergrund gerichtlicher Urteile herzuleiten, das ist auf verschiedene Weise möglich und entzückt jeden Juristen, der sich aufs Staatsrecht fokussiert. Will man jedenfalls sichergehen, dass nicht der Gegner selbst seine eigene Interpretation der nötigen Rechtsfolge auslebt und damit – nicht nur sprichwörtlich – ein blaues Auge riskiert wird, sondern nach einem allgemeingültigen Rahmen entschieden wird, ist eine unabhängige Rechtsprechung eine super Sache. Im Zivilrecht wird solch ein gerichtlicher Prozess ausgelöst, wenn ein Streitbeteiligter das möchte – und natürlich die prozessualen Bedingungen gegeben sind. 

Welches Gericht ist zuständig?

Im Normalfall hat Fritz aus der einleitenden fiktiven Beispielgeschichte nicht die Wahl: Ein Gericht kann er sich nicht einfach aussuchen, sondern es ergeben sich Zuständigkeiten. Streitet man privat, also etwa Fritz mit dem Käufer, dann geht der Weg vor die ordentlichen Gerichte – Amtsgericht, Landgericht, Oberlandesgericht und Bundesgerichtshof. Sind staatliche Parteien beteiligt, wie etwa im Verwaltungsverfahren, sind die Verwaltungsgerichte zuständig, in Finanzsachen die Finanzgerichte, in Arbeitssachen die Arbeitsgerichte und so weiter. 

Bei der Zuständigkeit des Gerichtes gibt es zwei verschiedene Aspekte: Die örtliche Zuständigkeit und die sachliche Zuständigkeit. Wendet sich Fritz mit der Klage, den Kaufpreis für die Kamera zu erhalten, an ein Arbeitsgericht, ist das offensichtlich sachlich nicht zuständig. Je nachdem, wie teuer die Kamera bzw. wie hoch die Forderung von Fritz ist, wäre ein Amts- oder Landgericht zuständig. Mit Ausnahme bestimmter Rechtsgebiete wie dem Mietrecht, sind bis 5.000 Euro Streitwert die Amtsgerichte zuständig – hier könnte sich Fritz sogar selbst vertreten, wenngleich fraglich ist, ob das eine gute Idee ist. Bei Landgerichten besteht dann ein Anwaltszwang. 

Die örtliche Zuständigkeit ist relativ komplex. Grundsätzlich ist das Gericht zuständig, an dem der Beklagte seinen Sitz hat. Es gibt aber diverse davon abweichende Regeln. 

Der fliegende Hollä… Gerichtsstand

Der fliegende Holländer – ein Kapitän, der wegen eines Fluches in keinen Hafen einlaufen darf und deshalb auf den Weltmeeren herumirrt. Damit hat der sogenannte fliegende Gerichtsstand wenig zu tun, ist für manch eingefleischten Online-Händler aber ebenfalls schauderhaft. Es geht darum, dass sich der Kläger den Gerichtsstand praktisch aussuchen kann. Weiß nun der Kläger anhand von Beispielen aus der Vergangenheit, dass ein bestimmtes Gericht eher in seinem Sinne entscheiden könnte, sucht er sich natürlich das aus. Aber wie kann es dazu kommen?

Wo sich eine Menge spezieller Regelungen für die örtliche Zuständigkeit ergeben, sind auch jene Ansprüche betroffen, die sich aus unlauterem Wettbewerb nach dem UWG ergeben, inhaltlich quasi die „Abmahnansprüche“. Auch hier liegt der allgemeine Gerichtsstand am Sitz des Gegners. Für Mitbewerber ergibt sich allerdings eine Alternative – der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung. Demnach ist das Gericht zuständig, in dessen Bereich eine unlautere geschäftliche Handlung begangen wurde. Es handelt sich quasi um das Prinzip des Tatorts. Schließlich ist es von Vorteil, wenn ein orts- und beweisnahes Gericht urteilt. 

Gesetz gegen Abmahnmissbrauch

Wenn man sich nun fragen will, wie sich ein klagender Mitbewerber im Bereich unlauterer Wettbewerb im E-Commerce deswegen praktisch ein Gericht aussuchen kann, kommt es also auf den Ort der Verletzungshandlung, den „Tatort“ an. Und wo ist der im Internet? Genau: Mehr oder weniger überall, oder? Der Kläger kann sich im Bundesgebiet quasi ein Gericht aussuchen, die juristische Argumentation ist natürlich detailreicher als hier. Ob das mit Blick auf den E-Commerce gerechtfertigt ist, wird durchaus kritisiert. Immerhin können auch für den Beklagten dadurch erheblich höhere Kosten entstehen, so durch eine notwendige Reise. Zumindest der Vorteil des beweis- und ortsnahen Gerichts scheint hier eigentlich eher irrelevant.

Ob Händler sich noch lange mit dem fliegenden Gerichtsstand abfinden müssen, erscheint dabei aber unsicher. Das Gesetz für den fairen Wettbewerb und gegen Abmahnmissbrauch will sich auch mit diesem Thema befassen. Hier stand der Gesetzgebungsprozess nun länger still. Mitte Juli 2020 wurde jedoch bekannt, dass das Gesetz noch in diesem Jahr verabschiedet werden soll

Instanzen – Kann ich bitte mit dem Manager sprechen?

Instanzenzug v2

Hat der Richter gesprochen und das Urteil gefällt nicht, dann geht es eben weiter. Naja, mit dem Gefallen hat ein Rechtsmittel eher wenig zu tun. Ist beispielsweise Fritz mit dem Urteil unzufrieden aus irgendwelchen Gründen, etwa weil der Richter in seinen Augen einen Fehler gemacht hat, kann er ein Rechtsmittel einlegen. In der Regel überprüft dann das Gericht der nächsthöheren Instanz das Urteil. Grob vergleichen lässt sich das mit der Situation eines Kunden: Er ist unzufrieden, äußert das im Laden und erhält vom Kassierer nicht die gewünschte Aussage. Also verlangt er nach dem Manager, der sich dann den Fall nochmal anschaut.

Nach dem Urteil der ersten Instanz ist das regelmäßig die Berufung. Erging das erste Urteil an einem Amtsgericht, überprüft dann im Berufungsverfahren ein Landgericht dieses Urteil. Und das nicht nur mit Blick auf die rechtliche Bewertung, sondern auch auf die tatsächliche: Hier müssen auch nochmal Beweise erhoben werden, wenn die Parteien sie einbringen. 

Bei der Revision ist das anders. Dieses Rechtsmittel kann in der Regel gegen ein Berufungsurteil genutzt werden. Tatsachen werden hier nicht mehr überprüft, nur die rechtliche Anwendung bzw. Bewertung. Revisionsgericht ist übrigens immer der BGH. 

Der EuGH wird angerufen

Regelmäßig ergehen für Händler relevante Urteile auch beim Europäischen Gerichtshof (EuGH). Dieser gehört nicht zum üblichen Instanzenzug, sondern nimmt eine Sonderrolle ein: Bei sog. Vorabentscheidungsverfahren wird er von nationalen Gerichten der Mitgliedstaaten angerufen – das heißt wirklich so und hat nichts mit einem Telefon zu tun – da er für die Auslegung europäischen Rechts zuständig ist.

So geschah das zum Beispiel beim Thema Cookies: Der BGH sollte entscheiden. Dafür musste er jedoch wissen, wie die zu berücksichtigende EU-Cookie-Richtlinie auszulegen wäre. Die EuGH-Richter fällten im Oktober 2019 ihr Urteil, die BGH-Richter erfuhren die Auslegung und konnten wiederum ihr Urteil fällen. Den konkreten Fall selbst entschied der EuGH nicht, und das macht er auch sonst in den Vorabentscheidungen nicht. Die Richter klären hier vielmehr die allgemeine Rechtslage im Hinblick auf die Fragen, die ihnen die nationalen Richter gestellt haben. 

So eine Frage kann beispielsweise wie folgt aussehen: „Handelt es sich um eine wirksame Einwilligung im Sinne des Art. 5 Abs. 3 und des Art. 2 Buchst. f der Richtlinie 2002/58 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. h der Richtlinie 95/46, wenn die Speicherung von Informationen oder der Zugriff auf Informationen, die bereits im Endgerät des Nutzers gespeichert sind, durch ein voreingestelltes Ankreuzkästchen erlaubt wird, das der Nutzer zur Verweigerung seiner Einwilligung abwählen muss?“

Pozesskosten – wer verliert, der zahlt

Wird vor Gericht gestritten, fürchtet man in der Regel das Verlieren. Das bedeutet nicht nur, dass man keinen Anspruch hat, oder den eines anderen erfüllen muss, sondern dass auch Kosten für den Prozess an sich auf einen zukommen. Im Grundsatz gilt: Wer verliert, der zahlt. Zumindest im Zivilrecht. Und tatsächlich können diese Kosten erheblich sein. Sie setzen sich aus mehreren Posten zusammen und entscheiden sich in der Regel nach dem Streitwert. 

Dazu ein grobes Beispiel für ein einfaches Verfahren in der ersten Instanz:

Nehmen wir an, die Kamera von Fritz war relativ teuer. Der Streitwert liegt bei 2.800 Euro, was entscheidend für die Kosten ist. Will Fritz noch die Kosten der vorgerichtlichen Beratung durch den Anwalt ersetzt haben, so kann er diese im selben Verfahren fordern. Das würde den Streitwert entsprechend der außergerichtlichen Anwaltskosten erhöhen.

  • Bis 3.000 Euro Streitwert betragen die Kosten für das reine Gerichtsverfahren 324 Euro. Diese muss der Kläger in der Regel an das Gericht zahlen, bevor sich dieses überhaupt rührt.

  • Auch die Anwälte müssen für ihre Arbeit bezahlt werden. Wieviel sie bekommen, regelt das RVG, das Gesetz über die Vergütung von Rechtsanwält*innen. Für das Verfahren an sich würde Fritz' Rechtsanwalt 261,30 Euro erhalten. Kommt es zu einem oder mehreren Gerichtsterminen, werden hierfür einmalig und zusätzlich 241,20 Euro fällig. Zudem gibt es in der Regel noch eine Auslagenpauschale in Höhe von 20 Euro, für Porto- und Telefonkosten und ähnliches. Damit sind wir bei 522,50 Euro zuzüglich MwSt., insgesamt also bei 621,78 Euro. Nimmt sich auch die Gegenseite einen Anwalt, fallen dort die gleichen Kosten an.

  • Verliert nun Fritz den Prozess auf ganzer Linie, muss er für die gesamten Kosten aufkommen, also sowohl die Gerichtskosten als auch die Kosten der beiden Rechtsanwälte. Das Prozesskostenrisiko beträgt damit 1.567,56 Euro. 

Hierbei handelt es sich natürlich um ein Rechenbeispiel. Die tatsächlichen Kosten hängen von diversen Umständen ab, etwa der außergerichtlichen Beratung, ob ein Vergleich geschlossen wird oder ob Sachverständige hinzugezogen werden müssen. 

Wo kein Kläger, da kein Richter – Was beurteilen Richter überhaupt?

Man kennt es: Kaum klaut man einem kleinen Kind auf der Straße das Eis aus der Hand, steht ein Richter in wallender Robe hinter einem und verurteilt einen zum Schadenersatz – Schmerzensgeld bekommt das Kleine auch gleich.

So ist es natürlich nicht. Zivilrichter mischen sich nicht einfach in eine Streitigkeit ein. Da muss schon jemand hingehen (oder einen Brief schicken) und die Einleitung eines Verfahrens geltend machen, etwa mit der Übersendung einer Klageschrift. 

Das Gericht gibt dann der Gegenseite die Möglichkeit zur Stellungnahme. Und das ist schließlich wichtig: Woran man erstmal nicht denkt, ist die Frage, worüber denn das Gericht genau urteilt. Schließlich haben die Richter keine magische Richterbrille, mit der sie feststellen können, was tatsächlich passiert ist. In der Regel ist oft nicht nur die rechtliche Bewertung strittig, sondern auch der Ablauf der Dinge. Vielleicht behauptet beispielsweise Fritz' Käufer, die Kamera als Geschenk erhalten zu haben. 

Hat er nicht gesagt! Der Beibringungsgrundsatz

Im Zivilrecht gilt der Beibringungsgrundsatz: Der Richter erforscht nicht selbst den kompletten Sachverhalt, sondern er beurteilt das, was ihm vorgelegt, bzw. beigebracht wird. So müsste ein Beklagter etwa auch selbst vorbringen, dass der Anspruch des Klägers verjährt ist. 

Für Fritz ist es daher wichtig, alle Tatsachen zu nennen, die für ihn günstig wirken können. Ergibt dieses Vorbringen Sinn und könnten eine Klage begründen, geht es weiter – sonst nicht. Weil nun die Gegenseite stets auch einfach das Gegenteil behaupten kann, ist es wichtig, Beweise vorlegen zu können. Für die Aspekte, die für einen selbst günstig sind, ist man in der Regel auch beweispflichtig. Fritz könnte also zur Widerlegung der Aussage des Käufers, er hätte die Kamera als Geschenk erhalten, den Kaufvertrag vorlegen oder einen Zeugen benennen, sofern das möglich ist. Tut er das, bildet sich der Richter seine Überzeugung davon. Der Richter wird in vielen Fällen zunächst einen Vergleich anstreben, dazu ist er gesetzlich gehalten. Kommen die Parteien auf keinen grünen Zweig, dann kann es zum Urteil kommen.

Wir sehen uns vor Gericht! 

Kommen wir zurück zum Anfangsfall: In der Realität würde sich Fritz hoffentlich einen (rechtlichen) Beistand besorgen, der darum weiß, dass es vermutlich aus nachhaltiger Sicht nicht die klügste Entscheidung ist, den Käufer der Kamera auf die ganz persönliche Weise zur Zahlung des Kaufpreises zu bringen. Einsicht zeigt sich zwar nicht immer, aber eine Mahnung oder ein Anwaltsschreiben führen dennoch oft zum angestrebten Ziel. Offiziell wird die Sache mit einem Verfahren vor einem ordentlichen Gericht. So ein Urteil entfaltet dann auch eine Wirkung. Aber was heißt das überhaupt?

Was bedeutet ein Urteil für die Beteiligten?

Nehmen wir den Fall von Fritz als loses Beispiel. Er klagt gegen den Käufer vor Gericht. Beteiligt sind hier also Fritz, der Käufer – und das Gericht. 

Tatsächlich entfaltet das Urteil auch für das entscheidende, bzw. erkennende Gericht eine bindende Wirkung. Es muss sich an das selbst verkündete Urteil auch selbst halten, und darf es nicht mehr einfach korrigieren, selbst wenn die Richter vielleicht davon ausgehen würden, ein falsches Urteil gesprochen zu haben. Die Korrektur von Rechtschreibfehlern oder kleine Ergänzungen sind ausgenommen. Entscheidend für Fritz ist die Rechtskraft. Die Tatsache, dass irgendein Mensch in Robe etwas gesagt hat, bringt ihm sonst recht wenig – die Sache muss irgendwie endgültig sein, um den Rechtsfrieden herzustellen. 

Formell rechtskräftig – Im Zweifel zu lange gewartet

Bei der Rechtskraft muss man unterscheiden: Kann gegen ein Urteil kein Rechtsmittel, wie Berufung oder Revision (dazu später mehr) eingelegt werden, weil die entsprechende Frist abgelaufen ist, ist das Urteil formell rechtskräftig. Ist das passiert, lässt sich daran nur im Ausnahmefall noch etwas ändern, etwa dann, wenn man unverschuldet die Frist für das Rechtsmittel versäumt hat. 

Wurde bei Fritz also ein Urteil gesprochen, und er verliert die Klage aus irgendwelchen Gründen, kann er ggf. Berufung einlegen. Dazu hat er einen Monat Zeit. Tut er nichts, wird das Urteil formell rechtskräftig. Korrigieren lässt sich so einfach nun nichts mehr, es ist in der Welt. 

OHN-Info: Auch unter unseren Artikeln ist manchmal der Hinweis zu lesen, dass ein Urteil (noch) nicht rechtskräftig ist. Dies bezieht sich dann auf die formelle Rechtskraft und will sagen: Hier läuft noch eine Frist, in der ein Rechtsmittel eingelegt werden kann. Möglicherweise wird sich hier also noch etwas bewegen.

Materiell rechtskräftig – Hier kommt die persönliche Bindung 

Ist eine Entscheidung formell rechtskräftig, kann sie das dann auch materiell werden. Was bedeutet das? Es handelt sich um einen Rechtsbereich, in dem Juristen gern untereinander darüber streiten, was ist, und was nicht – das sparen wir uns hier. Im Ergebnis besagt die materielle Rechtskraft, dass die Entscheidung in jedem weiteren Verfahren zwischen den gleichen Parteien, in dem es um die festgestellte Rechtsfolge geht, bindend ist. Andere Gerichte müssen die Entscheidung also in der konkreten Sache, bzw. im selben Rechtsstreit, berücksichtigen. Darüber hinaus, also in anderen Rechtsstreitigkeiten, gilt das nicht. Eine Bindung der Gerichte an „Präzedenzfälle“ gibt es rechtlich gesehen im Grundsatz nicht.

Für Fritz bedeutet das ungefähr folgendes: Hinter seiner Kamera ist er noch immer her. Um zumindest schonmal festzustellen, dass er aus rechtlicher Sicht Eigentümer ist – dass das stimmt, nehmen wir hier jetzt mal an – lässt er das vom Gericht per Urteil feststellen. Das Urteil wird formell rechtskräftig, sonst passiert nichts weiter. Er kann nun nicht einfach noch zu einem anderen Gericht gehen, und dort nochmal seine Eigentümerschaft per Urteil feststellen lassen – es gibt ja bereits eine anderweitige Rechtskraft. 

Die einen sagen so, die anderen sagen so

Etwas praktisch relevanter ist das: Auch der Käufer kann jetzt nicht einfach in einem nächsten Prozess feststellen lassen, dass doch er Eigentümer ist. Dass nicht er Eigentümer ist, sondern Fritz, sagt schon das erste Urteil. 

Kommt es nun zu einem Prozess, in der nicht die Eigentümerschaft festgestellt werden soll, sondern die Tatsache, dass Fritz (als Eigentümer) die Kamera bitteschön wiederhaben darf, muss er hier seine Eigentümerschaft nicht nochmal beweisen. Das Gericht wär hier also an das erste Urteil gebunden, das diese Frage bereits „beantwortet“ hat. Ein Urteil, dass nun nicht zivilrechtlicher, sondern strafrechtlicher Natur ist, müsste sich hier wiederum aber nicht an der Entscheidung orientieren – Strafgerichte sind nicht an zivilrechtliche Urteile gebunden.

Angenommen, zwischen Fritz und dem Käufer ist es tatsächlich zu Handgreiflichkeiten gekommen. Während ihn ein Zivilgericht wegen fahrlässiger Körperverletzung zu Schmerzensgeld verurteilt, nimmt das Strafgericht nochmal Beweise auf und stellt Vorsatz fest. 

Was bedeutet ein Urteil für Außenstehende?

Damit ist umrissen, was ein Urteil die Beteiligten bedeutet. Was aber ist mit anderen Personen, den Außenstehenden? Entscheidet ein hohes Gericht etwas wichtiges, erfährt man darüber in der Regel in den Nachrichten. Und es wird im Idealfall auch vermittelt, was das jetzt etwas für einen selbst bedeuten könnte. 

Schaut man auf die Rechtskraft, dann wirkt ein Urteil so gesehen in der Regel nicht für oder gegen Dritte. Es wird der Einzelfall entschieden, also geschaut, wie sich das Recht auf die konkrete, geschilderte Situation auswirkt. Ein Urteil bindet insofern nur die Parteien des Rechtsstreits, diese haben ihn geführt und konnten ihn auch beeinflussen. Ist Fritz' Bruder, Fritz II., also ebenfalls Händler und hat haargenau den gleichen Fall durchgemacht, kann er zwar auf das Urteil in Fritz' Fall verweisen – doch für seinen eigenen Fall hätte das Urteil keine echte rechtliche Bedeutung, er müsste selbst einen Prozess führen. Genauso sehen sich Gerichte eben auch nicht an Urteile gebunden, die in einem anderen Rechtsstreit ergangen sind. 

Hält man die Theorie nun einmal fest, bedeutet das folgendes: Klagt Fritz vor Gericht gegen den Käufer und das Gericht fällt ein Urteil, hat das eine echte rechtliche Wirkung nur für ihn und die anderen Beteiligten, also den Käufer. Sonst grundsätzlich erstmal für niemanden. In der Praxis kommt Urteilen, gerade jenen aus höherer Instanz, dennoch eine Bedeutung bei. 

Das Rad wird selten neu erfunden

Natürlich spielt der Einzelfall und seine konkreten Umstände in der Regel eine Rolle für den Ausgang des Prozesses. Doch die zugrunde gelegten Regeln, die Gesetze, die wären auch in anderen Fällen die gleichen. Da dort, wo es ein Urteil gibt, meist auch Uneinigkeit über die Rechtslage bestand, bringt eine Entscheidung etwas Klarheit in die Sache, und begründet diese vor allem auch – mal besser, mal schlechter. Geht man ein Urteil durch, können einem die rechtlichen Erläuterungen also bei der Einschätzung der Rechtslage helfen. Das gilt wie gesagt umso mehr bei Ober- und Hochgerichten. Hier hat ein Fall teils schon mehrere Instanzen durchlaufen, Entscheidungen wurden überprüft.

Und kam es einmal zu einer höchstrichterlichen Entscheidung, etwa vom BGH, dann werden sich die anderen Gerichte oft an dessen Entscheidung orientieren und das Rad nicht neu erfinden. Damit würden sie sich auch dem hohen Risiko aussetzen, eine Entscheidung zu fällen, die dann womöglich beim Gericht der nächsten Instanz wieder kassiert werden würde. Das hat natürlich weniger mit dem Arbeitsaufwand zu tun, der dadurch entstehen würde. Dass sich die Gerichte an höherer Rechtsprechung orientieren, sorgt schließlich für Rechtssicherheit. Für die Richter, aber auch für die potentiell Betroffenen, die sich so nicht jeder potentiellen Unwägbarkeit der Gesetze aussetzen müssen. Konflikte können eher vermieden werden, wenn der Zankapfel verspeist wurde – oder zumindest jemandem klar zugeordnet. Wo es theoretisch oder rechtlich also keine Bindungswirkung eines Urteils gegenüber Unbeteiligten gibt, sieht das faktisch ganz anders aus. 

OHN-Info: Gerade im Bereich E-Commerce spielen Urteile eine wichtige Rolle für die Branche. Wo in anderen Rechtsgebieten die entsprechenden Gesetze schon ewig gelten, wichtige Fragestellungen schon vor langer Zeit gerichtlich geklärt wurden oder sich eine Rechtsauslegung gebildet hat, mit der man auch aus praktischer Sicht klar weiß, was Phase ist, gilt das hier vielleicht etwas weniger. Der Fernabsatz findet sich zwar schon seit einigen Jahren im Gesetz, doch viele Fragestellungen, die Online-Händler in ihrem Alltag beschäftigen, sind vor allem eins: Neu und aktuell. Da kommt es schonmal vor, dass ein Urteil schlicht wegweisend ist. Die aktuelle Rechtsprechung im Blick zu behalten, kann für Online-Händler daher lohnenswert sein.