Barrierefreiheit: Der große BFSG-Rechtsüberblick

Veröffentlicht: 23.06.2025
imgAktualisierung: 23.06.2025
Geschrieben von: Yvonne Bachmann
Lesezeit: ca. 8 Min.
23.06.2025
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ca. 8 Min.
Auf einem Startbildschirm eines Shops ist ein Popup zu sehen, welches besagt: Barrierefreiheit: Der große Überblick"
Erstellt mit ChatGPT
In wenigen Tagen ist die Barrierefreiheit zahlreicher Online-Angebote Pflicht. Hier erfährst du, was du als Online-Händler jetzt tun musst.


Barriere-Freiheits-Stärkungs-Gesetz. Allein das Wort klingt wie etwas, das man lieber auf später verschiebt. Das führte dazu, dass immer noch zwei von drei Shops nicht barrierefrei sind.

Dabei betrifft es ab dem 28. Juni 2025 viele Unternehmen, die Produkte online verkaufen – vom kleinen Shopify-Shop bis zum großen Marktplatzanbieter. Das Gesetz mag sperrig heißen, aber es hat klare Ziele – und klare Folgen für die Praxis: Händler müssen ihre digitalen Angebote technisch und inhaltlich barrierefrei gestalten – bei jedem Klick bis zur Kasse. Klingt aufwendig? Muss es nicht sein. Dieser Guide erklärt dir noch einmal kurz, aber konkret, was das BFSG vorschreibt, wen es betrifft, was du anpassen musst – und vor allem: wie du am besten loslegst, ohne dich zu verzetteln.

Gesetzlicher Hintergrund und Zielsetzung

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) setzt die EU-Richtlinie 2019/882 – den sogenannten European Accessibility Act (EAA) – in deutsches Recht um. Ziel ist es, Produkte und Dienstleistungen in der EU barrierefreier zu gestalten – vor allem digital.

Für Online-Händler bedeutet das: Ab Ende Juni 2025 gelten verbindliche Anforderungen an die Barrierefreiheit von Websites, Apps und vielen digitalen Produkten.

Zeitplan und Fristen

  • In Kraft seit: 28. Juni 2022
  • Verbindlich ab: 28. Juni 2025
  • Übergangsfrist für bestehende Dienstleistungen: bis spätestens 28. Juni 2030

Produkte, die vor dem 28. Juni 2025 in Verkehr gebracht wurden, dürfen weiter abverkauft werden, sie landen nicht auf dem Müll.

Anwendungsbereich des BFSG

Das BFSG gilt für zahlreiche Produkte und Dienstleistungen, darunter:

  • Universalrechner: Desktop-PCs und Laptops (Windows-PCs, MacBooks, etc.), Tablets, Smartphones, Mini-PCs, Einplatinencomputer (wie z. B. Raspberry Pi)
  • Betriebssysteme: z. B. Windows, macOS, Linux, iOS, Android, Betriebssysteme für Tablets oder Hybridgeräte
  • Verbraucherendgeräte mit interaktivem Leistungsumfang: Mobiltelefone und Smartphones, Router oder Modems, Smart-TVs (z. B. mit vorinstallierten Apps wie Netflix, ARD Mediathek, YouTube etc.), Streaming-Boxen und Streaming-Sticks (z. B. Amazon Fire TV, Apple TV, Google Chromecast), Multimedia-Spielkonsolen mit Streaming-Funktion (z. B. PlayStation, Xbox), Set-Top-Boxen für Internet-TV (z. B. Telekom MagentaTV, Sky Q Box)
  • E-Book-Lesegeräte: z. B. Amazon Kindle (alle Varianten), Kobo E-Reader (Clara, Libra, Elipsa etc.), Tolino-Geräte, sonstige Lesegeräte, die mit E-Ink-Displays arbeiten
  • Online-Shops: eigene Online-Shops, Verkauf über Marktplätze wie Amazon, Ebay, Etsy, Hood, Kaufland etc., Apps oder Webportale, über die Verbraucher Waren oder Dienstleistungen buchen, bestellen oder kaufen können, digitale Buchungssysteme (z. B. für Abos, Kurse)
  • E-Books und Software: z. B. ein EPUB-Roman, E-Reader-Apps (z. B. Kindle-App, Tolino-App), Webreader-Plattformen (z. B. „Im Browser lesen“-Funktion bei Hugendubel oder Thalia) und Cloud-Bibliotheken mit Lesezugriff, digitale Verleihdienste für Bücher, Lese-Software für Desktop oder Mobilgeräte

Der Anwendungsbereich noch einmal im Überblick:

Die verschiedenen Produkte, die unter das BFSG fallen werden noch einmal aufgezählt, z. B. Laptops, E-Books, Spielekonsolen, Online-Shops
(Hinweis: Das Bild kann über die rechte Maustaste in einem neuen Tab geöffnet und dort per Klick in größerem Format angeschaut werden.)

Ausnahmeregelungen

Abgesehen von dem engen Anwendungsbereich betreffend die Produkte (siehe Punkt zuvor) gibt es auch drei wesentliche Ausnahmen.

  • Kleinunternehmen
    Unternehmen müssen die Anforderungen an den barrierefreien Shop nicht erfüllen, wenn sie weniger als zehn Beschäftigte haben und einen Jahresumsatz oder eine Jahresbilanzsumme von höchstens zwei Millionen Euro erzielen (Jahresdurchschnitt des Vorjahres). Entscheidend für die Berechnung der Mitarbeiterzahl ist nicht nur die Anzahl der Köpfe, sondern der rechnerische Personalwert. Wir haben die konkrete Berechnung bereits erklärt.
    Beide Bedingungen müssen für die Ausnahme gleichzeitig erfüllt sein.
    Achtung: Die Ausnahme für Kleinstunternehmen gilt ausschließlich für den Shop als Absatzkanal. Für Produkte, die unter das Gesetz fallen (z. B. E-Book-Reader, Spielekonsolen, Computer), besteht keine Kleinstunternehmerausnahme. In solchen Fällen müssen auch kleinere Unternehmen die gesetzlichen Barrierefreiheitsanforderungen einhalten und dürfen diese Produkte nur vertreiben, wenn sie barrierefrei hergestellt sind.
  • Wesentliche Veränderung des Produkts oder der Dienstleistung
    Dies betrifft Fälle, in denen die Umsetzung der Barrierefreiheit dazu führen würde, dass ein Produkt oder eine Dienstleistung in seinem Wesen oder seiner Funktion wesentlich verändert würde. Im Mittelpunkt steht hier die Frage, ob die Anpassung an Barrierefreiheitsstandards ein Produkt oder eine Dienstleistung so stark verändern würde, dass es nicht mehr in seiner beabsichtigten Form nutzbar oder marktfähig wäre. Es geht also um die technische und funktionale Integrität des Angebots. Die meisten Shop-Systeme, Benutzeroberflächen oder Inhalte lassen sich mit vertretbarem Aufwand barrierefrei gestalten, ohne das „Wesen“ der Dienstleistung zu verändern.
  • Unverhältnismäßige wirtschaftliche Belastung
    Diese Ausnahme ist bewusst eng gefasst und zielt auf Konstellationen ab, in denen die Kosten oder der Aufwand zur Umgestaltung eines Produktes in keinem vertretbaren Verhältnis zum wirtschaftlichen Nutzen oder zur Größe des Unternehmens stehen. Zu den Kriterien, die für die Einordnung eine Rolle spielen, gehören z. B. die Kosten für zusätzliches Personal mit Fachkenntnissen im Bereich Barrierefreiheit oder Kosten im Zusammenhang mit der Prüfung des Produkts oder der Dienstleistung unter dem Aspekt der Barrierefreiheit. Standardmaßnahmen wie die barrierefreie Gestaltung der Webseite nach gängigen Webstandards (z. B. WCAG) oder die Bereitstellung zugänglicher Inhalte (z. B. Alt-Attribute für Bilder) gelten in der Regel nicht als unzumutbar. Viele dieser Anpassungen können mit vertretbarem Aufwand umgesetzt werden und gelten nach dem Stand der Technik bereits als wirtschaftlich tragbar, auch für kleinere Unternehmen.

Die verschiedenen Anwendungsbereiche und Ausnahmen können also dazu führen, dass entweder der Shop oder die Produkte, beides oder nichts davon betroffen ist.

Eine Tabelle zeigt die vier Konstellationen der Betroffenheit vom BFSG
(Hinweis: Das Bild kann über die rechte Maustaste in einem neuen Tab geöffnet und dort per Klick in größerem Format angeschaut werden. Eine barrierefreie Version dieser Grafik findet sich in Step 4 unseres BFSG-Checks.)

Anforderungen an digitale Barrierefreiheit

Online-Händler sehen sich unter dem BFSG mit umfassenden Anforderungen entlang der gesamten Customer Journey konfrontiert – von Navigation und Produktauswahl über den Bestell- bis hin zum Zahlungsprozess. Dabei gelten vier zentrale Prinzipien:

  • Wahrnehmbarkeit: z. B. Texte als Alternativen zu Bildern, Videos mit Untertiteln, einstellbare Kontraste und Schriftgrößen
  • Bedienbarkeit: z. B. Navigation auf verschiedenen Wegen möglich, z. B. Maus und Tastatur oder Screenreader
  • Verständlichkeit: z. B. klar strukturierte Inhalte, eindeutige Formulierungen
  • Robustheit: z. B. Kompatibilität mit Hilfstechnologien (z. B. Sprachausgabe)

Diese Vorgaben betreffen nicht nur die Oberfläche des Shops, sondern auch alle digitalen Prozesse – von der Produktauswahl bis zum Zahlungsabschluss.

Bevor man jedoch mit Anpassungen beginnt, empfiehlt sich eine Bestandsaufnahme: Viele Shopsysteme nutzen bereits systemseitige Accessibility-Funktionen, etwa durch automatisch erstellte Alt-Texte, die ursprünglich für SEO genutzt wurden, aber auch der Barrierefreiheit dienen. Zur praktischen Umsetzung sollte man in drei Schritten vorgehen:

  1. Ist-Analyse mit Tools oder Audits.
  2. Maßnahmenplanung inklusive Priorisierung anhand der gefundenen Schwachstellen.
  3. Technische Umsetzung durch Entwickler oder Agenturen – etwa durch Tastaturnavigation, Alternativtexte, ausreichende Farbkontraste und klare Strukturierung

Der Prozess ist fortlaufend und erfordert regelmäßige Updates – digitale Barrierefreiheit endet nicht mit dem Launch, sondern ist ein lebendiger Bestandteil der UX-Optimierung.

Hinweispflichten

Eine zentrale Neuerung ist zudem die Pflicht zur Veröffentlichung einer sogenannten Barrierefreiheitserklärung. Inhalt dieser Erklärung ist folgender:

  • eine allgemeine Beschreibung der Dienstleistung (also des Shops) in einem barrierefreien Format;
  • Beschreibungen und Erläuterungen, die zum Verständnis der Nutzung des Shops erforderlich sind;
  • eine Beschreibung, wie der Shop die einschlägigen Barrierefreiheitsanforderungen erfüllt und auf welchen geltenden Anforderungen (z. B. WCAG) dies beruht;
  • ggf. wie zusätzlich angebotene Dienstleistungsangebote (z. B. Assistenzsoftware) gestaltet sind und wie sie bedient werden können;
  • die Angabe der Marktüberwachungsbehörde.

Die Barrierefreiheitserklärung kann entweder in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder auf andere deutlich wahrnehmbare Weise erfolgen (z. B. unter einer eigenen Schaltfläche).

Ein Hinweis, dass man nicht unter das BFSG fällt, ist hingegen im Shop nicht erforderlich. Wer es freiwillig umsetzt, darf das jedoch zu werblichen Zwecke vermarkten.

Barrierefreiheit auf Marktplätzen

Auch für Händler, die ihre Produkte über Marktplätze wie Amazon, Ebay oder Etsy verkaufen, spielt Barrierefreiheit eine wachsende Rolle – auch wenn sie den technischen Unterbau der Plattform nicht selbst steuern können. Zwar liegt die Hauptverantwortung für die barrierefreie Gestaltung der Benutzeroberfläche bei den Plattformbetreibern, doch Händler sind selbst in der Pflicht, ihre Inhalte barrierefrei aufzubereiten – soweit sie Einfluss haben.

Dazu gehören insbesondere leicht verständliche Produktbeschreibungen, Bilder mit Alternativtexten (soweit möglich) oder aussagekräftige Titel – alles, was möglich ist. Auch der Versand von Dokumenten (z. B. Rechnungen oder Gebrauchsanleitungen per PDF) sollte barrierefrei erfolgen. Händler, die auf diesen Plattformen professionell auftreten wollen, profitieren doppelt: Sie verbessern die Nutzererfahrung und bereiten sich gleichzeitig auf die gesetzlichen Anforderungen vor.

Kontrolle und Sanktionen bei Verstößen

Die Umsetzung des BFSG wird durch die zentrale Marktüberwachungsbehörde kontrolliert. Diese kann auf Beschwerden hin tätig werden oder stichprobenartige Prüfungen durchführen. Unternehmen, die gegen die Vorschriften verstoßen, riskieren empfindliche Bußgelder und andere Sanktionen. Dass die ganze Webseite stillgelegt wird, ist zwar möglich, jedoch nicht das erklärte Ziel. Es geht um Inklusion und nicht um Bestrafung.

Darüber hinaus haben Verbraucherschutzverbände oder andere Vereine das Recht, rechtlich gegen Unternehmen vorzugehen, die die gesetzlichen Anforderungen nicht erfüllen. Dies kann in Form von den üblichen Abmahnungen nach dem Wettbewerbsrecht passieren – denn fehlende Barrierefreiheit gilt juristisch als unlauterer Wettbewerb.

Zusätzlich haben Nutzer die Möglichkeit, digitale Barrieren direkt zu melden, was im Zweifelsfall eine Überprüfung durch die zuständigen Behörden auslösen kann.

Vorteile digitaler Barrierefreiheit

Auch wenn ein Unternehmen unter Umständen rechtlich nicht verpflichtet ist, die Anforderungen des BFSG umzusetzen – etwa aufgrund der Kleinstunternehmer-Ausnahme – lohnt sich der Einstieg in digitale Barrierefreiheit in mehrfacher Hinsicht. Zum einen erschließt barrierefreies Design eine breitere Zielgruppe: Menschen mit Behinderungen, ältere Nutzer oder temporär eingeschränkte Personen (z. B. bei Nutzung mit einer gebrochenen Hand oder in lauter Umgebung) profitieren unmittelbar. Zum anderen verbessert Barrierefreiheit oft die allgemeine Usability – klare Strukturen, kontrastreiche Gestaltung und verständliche Inhalte kommen allen Nutzenden zugute, auch auf mobilen Endgeräten. Und das wiederum findet Google gut.

Daher hat digitale Barrierefreiheit positive Nebeneffekte auf die Sichtbarkeit in Suchmaschinen (SEO), die Rechtssicherheit und das Markenimage. Wer gleich von Anfang an proaktiv handelt, spart sich später teure Anpassungen und positioniert sich als zukunftsorientiertes und inklusives Unternehmen. In einem zunehmend kompetitiven E-Commerce-Umfeld kann genau das den entscheidenden Unterschied machen – auch unabhängig von gesetzlichen Vorgaben.

Tipps zur praktischen Umsetzung

Online-Händler sollten das Thema Barrierefreiheit unbedingt angehen, besser gestern als morgen. Ein guter erster Schritt ist die Durchführung eines Accessibility-Audits.

In der täglichen Praxis empfiehlt es sich, die Entwicklungsteams und Dienstleister (z. B. Agenturen) frühzeitig zu sensibilisieren und geschultes Fachpersonal einzubinden. Auch Inhalte wie Produkttexte, PDF-Dokumente oder E-Mail-Vorlagen sollten auf ihre Zugänglichkeit geprüft und gegebenenfalls überarbeitet werden. Unternehmen, die Barrierefreiheit als Teil ihrer User-Experience und nicht nur als Pflichterfüllung begreifen, profitieren häufig sogar von einer verbesserten Conversion und einem inklusiveren Markenauftritt.

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Veröffentlicht: 23.06.2025
img Letzte Aktualisierung: 23.06.2025
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Yvonne Bachmann

Yvonne Bachmann

Yvonne bringt juristische Klarheit in komplexe Fragen – zu Abmahnungen, EU-Recht, Wettbewerbsregeln und Urheberrechtsfragen.

KOMMENTARE
2 Kommentare
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Stefan
24.06.2025

Antworten

Ich hoffe, dass Ebay als meine Handelsplattform diese Bedingungen alle erfüllt - oder muss ich bei meinen Angeboten auch noch etwas berücksichtigen?
Mathias
25.06.2025
Das würde mich auch sehr interessieren. Ich meine gelesen zu haben, dass man als Händler selbst dafür zu sorgen hat, dass die Angebote entsprechend gestaltet sind. Für die Alt-Texte von Bildern solle man demnach die Texte in die Beschreibung einfügen.