Darf's ein bisschen mehr sein? Manchmal gibt es Gründe, die – zumindest aus praktischer Sicht – dafür sprechen, die eigentlich vereinbarte Arbeitszeit etwas auszudehnen oder auf Zeiten zu verteilen, zu denen sie eigentlich nicht vorgesehen war. Dann spricht man von Überstunden oder von Mehrarbeit. Allerdings gibts es nicht nur durchaus einen Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen, es spielen auch einige weitere Details eine wichtige Rolle – und das, obwohl Überstunden nicht einmal wirklich gesetzlich geregelt sind. Wir wurden gefragt: Dürfen Arbeitgeber zu Überstunden verpflichten?
Mehrarbeit und Überstunden – Was ist der Unterschied?
Überstunden und Mehrarbeit, die beiden Begriffe klingen, als würden sie am Ende dasselbe meinen. Und tatsächlich, in ein und derselben Situation können sowohl Überstunden als auch Mehrarbeit gleichzeitig vorliegen. Dennoch haben beide Begriffe unterschiedliche Anknüpfungspunkte. Das Arbeitszeitgesetz, in dem sich die wichtigen Regelungen zur Arbeitszeit für viele Situationen finden – von der Pausenregelung bis zur Sonntagsarbeit – hilft in dieser Frage nur bedingt weiter. Eine unmittelbare Regelung bezüglich Überstunden gibt es hier nämlich nicht.
Gemeinhin wird im Arbeitsrecht unter dem Begriff der Mehrarbeit jedoch die geleistete Arbeitszeit verstanden, die über die gesetzliche Arbeitszeit hinaus geleistet wird. Bei Angestellten sind das regulär 48 Stunden pro Woche, wobei das Gesetz von sechs Werktagen je Woche ausgeht. Mehrarbeit bezieht sich also quasi auf die gesetzliche Rahmenbedingung. Der Begriff der Überstunden hingegen knüpft nicht unmittelbar an gesetzliche Vorgaben an, sondern betrifft die Situation, dass über die betrieblich geschuldete Arbeitszeit hinaus gearbeitet wird.
Schatz, ich komme heute später – Wie steht es um die Anordnung von Überstunden?
Wenn es zu Überstunden kommen soll, stellt sich natürlich die Frage, ob ein Arbeitgeber diese anordnen kann oder gar muss. Hier ist die Lage ein bisschen vergleichbar mit dem Kaufvertrag zwischen Online-Händler und Kunde: Angenommen, dieser wurde geschlossen. Nun fällt dem Händler aber auf, dass die Geschäfte gerade nicht so laufen. Also schreibt er dem Käufer, dass dieser nun doch noch etwas mehr zahlen müsse, als eigentlich vereinbart. Ist das eine gute Idee? Na ja, marketingtechnisch ist das vielleicht nicht die beste Idee, um den Kunden zu erhalten, und auch aus juristischer Sicht ist grundsätzlich festzustellen: Es war bereits eine Einigung über den Kaufpreis zustande gekommen, und an dieser kann jetzt nicht ohne Weiteres einseitig eine Änderung vorgenommen werden.
So ist es auch hinsichtlich der Überstunden grundsätzlich nötig, dass es eine entsprechende Vereinbarung gibt, beispielsweise im Arbeitsvertrag, über den Betriebsrat oder einen Tarifvertrag. Nur im Notfall können Arbeitnehmer ausnahmsweise auch ohne eine entsprechende Vereinbarung zu Überstunden verpflichtet sein, weil es die durch den Arbeitsvertrag begründeten Treuepflichten rechtfertigen. Als Notfall kann etwa eine extreme Krankheitswelle gelten, ein Serverausfall oder Umstände wie Überschwemmungen oder Erdbeben. Dabei geht es um Umstände, die existenzbedrohend und nicht vorhersehbar sind. Rein betriebswirtschaftliche Motive, wie eine schlechte Auftragslage, sind hingegen kein valider Grund für die Anordnung von Überstunden – rare Ausnahmen bei besonderem betrieblichen Bedarf mit besonderer wirtschaftlicher Bedeutung einmal ausgenommen.
Sonderregelungen für Führungskräfte
Auch in solchen Fällen aber müssen Arbeitgeber einige Umstände beachten. So ist die Anordnung von Überstunden für bekanntermaßen schwangere Arbeitnehmerinnen, minderjährige Arbeitnehmer und bei Schwerbehinderung ausgeschlossen. Auch berechtigte Interessen des Arbeitnehmers muss sich der Arbeitgeber entgegenhalten lassen. Zudem müssen Vorgaben berücksichtigt werden, etwa die Schaffung eines Ausgleichs innerhalb von sechs Monaten oder die Tatsache, dass die tägliche Arbeitszeit nur vorübergehend auf max. zehn Stunden erhöht werden darf.
Von weniger Schutz allerdings profitieren Führungskräfte bzw. leitende Angestellte. Erfüllen diese die nötigen Voraussetzungen, gilt das Arbeitszeitgesetz für sie nicht – sie müssen für den Arbeitgeber verfügbar sein, soweit das zeitlich erforderlich ist.
Wenn's ums Geld geht: Was gilt für die Vergütung von Überstunden?
Nun ist das Arbeitsverhältnis in aller Regel reziprok, also wechselseitig. Der Arbeitnehmer erbringt seine Arbeitsleistung und erhält vom Arbeitgeber das Arbeitsentgelt. Ist das auch bei der Leistung von Überstunden so? Na ja, es kommt darauf an. Eine Pflicht zur Vergütung besteht grundsätzlich erst einmal nur, wenn der Arbeitgeber die Überstunden veranlasst hat. Der Arbeitnehmer muss insofern nachweisen (können), dass die erbrachten Arbeitsstunden angeordnet, gebilligt, geduldet oder zumindest für die Erledigung der Arbeitsleistung erforderlich waren.
Dabei kann eine konkludente Anordnung vorliegen, wenn die Arbeit in der vorgesehenen Arbeitszeit nicht zu erbringen war. In dieser Thematik sollten beide Parteien aber ein Auge auf die jeweilige Beweislast haben, ggf. aussagekräftige Dokumentationen anfertigen und sich im Idealfall rechtlich beraten lassen. Entscheidet sich ein Arbeitnehmer aber nun für sich selbst, mehr als vereinbart zu arbeiten, ist das in aller Regel eine schlechte Voraussetzung für einen Anspruch auf deren Vergütung. Für die Vergütung kommen verschiedene Formen in Betracht.
Vergütung, aber nicht für Besserverdienende?
Aus gesetzlicher Sicht wird eine „übliche Vergütung“ gezahlt, wenn die Leistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Das ist allerdings wieder einmal nur der Grundsatz. Laut der Rechtsprechung steht eine solche Vergütungserwartung Besserverdienenden etwa nicht zu, also denjenigen, deren Entgelt über der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung liegt. Aber auch ein Freizeitausgleich, also das Abfeiern bzw. Abbummeln von Überstunden ist je nach Vereinbarung möglich, genauso wie ein Pauschalbetrag oder die Abgeltung mit einem Festgehalt – denn auch hier sind die Regelungen im Arbeitsvertrag, der Betriebsvereinbarung oder einem Tarifvertrag erheblich.
Arbeitgeber, die entsprechende Klauseln in ihre Arbeitsverträge aufnehmen wollen, sollten jedoch vorsichtig sein: Solche Klauseln sollten den diversen Anforderungen gerecht werden, die auch die Rechtsprechung herausgearbeitet hat. Sind die Regelungen nicht transparent oder beteiligen den Arbeitgeber unangemessen, können Arbeitnehmer Schritte dagegen ergreifen.
Fazit: Der Umgang mit Überstunden ist durchaus komplex
Überstunden spielen für viele Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen eine große Rolle. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind allerdings nicht zu unterschätzen, und auch die praktische Seite ist wichtig – ohne eine rechtssichere Vereinbarung oder eine aussagekräftige Dokumentation können beide Parteien in die Röhre blicken. Zu guter Letzt ist dieses Rechtsgebiet, so wie viele andere auch, einem steten Wandel unterworfen.
Exemplarisch: 2019 urteilte der EuGH, dass Arbeitgeber nach dem EU-Recht dazu verpflichtet sind, sämtliche Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter zu protokollieren. Verbreitete Konzepte wie die Vertrauensarbeitszeit stehen dadurch auf der Kippe. Die vereinzelte Rechtsprechung in Deutschland ist bei diesem Thema durchaus manchmal unterschiedlicher Auffassung und auch der Gesetzgeber hat bislang wenig konkrete Maßnahmen zur Umsetzung dieser Anforderung ergriffen, sodass sich Arbeitgeber hier wenigstens für künftige Entwicklungen wappnen müssen.
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Antwort der Redaktion
Hallo Marco,
werden regelmäßig Überstunden über einen längeren Zeitraum angeordnet, kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass es sich um eine Ausnahmesituati on handelt. So hat beispielsweise ein Gericht entschieden, dass Amazon im Advent keine Sonntagsarbeit anordnet durfte, da die Mehrarbeit vorhersehbar und verhinderbar gewesen wäre: amazon-watchblog.de/.../...
Wie dein spezieller Einzelfall beurteilt wird, müsste allerdings ein Arbeitsrechtler entscheiden.
Mit den besten Grüßen
die Redaktion
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