Mit dem BFSG kommen neue Verpflichtungen auf alle Wirtschaftsakteure in der Lieferkette zu – auch auf Händler, die Produkte „nur“ weiterverkaufen. Dabei stellt sich oft die Frage: Wie kann ein Händler Verantwortung für die Barrierefreiheit eines Produkts übernehmen, das er weder entwickelt noch produziert hat? Die klare Antwort: Indem er prüft, dokumentiert, verweigert – und im Zweifel informiert. Denn das Gesetz verpflichtet Händler ausdrücklich zur Qualitätssicherung auch bei zugekauften Produkten.

Sind Händler überhaupt betroffen?

Die Antwort ist fast immer: Ja. Als Händler gelten laut BFSG alle, die Produkte an Endkunden weitergeben – egal ob sie ein Ladengeschäft führen, im Großhandel tätig sind oder einen Online-Shop betreiben. Sobald sie ein Produkt in den Verkauf bringen, das unter die Vorgaben des BFSG fällt (z. B. elektronische Geräte mit Displays), gelten die Händlerpflichten auch für sie.

Diese schauen wir uns nun näher an.

Händlerpflichten bei physischen Produkten im Überblick

Auch wenn sie kein Mitspracherecht bei der Entwicklung eines Produkts haben, sind sie verpflichtet, aktiv zur Einhaltung der Barrierefreiheitsanforderungen beizutragen. Im Kern umfassen die Händlerpflichten drei zentrale Aufgabenbereiche:

Prüfung und Dokumentation vor dem Verkauf

Ein Produkt darf durch den Händler erst auf dem Markt bereitgestellt werden, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt und Fragen geklärt sind:

  • Liegt eine CE-Kennzeichnung vor?
    Diese Kennzeichnung bestätigt, dass das Produkt die grundlegenden gesetzlichen Anforderungen (einschließlich Barrierefreiheit) erfüllt.
  • Sind die erforderlichen Unterlagen beigefügt?
    Dazu gehört vor allem die Konformitätserklärung des Herstellers – also ein offizielles Dokument, das bescheinigt: Dieses Produkt entspricht den Anforderungen des BFSG. Je nach Produktart können auch technische Beschreibungen oder Prüfberichte dazugehören.
  • Hat der Hersteller seine Hausaufgaben gemacht?
    Der Hersteller muss das Produkt so entwickelt haben, dass es barrierefrei nutzbar ist – und muss das auch nachweisen können. Für Händler bedeutet das: Die Informationen und Nachweise müssen vorliegen und nachvollziehbar sein.
  • Falls das Produkt importiert wurde:
    Dann ist zusätzlich zu prüfen, ob der Importeur seiner Pflicht nachgekommen ist, alle Unterlagen bereitzustellen und ebenfalls die Einhaltung der Anforderungen zu bestätigen.
  • Wie lange sind die Dokumente aufzubewahren?
    Auch wenn das Gesetz für Händler keine eigene Frist nennt, empfiehlt es sich, alle Nachweise zur Barrierefreiheit – insbesondere Konformitätserklärungen und Lieferantendokumente – analog zur Herstellerpflicht mindestens fünf Jahre lang aufzubewahren.

Für den Händler bedeutet das: Er muss prüfen, ob die Nachweise vorliegen und diese dokumentieren. Liegen die Unterlagen nicht vor, ist er verpflichtet, sie beim Lieferanten oder Hersteller einzuholen. In der Realität ist es für Händler jedoch kaum leistbar, für jedes einzelne Produkt zu beurteilen, ob die Unterlagen fachlich korrekt oder vollständig sind – besonders bei großen Sortimentsumfängen oder wechselnden Lieferanten. Deshalb ist es umso wichtiger, klare Vereinbarungen mit Herstellern oder Lieferanten zu treffen: Wer liefert was? Wer bestätigt die Konformität? Idealerweise wird eine schriftliche Lieferantenerklärung eingefordert, die bestätigt, dass alle gesetzlichen Anforderungen – inklusive Barrierefreiheit – erfüllt sind.

Praxistipp: Händler müssen und können die Unterlagen kaum technisch bewerten, aber sie müssen sicherstellen, dass überhaupt etwas vorliegt und dass es plausibel zum Produkt passt. Im Zweifel lieber einmal mehr nachhaken. Es empfiehlt sich, standardisierte Prozesse zur Prüfung und Dokumentation zu entwickeln. So können Händler sicherstellen, dass sie im Falle einer behördlichen Überprüfung alle relevanten Unterlagen zügig vorlegen können.

Kein Verkauf bei begründetem Verdacht

Wenn es Hinweise gibt, dass ein Produkt nicht barrierefrei ist oder nicht den Anforderungen des BFSG entspricht, darf es nicht verkauft oder weitergegeben werden – unabhängig davon, ob die Zweifel durch eigene Beobachtungen, Kundenhinweise oder Rückmeldungen von Lieferanten entstehen.

Ein solcher Verdacht kann z. B. aufkommen, wenn:

  • bei einem Produkt mit Display keine alternativen Bedienmöglichkeiten erkennbar sind (z. B. für Menschen mit Sehbehinderungen),
  • eine Konformitätserklärung fehlt oder offensichtlich unvollständig ist,
  • oder wenn sich im Sortiment herausstellt, dass ein Produkt entgegen der Zusicherung nicht barrierefrei nutzbar ist (z. B. Touchscreen ohne akustische Rückmeldung oder Menüführung ohne Kontrasteinstellungen).

In solchen Fällen darf das Produkt nicht in den Verkauf gelangen. Die Verantwortung liegt beim Händler, den Verkauf so lange zu stoppen, bis geklärt ist, ob das Produkt tatsächlich den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Der nächste Schritt ist die Kontaktaufnahme mit dem Hersteller oder dem Importeur, um den Sachverhalt zu klären. Wenn sich der Verdacht bestätigt oder nicht zeitnah entkräftet werden kann, ist zusätzlich die zuständige Marktüberwachungsbehörde zu informieren. Diese prüft dann, ob Maßnahmen wie ein Rückruf, ein Verkaufsverbot oder eine Nachbesserung erforderlich sind.

Der Verkauf darf erst dann wieder aufgenommen werden, wenn zweifelsfrei nachgewiesen wurde, dass das Produkt den Anforderungen an Barrierefreiheit genügt – z. B. durch eine nachgelieferte Konformitätserklärung oder einen technischen Nachweis.

Nachweispflicht gegenüber Behörden

Ein zentrales Element der Händlerpflichten nach dem BFSG ist die Mitwirkung bei der Marktüberwachung. Das bedeutet: Sobald sich eine Marktüberwachungsbehörde – z. B. die neu gegründete „Marktüberwachungsstelle der Länder für die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen“ (MLBF) – meldet und Informationen zu einem bestimmten Produkt anfordert, müssen Händler in der Lage sein, alle relevanten Nachweise zur Barrierefreiheit zeitnah vorzulegen.

Konkret geht es dabei um:

  • die Konformitätserklärung des Herstellers,
  • ggf. technische Unterlagen, die belegen, dass das Produkt barrierefrei nutzbar ist,
  • und sonstige Dokumente, z. B. Lieferantenerklärungen oder interne Prüfvermerke, die die Sorgfaltspflicht des Händlers belegen.

Auch hier gilt: Händler müssen und können nicht selbst beurteilen, ob ein Produkt tatsächlich barrierefrei ist – sie müssen aber belegen können, dass sie ihrer Sorgfaltspflicht nachgekommen sind und nur solche Produkte verkaufen, bei denen der Hersteller (oder Importeur) die Anforderungen nachweislich erfüllt hat.

Rechtssicherheit durch klare Prozesse

Auch beim reinen Weiterverkauf von fertigen Produkten ist die Verantwortung für die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben nicht vollständig delegierbar. Um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein, empfiehlt es sich, bestimmte Prüf- und Dokumentationsprozesse im Unternehmen fest zu verankern. Dazu gehört idealerweise: die konsequente Anforderung und Archivierung von Nachweisen zur Barrierefreiheit bereits beim Wareneinkauf, eine standardisierte interne Prüfung vor Verkaufsstart, klare Zuständigkeiten für Dokumentation und Kommunikation mit Lieferanten sowie ein strukturiertes System zur Aufbewahrung aller relevanten Unterlagen.

Verantwortung mit Augenmaß und Unterstützung

Das BFSG verlangt viel – und gerade für Händler, die Produkte nur weiterverkaufen, bedeutet das zusätzliche Bürokratie, neue Prüfprozesse und mehr Unsicherheit. Viele dieser Anforderungen wirken auf den ersten Blick überfordernd, besonders für kleinere Betriebe, die ohnehin täglich mit knappen Ressourcen wirtschaften müssen. Trotzdem ist die Intention des Gesetzes eine wichtige: Produkte sollen so gestaltet sein, dass sie für alle Menschen zugänglich sind – auch für Menschen mit Einschränkungen. Das ist nicht nur gesetzlich gefordert, sondern gesellschaftlich notwendig.

Aber klar ist auch: Händler brauchen dafür praktikable Lösungen. Sie sollen nicht zu Kontrolleuren gemacht werden, die Herstellerarbeit nachholen müssen. Deshalb ist es entscheidend, dass Händler frühzeitig mit ihren Lieferanten ins Gespräch kommen, klar definieren, welche Nachweise sie benötigen – und sich bei Bedarf auch rechtlich oder fachlich unterstützen lassen.

Weitere Informationen rund um die Barrierefreiheit findest du auf unserer Themenseite Barrierefreiheit.

Artikelbild: http://www.depositphotos.com