Barrierefreiheit: Welche Produkte und Dienstleistungen sind betroffen?

Veröffentlicht: 15.04.2025
imgAktualisierung: 15.04.2025
Geschrieben von: Yvonne Bachmann
Lesezeit: ca. 6 Min.
15.04.2025
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ca. 6 Min.
Verschiedene Piktogrammer elektronischer Geräte zB Computer, Smartphones
bioraven / Depositphotos.com
Viele sind verunsichert, ob ihre Produkte betroffen sind. Müssen Aquarienpumpen oder Ähnliches barrierefrei verkauft werden? Spoiler: Nein.


Ab dem 28. Juni 2025 gilt in Deutschland das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG). Ziel des Gesetzes ist es, Menschen mit Behinderungen eine gleichberechtigte Teilhabe am digitalen Alltag zu ermöglichen – insbesondere bei der Nutzung von Produkten und Dienstleistungen. Das betrifft auch viele Angebote im E-Commerce. Viele Verantwortliche fragen sich zu recht: Muss mein Sortiment wirklich barrierefrei sein? Gehören jetzt auch Kaffeevollautomaten oder Lichterketten zu den Produkten, die unter das neue Gesetz fallen? Die Antwort ist ganz klar: Nein. Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz hat einen ganz bestimmten Anwendungsbereich – und der betrifft längst nicht alles, was online verkauft wird.

Welche Produkte sind betroffen?

Das BFSG betrifft alle Unternehmen, die bestimmte Produkte oder Dienstleistungen für Verbraucher anbieten – auch im Online-Handel. Im Gesetz ist hierzu genau geregelt, welche Produktgruppen barrierefrei gestaltet sein müssen. Die wichtigsten Kategorien gehen wir nun durch.

Hardwaresysteme für Universalrechner einschließlich der für diese Hardwaresysteme bestimmte Betriebssysteme

Damit sind digitale Geräte gemeint, die für eine Vielzahl von allgemeinen Rechen- und Kommunikationsaufgaben konzipiert sind und dem Nutzer über eine grafische Benutzeroberfläche ermöglichen, unterschiedliche Anwendungen auszuführen. Dazu gehören sowohl die physische Hardware (z. B. Prozessor, Eingabe-/Ausgabesysteme) als auch das darauf abgestimmte Betriebssystem, das die Steuerung, Verwaltung und Nutzung dieser Funktionen ermöglicht.

Beispiele:

  • Desktop-PCs und Laptops (Windows-PCs, MacBooks, etc.)
  • Tablets
  • Smartphones
  • Mini-PCs, Einplatinencomputer (wie z. B. Raspberry Pi)
  • Betriebssysteme wie Windows, macOS, Linux, iOS, Android, Betriebssysteme für Tablets oder Hybridgeräte

Nicht betroffen:

  • einzeln verkaufte Monitore oder Tastaturen
  • in Verbraucherelektronik eingebettete Spezialcomputer (z. B. Smart-Kühlschränke mit Touchscreen)
  • einzelne Komponenten mit spezifischen Funktionen wie Hauptplatinen oder Speicherchips
  • Zubehör wie Handyhüllen oder Notebook-Taschen

Verbraucherendgeräte mit interaktivem Leistungsumfang, die für Telekommunikationsdienste verwendet werden

Gemeint sind Geräte, mit denen Nutzer telefonieren, Nachrichten schreiben oder ins Internet gehen können. Diese Geräte müssen barrierefrei gestaltet sein, wenn sie an Verbraucher verkauft werden.

Beispiele:

  • Mobiltelefone und Smartphones
  • Router oder Modems

Nicht betroffen:

  • reine Smart-TVs (reines TV-Streaming ist kein Telekommunikationsdienst, sie fallen in eine andere Kategorie)
  • Babyphones, Funkgeräte oder Gegensprechanlagen, die im privaten WLAN betrieben werden
  • Zubehör wie Handyhüllen

Diese Kategorie zeigt, wie schwer die Abgrenzung sein kann. Eine WLAN-Gegensprechanlage mit App kann nicht betroffen sein, wenn sie nur lokal funktioniert – oder sehr wohl betroffen, wenn sie z. B. über das Internet oder SIP-Telefonie mit öffentlichen Telekommunikationsdiensten kommuniziert.

Verbraucherendgeräte mit interaktivem Leistungsumfang, die für den Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten verwendet werden

Das sind Geräte, mit denen man aktiv Inhalte wie Filme, Serien oder Fernsehsendungen auswählt, abspielt und steuert – z. B. über Apps, Touchscreens oder Fernbedienungen. Diese Endgeräte müssen barrierefrei gestaltet sein, wenn sie für Verbraucher bestimmt sind.

Beispiele:

  • Smart-TVs (z. B. mit vorinstallierten Apps wie Netflix, ARD Mediathek, YouTube etc.)
  • Streaming-Boxen & Streaming-Sticks (z. B. Amazon Fire TV, Apple TV, Google Chromecast)
  • Multimedia-Spielkonsolen mit Streaming-Funktion (z. B. PlayStation, Xbox)
  • Set-Top-Boxen für Internet-TV (z. B. Telekom MagentaTV, Sky Q Box)

Nicht betroffen:

  • Fernsehgeräte ohne interaktive Funktionen (z. B. einfache TVs ohne Internet oder App-Zugriff)
  • Blu-ray/DVD-Player, die nur Medien abspielen, aber keinen Zugriff auf Streaming oder Mediatheken bieten
  • Computer oder Tablets, die nur indirekt per Browser/Software auf Inhalte zugreifen (sie zählen zu einer anderen Kategorie, s. o.)

E-Book-Lesegeräte

Gemeint sind elektronische Geräte, die speziell dazu bestimmt sind, digitale Bücher (E-Books) darzustellen – und mit denen Verbraucher aktiv interagieren, d. h. blättern, markieren, Schriftgröße ändern oder Inhalte durchsuchen können.

Beispiele:

  • Amazon Kindle (alle Varianten)
  • Kobo E-Reader (Clara, Libra, Elipsa etc.)
  • Tolino-Geräte
  • Sonstige dedizierte Lesegeräte, die mit E-Ink-Displays arbeiten

Nicht betroffen:

  • Tablets allgemein, bei denen das Lesen von E-Books nur eine Nebenfunktion darstellt (sie fallen unter die Universalrechner, s. o.)
  • Reine PDF-Reader oder Notizgeräte, die keine dedizierte E-Book-Nutzung ermöglichen
  • E-Book-Verkaufsplattformen und Lese-Software (sie fallen als Dienstleistung unter eine andere Kategorie)

Welche Dienstleistungen und digitalen Dienste sind betroffen

Online-Shops

Unter das BFSG fallen ab dem 28. Juni 2025 auch digitale Dienstleistungen, über die Verbraucher Produkte kaufen können – also Online-Shops und Handelsplattformen, unabhängig davon, welche technischen Systeme oder Anbieter verwendet werden.

Beispiele:

  • eigene Online-Shops, egal, mit welchem Shopsystem sie betrieben werden
  • Verkauf über Marktplätze wie Amazon, Ebay, Etsy, Hood, Kaufland, Real etc.
  • Apps oder Webportale, über die Verbraucher Waren oder Dienstleistungen buchen, bestellen oder kaufen können
  • digitale Buchungssysteme (z. B. für Abos, Kurse)

Nicht betroffen:

  • Reine Informationsseiten ohne Verkaufsfunktion (z. B. Blogs ohne Shop, Foren)
  • B2B-Kanäle, wenn sie ausschließlich Geschäftskunden ansprechen

E-Books und hierfür bestimmte Software

Gemeint sind hier sowohl die digitalen Bücher selbst als auch alle Programme und Anwendungen, mit denen diese E-Books gelesen, gekauft, gespeichert oder verwaltet werden.

Beispiele:

  • E-Books, z. B. ein EPUB-Roman
  • E-Reader-Apps (z. B. Kindle-App, Tolino-App)
  • Webreader-Plattformen (z. B. „Im Browser lesen“-Funktion bei Hugendubel oder Thalia) und Cloud-Bibliotheken mit Lesezugriff
  • Digitale Verleihdienste für Bücher
  • Lese-Software für Desktop oder Mobilgeräte

Nicht betroffen:

  • einfache PDF-Dateien
  • Inhalte, die ausschließlich für den Druck bestimmt sind
    Software, die nicht für das Lesen von E-Books gedacht ist, z. B. Textverarbeitungsprogramme (z. B. Word), allgemeine PDF-Viewer ohne E-Book-Funktion

In welche Kategorie fällt mein Produkt/meine Dienstleistung?

Wie man sieht, werden jedoch auch mehrere Gerätetypen genannt, die bald barrierefrei gestaltet sein müssen. Dabei kann es zu Überschneidungen kommen, denn viele moderne Geräte – etwa Smartphones oder Tablets – erfüllen gleich mehrere Funktionen. Für die Einordnung ist entscheidend, welcher Hauptzweck mit dem Gerät verfolgt wird.

Laptops, Desktop-PCs und Tablets, die primär als vielseitige Arbeitsgeräte genutzt werden, gelten z. B. als Universalrechner und fallen unter die entsprechende Kategorie des Gesetzes. Smartphones und Telefone hingegen zählen streng genommen zu den Verbraucherendgeräten für Telekommunikationsdienste, weil sie zur aktiven Nutzung von Diensten wie Telefonie, Messaging oder Internetzugang bestimmt sind – obwohl sie die Gesetzesbegründung zu Computerhardware zählt. Viele Fragen werden daher erst in der Praxis zu einer Antwort kommen.

Nichtsdestotrotz werden diese Geräte zwar häufig online verkauft, doch die praktische Verantwortung für deren Barrierefreiheit liegt in erster Linie bei den Herstellern, Importeuren und ggf. Großhändlern, nicht beim klassischen Online-Einzelhändler. Online-Händler sind in diesem Fall lediglich Vertriebsstellen – und nicht verpflichtet, die Geräte technisch nachzurüsten oder deren Software anzupassen. Wichtig ist nur, dass sie keine Geräte verkaufen, die offensichtlich nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechen – hier greift die allgemeine Sorgfaltspflicht.

Weitere Anwendungsbereiche

Neben den für den E-Commerce relevanten Produkten und Dienstleistungen nennt das BFSG auch weitere Bereiche wie Telekommunikationsdienste, Bankdienstleistungen und digitale Elemente von Personenbeförderungsdiensten im Fernverkehr (z. B. Flug-, Bahn-, Fernbus- oder Schiffsreisen). Diese Anforderungen richten sich jedoch nicht an den klassischen Online-Handel, sondern betreffen hauptsächlich Telekommunikationsanbieter, FinTechs, Banken, Verkehrsunternehmen und Reiseportale. Händler, die ausschließlich physische Produkte oder klassische Online-Shops betreiben, sind von diesen Regelungen in der Regel nicht betroffen.

Das BFSG verpflichtet ab dem 28. Juni 2025 auch, bestimmte Selbstbedienungsterminals barrierefrei zu gestalten. Dabei geht es unter anderem um Zahlungsterminals – z. B. Kassenterminals mit Touchscreen, Geldautomaten, Fahrausweisautomaten (z. B. im Fernverkehr), Check-in-Automaten (z. B. am Flughafen). Online-Händler sind nur betroffen, wenn sie aktiv mit interaktiven, öffentlich zugänglichen Terminals arbeiten, die in einen betroffenen Dienstleistungsbereich fallen (z. B. digitale Verkaufs- oder Zahlungssysteme, interaktive Info- oder Abholterminals, z. B. bei Click & Collect, im Showroom oder auf Messen). Reine Online-Shopsysteme ohne stationäre Terminals oder mit standardisierter Bezahlseite im Web sind von dieser Regelung nicht betroffen.

Fazit und Praxistipp

Das BFSG hat einen klar und abschließend definierten Anwendungsbereich. Es betrifft nur die konkret im Gesetz genannten Produkte und Dienstleistungen – und nicht „alles Digitale“ oder „alles, was online verkauft wird“. Wenn ein Produkt oder eine Dienstleistung nicht ausdrücklich unter die gesetzlich geregelten Kategorien fällt (z. B. Universalrechner, Telekommunikationsgeräte, audiovisuelle Zugangstechnik, E-Books, Online-Shops etc.), besteht auch keine Pflicht zur Barrierefreiheit nach dem BFSG. Produkte wie Möbel, Kleidung, Heimtierbedarf, Lampen, Werkzeuge oder Haushaltsgeräte sind nicht betroffen – ebenso wenig wie reine Informationsseiten oder klassische B2B-Angebote.

Wichtig ist auch: Kleinstunternehmen können sich auf eine Ausnahme berufen, wenn sie weniger als zehn Personen beschäftigen und einen geringen Umsatz haben. Bei Produkten hingegen gibt es keine Unternehmensgrößenausnahme

Auch wenn das BFSG nicht alles betrifft, was im Online-Handel verkauft wird, sollten sich Händler und Dienstleister spätestens jetzt mit dem Thema digitale Barrierefreiheit auseinandersetzen. Denn wer zu den betroffenen Bereichen gehört, muss bis 28. Juni 2025 konkrete Anforderungen umsetzen – sei es an Produkten, Plattformen oder Prozessen.

Weitere Informationen rund um die Barrierefreiheit findest du auf unserer Themenseite Barrierefreiheit.

Artikelbild: http://www.depositphotos.com

Veröffentlicht: 15.04.2025
img Letzte Aktualisierung: 15.04.2025
Lesezeit: ca. 6 Min.
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Yvonne Bachmann

Yvonne Bachmann

Expertin für IT-Recht

KOMMENTARE
4 Kommentare
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Max Sonntag
16.04.2025

Antworten

Also ich fasse mal zusammen, so wie ich das verstanden habe: 1. Die Verantwortung für die Barrierefreiheit liegt beim Hersteller, nicht beim klassischen Online-Einzelhändler. 2. Die Verordnung gilt ausschließlich für ab dem Stichtag in Verkehr gebrachte Produkte, also neu entwickelte Sachen. Alles, was es vorher schon gab, bleibt, wie es ist 3. Die Verordnung gilt nicht für Kleinunternehmen mit weniger als 10 Beschäftige bzw. 2.000.000 Jahresumsatz Mit anderen Worten: ich kann mich entspannt zurücklehnen, denn wir sind als Einzelhändler nicht für die Herstellung verantwortlich, haben weniger als 10 Mitarbeiter und der Jahresumsatz liegt auch unter 2.000.000 €
Karl Ranseier
16.04.2025

Antworten

Das Gesetz betrifft also nicht alles, sondern nur Dinge, die man verkaufen will - also doch alles! Den Beitrag hätte man sich also schenken können. Andererseits zeigt er sehr schön, dass die Regierung davon ausgeht, dass nur DAX Unternehmen Import machen, die diese juristischen Ungetüme einfach an ihre Rechtsabteilung geben, die dann einen Subunternehmer ran holt, den sie dann von der Steuer absetzen. Leider importiere ich als Einzelunternehmer auch und musste mir diverse Texte zum Thema antun, mir wieder einige schlaflose Nächte geben, um erst Monate später gesagt zu bekommen, dass mein Betrieb zu klein ist, mich der ganze Schmumpf also doch nicht betrifft. Mal sehen, ob ich nicht trotzdem prophylaktisch abgemahnt werde, weil man als Jurist pauschal pro Schreiben mehr verdient als andere Leute mit echten Produkten an Bruttoumsatz generieren können (denen übrigens auch immer mehrere Schreiben beiliegen, die aber alle gratis sein müssen). Ein typisches EU-Monster: ohne jede Sachkenntnis, aber mit viel Bürokratie und natürlich vollkommen nutzlos. Last doch die Firmen selber entscheiden, ob sie für 4 % Rot-Grün-Blinde ihre Webseite für teures Geld anpassen lassen wollen. Und die 0,2% Blinden in Deutschland beschaffen sich ihre Software vielleicht schlicht und ergreifend selber. Bzw. das hat eine Aufgabe der Krankenkasse zu sein, aber nicht von jeder Wurstbude Deutschlands, bloß weil alle paar Jahre mal ein Blinder vorbeikommen könnte. Aber wenn die EU nicht mehr mit Kanonen auf Spatzen schießen dürfte, was sollte sie dann wohl machen, um all die hoch bezahlten Sesselfurzjobs zu erklären? Es geht schon lange nicht mehr darum, irgendetwas zu verbessern. Wir erhalten nur diesen uns auslaugenden Moloch, de rein reiner Selbstzweck ist! Prä EU war Export und Import irgendwie einfacher, obwohl uns doch genau erklärt wurde, dass die EU doch dafür da ist, dass alles einfacher wird. Das hat irgendwie so gar nicht geklappt!
ralf
16.04.2025

Antworten

Entweder habe ich es es überlesen oder konnte es im Text nicht finden. Was ist mit Produkten die jetzt ein Händler im Lagerbestand hat und in Zukunft barriefrei sein müssen. Muss er z.B. Tablets die noch nicht barrierefrei sind und bis zum 28. Juni nicht alle abgesetzt bekommt, dann entsorgen? Und wir sieht es mit dem Handel von gebrauchten Geräten aus? Oder ist es ähnlich wie bei der GPSR, wenn die Geräte vor dem 28. Juni hergestellt worden sind, diese noch abverkauft werden dürfen.
Redaktion
16.04.2025
Hallo Ralf,
die Tablets müssen nicht entsorgt werden. Das BFSG gilt für Produkte, die nach dem 28. Juni 2025 in den Verkehr gebracht werden. „Inverkehrbringen“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass ein Produkt zum ersten Mal auf dem Markt der Europäischen Union zum Verkauf oder zur Nutzung angeboten wird. Die Tablets dürfen daher noch abverkauft werden.
Beste Grüße
die Redaktion