Sperrungen von Händler-Accounts bei Amazon gehören eigentlich seit Beginn dieses Portals zu den häufigsten und wichtigsten Themen. Viele Jahre tat sich wenig, denn die Händler fürchteten sich vor der Macht des Marktplatz-Giganten. Hinzu kamen rechtliche Unsicherheiten, welches Recht überhaupt gilt und wo Amazon im Fall der Fälle zu belangen wäre.

Seit dem letzten Jahr ist aber ein neuer Trend zu verzeichnen. Immer häufiger kommt es vor, dass auch die Kleinen ihr Recht einfordern. Händler gehen auf die Barrikaden und ziehen mutig gegen Amazon vor Gericht, insbesondere wenn es um eine der verbreiteten Kontensperrungen geht. Dass sie damit Erfolg haben, haben wir erst kürzlich wieder in einem Statusbericht zusammen gefasst.

Das war jedoch Anlass genug, mal nachzuhaken, wie Betroffene wirklich damit umgehen, ob es nach dem Gerichtsverfahren Konsequenzen gibt und was dran ist am Mythos Amazon. Wir haben mit Robert Riedel gesprochen, Geschäftführer der Xergia GmbH aus Berlin, der neben seinem eigenen Online-Shop für Parfüm auch einen großen Shop bei Amazon aufgebaut hat – und kürzlich gegen Amazon vor Gericht siegte. Er möchte vielen Betroffenen Händlern Mut machen, sich von dem Riesen nicht einschüchtern zu lassen.

Herr Riedel, vielen Dank, dass Sie Ihre Erfahrungen mit uns teilen. Berichten Sie uns doch kurz, was in Ihrem Fall passiert ist.

Unser Amazon-Account wurde am 16. Oktober 2020 deaktiviert. Als Grund wurde genannt, dass auf fünf von ca. 12.000 Asins (Amazon Standard Identification Number) ein falscher Markenname angezeigt wird. Die Markennamen haben wir so nicht falsch an Amazon übermittelt. Deren Datenfehler konnten wir allerdings im Amazon Seller Central nicht beheben, weil uns in diesem Fall die Berechtigung fehlte den Markennamen zu ändern. Als wir dann per Support-Ticket Amazon gebeten haben unseren Änderungsvorschlag einzutragen, wurde diese Bitte abgelehnt. Im Klartext, wir wurden für kleine Datenfehler gesperrt, die wir selbst nicht verursacht haben und nicht korrigieren konnten.

Wir haben insgesamt fünf Maßnahmenpläne zur Lösung des Problems eingereicht. Alle wurden ohne Angabe von konkreten Gründen abgelehnt. In den Telefongesprächen mit dem Amazon-Händlerservice fanden selbst die Amazon-Mitarbeiter unsere Maßnahmenpläne sehr gelungen und auch sie konnten über mögliche Ablehnungsgründe nur spekulieren.

Unser Guthaben im fünfstelligen Bereich wurde eingefroren. Die fast existenziell hohen Umsatzverluste und Schäden stehen in keinem Verhältnis zum ursprünglichen „Vergehen“.

„Ein Rechtsstreit kostet viel Energie und ist sehr zeitaufwändig.“

Viele Händler scheuen sich, gegen Amazon weitere Schritte einzuleiten. Wie erklären Sie sich das? 

Die meisten Händler sind von Amazon wirtschaftlich abhängig und fürchten Konsequenzen. Außerdem kostet ein Rechtsstreit viel Energie und ist sehr zeitaufwändig. Im schlimmsten Fall kann es sich mit den Berufungsverfahren über Jahre hinziehen. Sollte man am Ende doch verlieren, entstehen für den Kläger hohe Kosten, was sicherlich deren Existenz bedroht. Um diesen Weg zu gehen, benötigt man viel Mut und Durchhaltevermögen.

Was hat Sie dazu bewogen, als einer von wenigen Händler mutig zu sein und rechtliche Schritte einzuleiten?

Unser Amazon-Account wurde bereits 2019 wegen ähnlicher Nichtigkeiten gesperrt. Ausgerechnet direkt vormittags am Black Friday – dem wichtigsten E-Commerce Tag des Jahres – und kurz vorm Cyber Monday. Es ist schwer zu glauben, dass der Zeitpunkt Zufall gewesen seien soll. Erst nach fünf Monaten und zehn Maßnahmenplänen wurde unser Account wieder freigeschaltet. Übrigens wurden damals von Amazon 179.000 Euro eingefroren, was für ein mittelständisches Unternehmen eine wirkliche Zumutung ist. Auf Grund dieser Erfahrung haben wir dieses Mal entschieden, uns endlich auch einmal zu wehren!

Amazon sperrt jedes Jahr wegen „Nichtigkeiten" Tausenden Händlern den Account. Aus unserer Sicht hat dieses auch andere Ursachen, die mit dem eigentlichen Vergehen nichts zu tun haben. Auch in unserer Gerichtsentscheidung vorm Landgericht Berlin sah der zuständige Richter einen möglichen Wettbewerbsvorteil, den Amazon durch die Deaktivierung direkter Konkurrenten erfährt oder zumindest billigend in Kauf nimmt.

Die vielen kleinen und großen Amazon-Händler haben dazu beigetragen, dass Amazon heute das ist, was es ist. Das sollte Amazon niemals vergessen. Wir sind an einer dauerhaften partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit Amazon interessiert, so wie in den Anfangsjahren, auch im Namen aller Händler, die von den Kontensperrungen betroffen sind. Genau das möchten wir mit unserer Klage erreichen.

Händlerkonto immer noch gesperrt – Amazon hat Gerichtsurteil noch nicht umgesetzt

Die alles entscheidende Frage: Hat Amazon sich an die Gerichtsentscheidung gehalten und wann war Ihr Konto wieder “frei”?

Nein. Amazon hat die Gerichtsentscheidung vom Landgericht Berlin von Anfang Dezember 2020 bisher ignoriert. Jetzt droht Amazon ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro oder Ordnungshaft bis zu einem halben Jahr, welches wir über unseren Rechtsanwalt nun natürlich auch beantragen lassen.

Befürchten Sie wie viele andere Betroffene Sanktionen (z. B. eine finale Kündigung)?

Da unser Account noch deaktiviert ist, können wir leider dazu nichts sagen. Ich könnte mir aber durchaus vorstellen, dass es Konsequenzen für uns hat.

Darum setzt der gesperrte Online-Händler trotzdem weiter auf Amazon

Setzen Sie trotzdem weiterhin auf Amazon und warum? 

Amazon beherrscht mittlerweile 50 Prozent des weltweiten Internethandels. In der Reportage „Die ganze Welt im Pappkarton“, ein sehr schöner Film von Adrién Pinon und Thomas Lafarge, geht es darum, mit welchen Konsequenzen der E-Commerce-Riese und Monopolist die „Welt beherrscht“. Der Handel generell (ob stationär oder online) ist daher umso mehr darauf angewiesen, einen gemeinsamen Weg mit Amazon zu finden. Das geschieht auch im Interesse von Amazon. Die EU-Kommission und die Kartellämter beobachten Amazon sehr intensiv und selbst die US-Behörden denken über eine Zerschlagung Amazons nach.

Ich bedanke mich für das Interview und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg!

 

Update vom 24.02.2021

Heute teilte uns Herr Riedel telefonisch mit, dass der Amazon-Account, rund 10 Wochen nach dem Gerichtsbeschluss, wieder freigeschaltet wurde.