Dieser Artikel ist Teil unserer Marktplatz-Themenreihe: Diese beleuchtet in verschiedenen Beiträgen nicht nur wichtige Zahlen und Fakten rund um Ebay, Temu und Co., sondern liefert Händlerinnen und Händlern auch rechtliche Hintergrundinformationen rund um Vertriebsbeschränkungen, Abmahnfallen und Zahlungsprobleme. Außerdem finden sich neben informativen Überblicksartikeln auch verschiedene Tipps für den Handel auf Marktplätzen.
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Kontensperrungen auf Amazon können für Händler:innen katastrophale Folgen haben. Ohne Vorwarnung und oft ohne klare Begründung wird der Zugang zu wichtigen Geldern blockiert, was die Liquidität gefährdet und den Geschäftsbetrieb lahmlegt. Solche Sperrungen können existenzbedrohend sein, insbesondere wenn Personen von einer einzigen Plattform abhängig sind. Im Interview erklärt Rechtsanwältin Christin Gehder von der HB E-Commerce Rechtsanwalts GmbH, welche rechtlichen Möglichkeiten Händler:innen haben und wie sie vorbeugend handeln können.
OnlinehändlerNews: Aus welchen Gründen dürfen Marktplätze die Gelder von Händlern einfrieren? Welche häufigen Missverständnisse gibt es darüber?
Christin Gehder: Händler und Plattformen haben ein Vertragsverhältnis, das die Auszahlung oder mögliche Einbehaltung von Einnahmen regelt. Die Plattformen verfügen über Richtlinien, denen der Händler bei der Aufnahme seines Handels auf der Plattform zustimmt.
Wenn Händler ihren Verpflichtungen gegenüber der Plattform und/oder den Kunden nicht nachkommen, kann die Plattform das Geld einbehalten. Dies wird damit begründet, dass Fehlverhalten des Händlers oft Schäden verursacht, z. B., wenn er nicht verkehrsfähige Ware versendet hat. Um potenzielle Ansprüche von Kunden und/oder Dritten befriedigen zu können, sichert die Plattform das Guthaben. Dies ist grundsätzlich auch rechtmäßig.
Die Plattformen müssen jedoch verhältnismäßig vorgehen. Bei einer Sperre müssen auch die schutzwürdigen Interessen der Händler berücksichtigt werden. Oft ist es nur angemessen, einen Teil des Guthabens zu sperren, da Händler ihr erwirtschaftetes Geld benötigen, um laufende Kosten zu decken und Waren einzukaufen. Eine vollständige Sperre – auch des gesamten Accounts – ist nur bei erheblicher Vertragsverletzung gerechtfertigt. Da die Sperrungen jedoch in den meisten Fällen vollautomatisch erfolgen, findet die notwendige sorgfältige Interessenabwägung in der Regel nicht statt, wodurch die meisten Sperrungen unverhältnismäßig und damit rechtswidrig sind.
„Manche Händler warten monatelang auf ihr Geld“
Ist der Marktplatz dazu verpflichtet, zu begründen, warum das Geld nicht ausgezahlt wird?
Ja. Der Verkäufer muss die Möglichkeit haben, den Vorwurf zu überprüfen / dazu Stellung zu nehmen. Die meisten Sperrungen erfolgen vollautomatisch, z. B. aufgrund von extremen Schwankungen der Anzahl der Verkäufe. Hier hat der Händler nichts falsch gemacht. Oder auch bei einer Sperrung aufgrund unberechtigter Vorwürfe eines Dritten muss der Händler Gelegenheit haben, dies zu prüfen und Stellung zu nehmen. Wir haben oft Fälle, wo unsere Mandanten auf eigene Faust bei allen Bemühungen nicht herausfinden können, was der Grund der Sperrung war. Auf Nachfrage erhalten sie oft nur automatische Antworten. So gehen Zeit und Nerven verloren und es lohnt sich – allein aufgrund der Beschleunigung – einen Rechtsanwalt einzuschalten.
Was sollten Händler als erste Schritte unternehmen, wenn ihr Geld eingefroren wird oder die Auszahlung verzögert erfolgt?
Um den Zeitraum der Blockade so kurz wie möglich zu halten, sollten Händler schnell handeln, aber dabei Ruhe bewahren. Es ist wichtig, sorgfältig zu prüfen, ob der Plattform alle nötigen Unterlagen vorliegen, wie etwa zur Verifizierung des Bankkontos, ob Beschwerden vorliegen, ob es ungewöhnliche Umsatzabweichungen gab und ob alle Einstellungen im Account korrekt sind. Manchmal haben Händler monatelang auf ihr Geld gewartet, weil ein einfaches Häkchen nicht gesetzt war.
Die Plattform sollte telefonisch und schriftlich kontaktiert und unter Fristsetzung aufgefordert werden, das Guthaben auszuzahlen oder nachvollziehbare Gründe für die Blockade zu nennen. Reagiert die Plattform nicht, sollte gegebenenfalls ein Anwalt eingeschaltet werden.
Die meisten Sperren sind nicht berechtigt
Welche rechtlichen Schritte können Händler einleiten, wenn der Marktplatz unberechtigterweise ihr Geld einfriert oder nicht auszahlt?
Ruhe bewahren und wie eben beschrieben vorgehen. Wenn dies nichts bringt, sollte ein Anwalt mit der Geltendmachung der Auszahlungsforderung beauftragt werden. Ein anwaltliches Schreiben sorgt in vielen Fällen dafür, dass sich ein Mitarbeiter der Rechtsabteilung persönlich mit dem Sachverhalt befasst und entweder das Guthaben freischaltet oder die genauen Gründe für die Nichtauszahlung benennt. Der Anwalt kann dann prüfen, ob die Plattform rechtmäßig vorgeht und mit dem Händler erörtern, ob eine gerichtliche Überprüfung des Einbehalts angestrebt werden soll.
Entscheidet sich ein Händler für den Gerichtsweg, muss differenziert werden: Amazon sitzt in Luxemburg, daher benötigt der Händler einen Anwalt, der in Luxemburg postulationsfähig ist. Hat die Plattform ihren Sitz in Deutschland, sind die deutschen Gerichte zuständig. Beschwerden beim Bundeskartellamt sind eine weitere Option.
Ein rechtliches Vorgehen gegen Amazon sollte jedoch nur als letzter Ausweg betrachtet werden, da solche Verfahren mehrere Jahre dauern können und Zeit das ist, was dem Händler fehlt. Darum sollte auch ein außergerichtliches Anwaltsschreiben an die Plattform konstruktiv und freundlich formuliert sein. Obwohl die meisten Sperrungen rechtlich unberechtigt sind, ist das Ziel nicht ein Sieg vor Gericht in zwei Jahren, sondern die zügige Freigabe des Geldes.
Wie können Händler vorbeugend handeln, um das Risiko zu minimieren, dass ihr Geld eingefroren wird? Gibt es bestimmte Best Practices oder Compliance-Regeln, die sie befolgen sollten?
Der Online-Handel ist ein Minenfeld, daher darf Compliance nicht vernachlässigt werden. Wer hier spart, spart am falschen Ende. So langweilig AGB, vollständige und korrekte Artikelbeschreibungen auch sein mögen, Händler müssen sicherstellen, dass sie abmahnsichere Rechtstexte verwenden und ihre Onlinepräsenz kontinuierlich überprüfen, um Wettbewerbsverstöße zu vermeiden.
Dies gilt auch für die angebotene Ware. Sie muss frei von Sach- und Rechtsmängeln sein und der Beschreibung entsprechen. Es mag günstiger sein, seine Ware in Asien einzukaufen, doch der Händler haftet dafür, dass die Ware in der EU verkauft werden darf und dabei alle Vorschriften eingehalten werden. Wenn Ware im Ausland eingekauft wird, sollte sich der Händler vom Lieferanten schriftlich bestätigen lassen, dass die Ware in Deutschland verkauft werden darf. Sollte dies nicht der Fall sein, kann der Händler zumindest versuchen, den Lieferanten in Regress zu nehmen – was jedoch schwierig ist, wenn der Lieferant in China sitzt.
Händler sollten immer einen Liquiditätspuffer bereithalten, um solche Situationen zu überstehen, und sich nicht von nur einer Plattform abhängig machen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Über Christin Gehder
Rechtsanwältin Christin Gehder ist bereits seit vielen Jahren in der Partnerkanzlei des Händlerbundes, der HB E-Commerce Rechtsanwaltsgesellschaft, tätig. Durch ihre Expertise unterstützt sie Online-Händler:innen bei den täglichen rechtlichen Herausforderungen im deutschen E-Commerce.
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