Als Juristin stolpert man regelmäßig über die interessanten Rechtsansichten von Laien. Oftmals sind diese nämlich gar nicht so verkehrt. Das mag daran liegen, dass eine Kontrollfrage zur Überprüfung von juristischen Lösungen lautet: „Was würde Mutti (nicht Merkel!) sagen?“ Bei juristischen Bewertungen liegt der innere, moralische Kompass meistens nämlich gar nicht so falsch. Man spricht hier auch vom Anstandsgefühl der billig und gerecht Denkenden.

So richtig spannend wird es aber mitunter dann, wenn sich jemand in seinen Rechten verletzt fühlt. Hier werden mitunter exotische Ansichten vertreten. Das zeigt auch eine Diskussion, auf die wir durch einen Twitter-Post aufmerksam geworden sind.

Die geklaute Radtour

Der Twitteruser Morksen äußerte sich am 18. Juli 2022 äußerst erstaunt über das Verhalten eines Radclubs:

Was genau hinter diesem Tweet steckt, verrät eine angeregte Diskussion auf Komoot.

Komoot ist eine Plattform, über die unter anderem Wanderer und Radbegeisterte ihre Strecken tracken und mit Bildern und Texten veröffentlichen können. Der Gedanke hinter der Plattform ist das Teilen, aber auch das „Nacherfahren“ von Erlebnissen. 

Ein Nutzer hat die Radstrecke „Kurze Osttour“ im Berliner Raum aufgezeichnet und veröffentlicht. Es dauerte nicht lang, da kommentierte ein Berliner Radclub die Strecke. „Das ist eine 1:1 Kopie einer unserer Runden. Einfach beim Original mitfahren.“ Nachdem der Nutzer klargestellt hat, dass er die Tour selbst zusammengestellt hat, heißt es vom Radclub weiter: „Zufälle gibt's! Unser Material unterliegt dem Urheberrecht und wir erlauben keinen Reupload. Also bitte keine weiteren zufälligen 1:1 Neuerfindungen unserer Strecken! Wer eine eigene Runde anbieten will, der sollte sich auch selbst die Mühe machen, sie zu planen und zu scouten.“ Der Radclub selbst stellt auf seiner Webseite unterschiedliche Strecken zur Verfügung. Die Trackingdaten zu diesen Strecken können kostenlos downgeloadet werden. 

Die Strecke genießt also urheberrechtlichen Schutz. Was ist dran an dieser Behauptung? Immerhin ist Kartenmaterial ausdrücklich nach dem Urhebergesetz geschützt und darf nicht einfach ohne Erlaubnis kopiert und veröffentlicht werden. 

Werke im Sinne des Urhebergesetzes

Damit der Schutz im Sinne des Urhebergesetzes greift, muss ein geschütztes Werk und eine persönliche, geistige Schöpfung vorliegen. 

Schauen wir uns erst einmal die erste Voraussetzung an: Liegt ein geschütztes Werk vor?

Welche Werke urheberrechtlichen Schutz genießen können, ist dabei direkt in § 2 UrhG festgelegt. Strecken als Werke finden sich dort nicht. Was sich aber findet, sind „Sprachwerke, wie Schriftwerke, Reden und Computerprogramme“. Jetzt könnte man auf die Idee kommen, dass aufgezeichnete GPS-Koordinaten ein Sprachwerk sind. Immerhin sind das am Ende nichts anderes als aneinandergereihte Zeichen, die durch ein Programm in eine Strecke ausgegeben wird. 

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Allerdings macht uns hier die zweite Voraussetzung einen Strich durch dir Rechnung: die persönliche, geistige Schöpfung. Diese Voraussetzung besagt, dass Werke gezwungenermaßen durch einen Menschen geschaffen werden müssen. Die GPS-Aufzeichnung wird aber in der Regel von einem Programm erzeugt. Unterstellen wir jetzt aber einfach mal, dass es nicht darauf ankommt, ob das Werk durch einen Menschen oder einen Computer generiert wurde: Kann eine Route überhaupt etwas wie eine Schöpfungshöhe erreichen? Ein Werk muss von Individualität geprägt sein. Bei öffentlichen Wegen, die zufällig in dieser oder einer ähnlichen Reihenfolge gelaufen oder eben geradelt werden können, kann von Individualität kaum eine Rede sein. Dass der Radclub Zeit und Aufwand in das Erstellen der Route gesteckt hat, ist übrigens irrelevant. „Die rein handwerkliche Leistung, die jedermann mit durchschnittlichen Fähigkeiten ebenso zustande brächte, mag sie auch auf anerkennenswertem Fleiß und auf solidem Können beruhen, liege außerhalb der Schutzfähigkeit“, stellte bereits das Landgericht Berlin (Urteil vom 6.05.86, Az: 16 O 72/86) fest.

Bilder, Kartenmaterial und Texte sind regelmäßig geschützt

Wie eingangs erwähnt, können selbsterstellte Karten selbstverständlich ein urheberrechtlich geschütztes Werk darstellen, sofern sie eine persönliche, geistige Schöpfungshöhe erreichen. Das Gleiche gilt für eine textliche, durch einen Menschen erzeugte Beschreibung, sofern diese die erforderliche Schöpfungshöhe erreicht. Auch Fotos sind mindestens als Lichtbilder geschützt. Diese Sachen ohne Erlaubnis zu kopieren und zu verwenden – ja, da dürften die Urheber zu Recht ihrem Ärger Luft machen. Das ist aber nicht passiert. Es geht bei der Diskussion tatsächlich um den Streckenverlauf an sich. Auf öffentlichen Wegen. 

Das Pferd von hinten aufgezäumt

Stellen wir uns jetzt mal vor, Strecken würden tatsächlich unter den urheberrechtlichen Schutz fallen. Was hätte das für Konsequenzen? Das würde doch bedeuten, dass beim Nachlaufen der Strecke keine Aufzeichnung gemacht werden dürfte, weil das eine Vervielfältigung wäre. Also für den rein privaten Rahmen wäre das in Ordnung. Aber: Wäre nicht sogar schon das Nachlaufen an sich lizenzbedürftig? Immerhin darf ich einen Film auch nur schauen, wenn ich die Berechtigung, beispielsweise über den Erwerb der DVD, erworben habe. Und dürfte beim Nachlaufen die Strecke eigentlich abgewandelt werden? Das wäre immerhin eine unzulässige Bearbeitung. Und was sagen eigentlich die Radfahrer dazu, die die Strecke bereits vor allen anderen zufällig gefahren sind und ihre Aufzeichnungen nur nicht veröffentlicht haben? Hätten die jetzt nicht eigentlich auch einen Anspruch gegen den Club? Beziehungsweise hätte der Club doch vor der Veröffentlichung recherchieren müssen, ob nicht bereits jemand Urheber der Strecke ist? Und widerspricht nicht schon die Tatsache, dass jemand zufällig die gleiche oder ähnliche Strecke nimmt der Voraussetzung der Individualität?

Zäumt man das Pferd von hinten auf, stellen sich also eine ganze Reihe kaum lösbarer Fragen. Und wenn man Mutti fragt, würde die wahrscheinlich sagen: „Hä?“ 

Fazit: Keine rechtliche Grundlage

Eine Strecke kann keinen urheberrechtlichen Schutz genießen. Der Schutz scheitert bereits daran, dass die Strecke an sich unter keine der im Gesetz erwähnten Werkarten fällt. Selbst wenn dem so wäre, würde das ganze zu sehr lebensfernen Praxisproblemen führen. Bereits das sollte aufhorchen lassen, dass bei dieser Rechtsansicht etwas nicht stimmen kann.

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Natürlich kann in dem Austüfteln einer Strecke viel Aufwand stecken. Und ja, vielleicht ist es auch ärgerlich, wenn jemand zufällig die gleiche Idee hatte. Aber so ist es nun einmal. Nicht alles, was viel Mühe macht, genießt rechtlichen Schutz. Immerhin hat sich der ARD bestimmt auch sehr, sehr viel Mühe mit seinem Logo gegeben. Das hat das OLG Köln (Urteil vom 19.09.1986, Az: 6 U 199/85) im Jahr 1986 dennoch nicht davon abgehalten, dem Logo die Schöpfungshöhe abzusprechen.

Vor Veröffentlichung des Artikels wurde der Radclub angefragt. Leider kam bisher keine Antwort. Ein weiterer Komoot-Nutzer hat übrigens die Strecken miteinander abgeglichen und festgestellt, dass sie kritisierte Strecke deutlich abweicht und eben keine „1:1-Kopie“ darstellt. 

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