Kinderwagenketten, Plüschtiere und Greiflinge – auf Etsy und Co. tummeln sich viele Anbieter von Handmade-Produkten, die vor allem im Spielzeugsegment produzieren. Dabei fällt beim Durchscrollen durch die Angebote schnell auf: Rechtssicher sind viele mit Sicherheit nicht unterwegs. Mit Rechtssicherheit sind dabei nicht einmal die diversen Texte wie etwa AGB und Widerrufsbelehrung gemeint.
Vielmehr geht es um die rechtlichen Anforderungen, nach denen ein Spielzeug hergestellt sein muss, um in der EU als solches vertrieben werden zu dürfen. Zu lange Schnüre, zu kleine Bestandteile, falsche Materialien, fehlende Warnhinweise – die Liste ist lang. Aber: Warum halten sich gerade bei Spielzeug viele kleine Hersteller nicht an die Vorgaben? Weil ihnen viele Steine in den Weg gelegt werden. Über genau diese Steine haben wir uns mit der Produktsicherheits-Beraterin Nadja Lüders von „CE für Spielzeug: mach's einfach!“ unterhalten.
Das CE-Zeichen: Viel mehr als nur ein (lästiges) Zettelchen
Die meisten haben die kleinen Zettelchen an Plüschtieren wahrscheinlich schon oft wahrgenommen, sei es nur, um sie abzuschneiden. Es geht um die CE-Kennzeichnung, die bei Textil-Spielzeug oft als Etikett am Produkt herum flattert und bei anderen Spielzeugen – wenn möglich – auf dem Material selbst fest eingestanzt oder aufgedruckt ist. Aber: Was sagt das CE-Zeichen überhaupt aus?
Mit dem CE-Zeichen versichert der Hersteller, dass das Produkt gemäß der europäischen Spielzeugrichtlinie und konform zu den harmonisierten EU-Normen gefertigt wurde. CE steht dabei für „Conformité Européenne“ und bedeutet „Europäische Konformität“, sprich konform mit den hier geltenden Anforderungen. Jedes Produkt, zu dem es eine eigene europäische Regelung gibt, muss zudem eine CE-Kennzeichnung tragen. Ohne dieses Zeichen darf es gar nicht erst auf den EU-Markt gebracht werden.
Der Sinn und Zweck sollte jedem Elternteil (und Produzenten) sofort einleuchten. Bei Spielzeug ist beispielsweise die mechanische Sicherheit und die schwere Entflammbarkeit mit einer maximalen Geschwindigkeit reglementiert. Niemand möchte, dass sein Kind sich am Spielzeug stranguliert, oder das Plüschtier plötzlich zum Feuerball wird, weil es kurz zu nah an den Adventskranz gehalten wurde. Eines ist also klar: Bevor ein Spielzeug das CE-Zeichen bekommt, muss es ein paar sehr wichtige Tests durchlaufen.
Das heimische Testlabor: Geht das?
Die Frage, die sich bei den Anforderungen stellt, ist natürlich, ob diese Tests von kleinen Herstellern überhaupt selbst durchgeführt werden können. Chemischer Test, mechanischer Test, Entflammbarkeitstest – all das klingt ersteinmal furchtbar technisch und kompliziert. Allerdings können diese Tests tatsächlich in Eigenregie durchgeführt werden. „Die Zugprüfung mit knapp 9,5 kg kann mit einer guten Kofferwaage durchgeführt werden“, erklärt uns Nadja Lüders. Die Durchführung der Sicherheitsbewertungen, der guten Herstellungsweise und der Tests muss dokumentiert werden und am Ende steht die Konformitätserklärung. Auch für diese wird keine offizielle Stelle benötigt.
„Wurde festgestellt, dass das Spielzeug konform ist, so kann der Hersteller das CE-Kennzeichen selbst anbringen und die Konformitätserklärung erstellen.“ All das klingt erst einmal einfach. Die echte Hürde lauert laut Nadja Lüders allerdings nicht bei der Durchführung der Tests selbst, sondern bei der Zugänglichkeit der Informationen, die Grundlage für diese Prüfverfahren sind.
Kritikpunkt: Schwer zugängliche Informationen
Dass für Spielzeug ein CE-Zeichen benötigt wird, steht in einer frei zugänglichen EU-Richtlinie. Wie Spielzeug konkret auf seine Sicherheit bewertet werden muss, steht wiederum in sogenannten Normen. Allgemein gilt beispielsweise die DIN EN 71, die in mehreren Teilen die Anforderungen an Spielzeug aufstellt und sich dann in scheinbar endlosen Normen, unter anderem für Trampoline, Brettspiele oder Kosmetikkoffer, verlieren. Beispielsweise muss ein Greifspielzeug so konzipiert sein, dass verarbeitete Perlen und der Ring bei einem Schlagtest nicht brechen und so verschluckbare Kleinteile ergeben.
Übrigens: Die oft erwähnten sogenannten Schnullerhalter haben zwar ebenfalls eigene Normen (unter anderem die DIN EN 12586), die besagt, dass solche Ketten aufgrund der Strangulationsgefahr nicht länger als 22 Zentimeter sein dürfen. Sie sind jedoch für sich genommen nur in seltenen Fällen ein Spielzeug, nämlich nur dann, wenn sie eindeutig für die Anwendung zum Spielen konzipiert werden, also beispielsweise mit einem Kuscheltier vernäht sind. Hier besteht also die erste Frage: Ist mein hergestelltes Produkt überhaupt ein Spielzeug?
So weit, so gut. Sodann besteht also die Hürde darin, herauszufinden, was für Regelungen generell für das konkrete Spielzeug, soweit es sich um ein solches handelt, zu beachten und umzusetzen sind. Das Problem besteht dabei darin, dass diese Normen anders als Richtlinien, Verordnungen und allgemeine Gesetze nicht einfach online kostenlos abrufbar sind.
Die Normen liegen zwar beispielsweise kostenlos in sogenannten Infopoints wie Universitäten aus, sind jedoch gerade in Zeiten von Corona nicht für jeden zugänglich. Online kann man sie für mehrere Hundert Euro erwerben – pro Norm, versteht sich. Benötigt man für ein bestimmtes Spielzeug mehrere Normen, was der Regelfall ist, häuft sich also einiges, zumal Ergänzungen, Erweiterungen oder Überarbeitungen noch einmal extra zu Buche schlagen können. Auch ein Update-Service wäre kostenpflichtig.
Beispiel-Kosten:
- DIN EN 71-1 über die Sicherheit von Spielzeug - Teil 1: Mechanische und physikalische Eigenschaften: 312,70 Euro bei Papierversand und 292,24 Euro für die PDF-Version.
- DIN EN 71-2 über die Sicherheit von Spielzeug - Teil 2: Entflammbarkeit: 106,70 Euro bei Papierversand und 99,72 Euro für die PDF-Version.
Andere Länder bieten da mehr Hilfe. So kann man sich beispielsweise über die Seite der estnischen Behörden einen Zugriff geben lassen. Gegen Zahlung eines kleinen Entgelts (derzeit 2,50 Euro) bekommt man so einen Tag lang Zugang zu allen Normen. Diese sind dann allerdings nur auf Englisch oder gegebenenfalls Estnisch verfügbar.
Dieses Hindernis ist laut Nadja Lüders fatal: „Letzten Endes kann es ja auch sein, dass ein Spielzeughersteller eine Idee hat und erst mal nachschauen will, ob diese überhaupt normgerecht umgesetzt werden kann. Schon allein um diese Umsetzbarkeit zu prüfen, muss er nach aktuellem Stand mehrere Hundert Euro in die Hand nehmen. Das ist abschreckend.“
Schreckgespenst „Rückruf“
Allerdings ist es mit den Tests der fertigen Spielzeugen nicht getan. Lässt man produzieren oder sich Einzelteile liefern, so sollte jeder Anbieter mit einer grundlegenden Skepsis heran gehen. „Lieferanten halten teilweise nicht, was sie versprechen. Sie bewerben ihre Spielzeugmaterialien als normkonform, dabei können sie das gar nicht nachweisen“, erklärt uns Nadja Lüders das nächste Problem in der eigenen Spielzeugproduktion. Sie berichtet von einem Fall, bei dem eine Produzentin jahrelang Spielzeug verkauft hat. Plötzlich wurde ein Bauteil in einer anderen Größe geliefert, was ihr aber nicht auffiel. Das Problem: Das Bauteil bestand den sogenannten Schablonentest nicht mehr. Mit dem Schablonentest wird festgestellt, ob ein Spielzeug für Kinder unter zehn Monate gefährlich sein kann. Fällt das Spielzeug durch, darf es nicht vertrieben werden. Da hilft auch der Hinweis „für Kinder unter 10 Monaten nicht geeignet“ nicht weiter. So ein Warnhinweis ist in der Spielzeugrichtlinie einfach nicht vorgesehen. Ist ein Spielzeug nach seiner Art und Weise für Kleinstkinder gedacht, so muss es auch sicher für diese sein.
Die Verkäuferin selbst kann natürlich nicht mit dem Finger auf den Lieferanten zeigen, sondern muss selber für die Sicherheit der verkauften Waren haften. Immerhin hat sie diese so auf den Markt gebracht. Wie aber mit so einer Situation umgehen? Kommt so ein Fehler ans Licht, so muss der Hersteller einen Rückruf in die Wege leiten. Hier komme es in der Praxis aber oft zum nächsten Problem, erklärt Nadja Lüders weiter: Entweder wüssten die Herstellenden nicht, dass sie einen Rückruf machen müssten oder sie tun es aus Sorge um den guten Ruf nicht und verharmlosen die ganze Sache getreu dem Motto: „Wird schon gut gehen.“
Die Untiefen umschiffen
Nadja Lüders bestätigt das Gefühl, welches man bekommt, wenn man sich in Handmade-Gruppen auf Facebook umschaut. Leider gehen gerade die, die selber Spielzeug herstellen wollen, oftmals sehr naiv an die Sache heran. Das fängt nicht erst bei dem schwierigen Thema CE-Kennzeichnung an: Es beginnt viel eher bei den einfachen Fragen nach der Gewerbeanmeldung, der Notwendigkeit der Textilkennzeichnung und einem korrekten Impressum. Einfachste Dinge werden nach dem Leitspruch „XYZ hält sich ja auch nicht dran“ teilweise bewusst übergangen. Das muss aber nicht sein. Gerade in Sachen CE gibt Nadja Lüders den wertvollen Hinweis, sich mit dem Prozess zur CE-Kennzeichnung vertraut zu machen, „Denn der Prozess ist dein Freund“, sagt die Expertin. Weiter erklärt sie uns, dass Hersteller nicht auf Anleitungen von Laien im Internet vertrauen sollten. Für die Richtigkeit gäbe es schließlich keine Gewährleistung.
Zuletzt müssen vor allem bei den Lieferanten die Augen aufgehalten werden. Man sollte immer fragen, welche Zertifikate der Lieferant vorlegen kann und wie aktuell diese sind. Vor allem muss geschaut werden, ob diese Zertifikate für das Produkt, das gefertigt werden soll, überhaupt passend sind. Auch hier zeigt sich also, wie wichtig es ist, den Prozess und die Hintergründe der CE-Vorgaben zu kennen. Nicht zuletzt steht der gesunde Menschenverstand im Raum, denn viele Hersteller sind selbst Eltern und wissen daher ganz genau, wie wichtig die Sicherheit der Kleinen ist.
Zum Abschluss fragen wir Nadja Lüders noch, ob sich die Herstellung von Spielzeug im klassischen Handmade-Betrieb, also sozusagen im heimischen Wohnzimmer als Kleingewerbe, überhaupt lohnt: „Wer es wirtschaftlich anstellen will, sollte sich vom Selbsthersteller zu jemandem entwickeln, der herstellen lässt.“ Zwei Hände schaffen in 24 Stunden einfach nur eine begrenzte Anzahl an Spielzeugen. Diese müssten also entsprechend hochpreisig sein. „Letzten Endes ist die Frage nach dem ,ob es sich lohnt‘ eine sehr individuelle. Wer allerdings schaut, wie unverschämt günstig Handmade-Produkte angeboten werden, dem sollte schnell klar sein: Beim Selbermachen bleibt kaum etwas im eigenen Geldbeutel hängen. Trotzdem ist man allen gewerblichen Gefahren ausgesetzt wie die ,Großen‘".
Über Nadja Lüders von CE für Spielzeug
Nadja Lüders ist studierte Produktdesignerin und geprüfte Fachkraft für Spielzeugsicherheit. Sie berät unter dem Motto „CE für Spielzeug: mach's einfach!“ Betriebe zur sicheren und nachhaltigen Herstellung ihrer Spielzeuge und Kinderprodukte. Dabei gehören nicht nur Kleinherstellende mit eigener Produktion zu ihrem Kundenportfolio, sondern auch StartUps, die ihre Spielzeugideen von anderen umsetzen lassen. Sie selbst kennt die gesetzlichen Hürden bestens, da sie bereits Spielzeug hergestellt hat. Dabei hat sie sich gerade daran gestört, dass die Normen, an die sie sich halten soll, nicht so einfach zugänglich sind. Neben ihrer beratenden Tätigkeit unterstützt sie daher gemeinsam mit anderen Spielzeughersteller in dem Verein „Wir machen Spielzeug e. V.“.
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Lg Jean
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Antwort der Redaktion
Liebe/r Jean,
die verschiedenen Teile der DIN 71 betreffen unterschiedlich e Bereiche von Herstellung über Materialien bis Gebrauch. Rechtlich vorgeschrieben ist aber, dass alle in der Europäischen Union verkauften Spielwaren und weitere bestimmte Produkte, die in direkten Kontakt mit Kindern kommen, diese Norm in Gänze erfüllen müssen.
Beste Grüße
die Redaktion
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