Kleinstunternehmen und das BFSG: Wer kann sich auf die Ausnahme berufen?

Veröffentlicht: 10.06.2025
imgAktualisierung: 10.06.2025
Geschrieben von: Yvonne Bachmann
Lesezeit: ca. 3 Min.
10.06.2025
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ca. 3 Min.
Auf einem Stapel Papiermännchen sticht eine rote hervor
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Bald greift das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Wir zeigen, wer sich auf die Ausnahme berufen kann und worauf trotzdem zu achten ist.


In weniger als drei Wochen greift das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG). Online-Händler, Softwareanbieter und Dienstleister sollen bis dahin ihre Produkte und Dienstleistungen barrierefrei gestalten – von Online-Shops über Bezahlsysteme bis hin zu digitalen Kundenservices. Was nach einer technischen Randnotiz oder einem Nischenthema klingt, bedeutet für viele kleinere Betriebe einen erheblichen Anpassungsdruck. Zwischen steigenden Werbekosten, wachsenden Kundenansprüchen und den täglichen Herausforderungen des E-Commerce droht das Thema Barrierefreiheit unterzugehen. Die Unsicherheit ist ebenfalls groß: Muss jeder kleine Webshop nun umfassend barrierefrei werden? Oder gibt es Ausnahmen? Und falls ja – wie sehen diese konkret aus?

Die Ausnahmeregelung im BFSG: Wann Kleinstunternehmen nicht betroffen sind

Das Gesetz sieht eine wichtige Ausnahme für Kleinstunternehmen vor. Zur Prüfung, ob ein Unternehmen von der Ausnahme Gebrauch machen kann, sind zwei Kriterien entscheidend. Unternehmen müssen die Anforderungen an den barrierefreien Shop nicht erfüllen, wenn sie weniger als zehn Beschäftigte haben und einen Jahresumsatz oder eine Jahresbilanzsumme von höchstens zwei Millionen Euro erzielen.

  1. Beschäftigtenzahl: Maßgeblich ist dabei der europäische KMU-Standard (Empfehlung 2003/361/EG). Es zählen sowohl Vollzeitkräfte als auch Teilzeitkräfte, letztere anteilig, in die Berechnung ein. Entscheidend ist also nicht nur die Anzahl der Köpfe, sondern der rechnerische Personalwert. Wir haben die konkrete Berechnung bereits erklärt.
  2. Umsatzgrenze: Maßgeblich ist der Jahresdurchschnitt des Vorjahres – also für die Prüfung im Jahr 2025 die Zahlen aus 2024. Überschreitet ein Unternehmen im darauffolgenden Jahr die Schwelle, fällt die Ausnahme weg. Wer knapp an der Grenze liegt oder erst neu gegründet wurde, sollte rechtzeitig mit seinem Steuerbüro sprechen und prüfen, wie sich die Zahlen entwickeln – gerade bei saisonal schwankenden Einnahmen.

Beide Bedingungen müssen für die Ausnahme gleichzeitig erfüllt sein, damit ein Unternehmen unter die Ausnahmeregelung für Kleinstunternehmen im Sinne des BFSG fällt. Zur Verdeutlichung noch drei Beispiele:

  • Ein Online-Shop hat nur drei Mitarbeitende, macht aber drei Millionen Euro Umsatz → nicht befreit.
  • Ein Unternehmen hat nur eine Million Euro Umsatz, beschäftigt aber 15 Mitarbeitende → nicht befreit.
  • Ein Händler mit vier Mitarbeitenden und 500.000 Euro Jahresumsatz → befreit.

Die Ausnahme gilt für alle, die digitale Dienstleistungen bereitstellen – vom Online-Shop über digitale Kundensupportsysteme bis hin zu elektronischen Buchungstools. Wer diese Schwellen nicht überschreitet, muss seine Online-Angebote nicht verpflichtend barrierefrei gestalten. Das bedeutet aber nicht, dass das Thema BFSG nun vom Tisch ist.

Was trotz Ausnahme zu beachten bleibt

Viele Unternehmen wähnen sich in Sicherheit, wenn sie weder genügend Umsatz noch Personal haben. Das ist jedoch falsch, denn die Ausnahmeregelung bedeutet nicht, dass das BFSG komplett an Kleinstunternehmen vorbeigeht. Denn je nach Produkttyp können dennoch mittelbare Verpflichtungen bestehen – etwa wenn Produkte in Verkehr gebracht werden, die unter die Barrierefreiheitsanforderungen fallen. Dazu zählen z. B.: E-Book-Reader oder bestimmte digitale Endgeräte wie Smartphones, Laptops oder Router. In solchen Fällen kann auch für Kleinstunternehmen eine Pflicht zur Produktanpassung bestehen. Diese betroffenen Produkte dürfen künftig nur noch angeboten werden, wenn sie dem neuen Gesetz gerecht werden.

Auch Informationspflichten gegenüber der Marktüberwachungsstelle gelten teilweise unabhängig von der Unternehmensgröße. Hier kann unter Umständen ein Nachweis gefordert werden, ob die Kleinstunternehmerregelung wirklich erfüllt wurde.

Barrierefreiheit ist auch ein Wettbewerbsvorteil

Viele Unternehmen, auf die die Ausnahmen zutrifft, werden aufatmen, wenn sie einer bürokratischen Hürde entgehen konnten. Aber auch wenn sie rechtlich nicht verpflichtet sind, kann es sich für Kleinsthändler lohnen, zumindest Teile der Anforderungen umzusetzen. Denn Barrierefreiheit bedeutet auch mehr Nutzerfreundlichkeit für alle. Gut lesbare Texte, klare Navigationsstrukturen und einfache Formulare helfen nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern auch gestressten Smartphone-Usern oder Nicht-Muttersprachlern. Finden diese und viele weitere Menschen in einem Shop nicht, was sie suchen oder verstehen es nicht, kaufen sie auch nicht. Ein barrierefreier Online-Shop ist für mehr Menschen zugänglich, beispielsweise für ältere Kundengruppen, die mit kleinen Schriften oder schlechten Kontrasten zu kämpfen haben. Das ist nicht Barrierefreiheit, sondern manchmal einfach nur das SEO-Einmaleins.

Weitere Informationen rund um die Barrierefreiheit findest du auf unserer Themenseite Barrierefreiheit.

Artikelbild: http://www.depositphotos.com

Veröffentlicht: 10.06.2025
img Letzte Aktualisierung: 10.06.2025
Lesezeit: ca. 3 Min.
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Yvonne Bachmann

Yvonne Bachmann

Expertin für IT-Recht

KOMMENTARE
2 Kommentare
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andreas
11.06.2025

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Wenn man aus Gründen des Umsatzes und der Mitarbeiterzahl nicht unter das BfsG fällt, muss bzw darf das dann irgendwo zb im Impressum angegeben werden, wie Kleinstunternehmen von der Bfsg befreit ?
Redaktion
11.06.2025
Hallo Andreas, guter Punkt. Es gibt keine Pflicht, dass man darüber informieren muss, dass man nicht unter das BFSG fällt. Es spricht rechtlich aber nichts dagegen. Viele Grüße, die Redaktion