ChatGPT und andere KI-Modelle erleichtern ungemein den Alltag. Sie helfen bei Texten, der Bilderstellung und verwandeln das kreative Chaos wie von Zauberhand in verwertbare Ergebnisse.
Entsprechend sind die technischen Teammitglieder auch für viele Online-Händler:innen Teil des Alltags. Aber: Wie gut kann die KI bei rechtlichen Konflikten mit der Kundschaft helfen? Nachdem wir die KI bereits in Bezug auf Produktbeschreibungen getestet haben, kommt nun ein weiterer Test. Für den Test haben wir echte Schilderungen von Händler:innen aus unserem Format „Dreist oder berechtigt“ verwendet.
Versuch 1: Annahmeverweigerung als Widerruf?
Zunächst probieren wir es mit einem häufigen Problem: Die Kundschaft verweigert einfach die Annahme des Pakets und will danach eine Erstattung. Für den Test haben wir folgenden Promt verwendet:
„Eine Kundin bestellte bei uns und zahlte per Vorkasse. Als das Paket dann geliefert wurde, verweigerte sie einfach die Annahme – ohne Kommentar, ohne Nachricht. Zwei Wochen später meldete sie sich und wollte ihr Geld zurück – sie habe schließlich widerrufen. Wie sieht die Rechtslage aus?“
ChatGPT bringt gleich zu Beginn eine korrekte Einordnung: „Die Rechtslage ist hier nicht ganz so eindeutig, wie viele Verbraucher:innen denken. Eine Annahmeverweigerung allein genügt nicht automatisch als wirksamer Widerruf. Die wichtigsten Punkte: Ein Widerruf muss eindeutig erklärt werden (§ 355 BGB). Einfach das Paket nicht anzunehmen, gilt nicht automatisch als Widerruf – es fehlt die erforderliche Willenserklärung.“
Die KI macht deutlich, dass die Annahmeverweigerung nur dann als Widerruf gewertet werden kann, wenn klar ist, dass der Vertrag rückabgewickelt werden soll. Klingt erst mal gut. Danach kommt es aber zu einem Fehler in der Bewertung:
„🕒 Und wenn sie sich erst zwei Wochen später meldet?
Die Widerrufsfrist beträgt 14 Tage ab Zustellung.
Da die Ware nie angenommen wurde, beginnt die Frist nicht zu laufen (§ 356 Abs. 2 BGB).
Meldet sich die Kundin erst nach zwei Wochen, ist der Widerruf trotzdem noch möglich, weil die Frist nicht gestartet ist.“
Das ist falsch, denn: Die Kundin wäre zur Annahme des Pakets verpflichtet gewesen. Die Antwort der KI würde bedeuten, dass die Kundin für diese Pflichtverletzung mit einer faktisch ewig laufenden Widerrufsfrist belohnt wird. Das ist natürlich nicht Sinn und Zweck. Richtig ist: Die Frist beginnt mit der Annahmeverweigerung zu laufen. Meldet sich die Kundschaft erst nach dem Ablauf der Frist, ist der Widerruf unwirksam. Die Kosten der Annahmeverweigerung dürfen sogar in vielen Fällen auf die Kundschaft abgewälzt werden. Entsprechend fällt auch der abschließende Tipp der KI undifferenziert aus:
„📣 Tipp für Händler:innen:
Wenn Kund:innen kommentarlos verweigern, sollte nicht sofort eine Rückerstattung erfolgen. Besser: Auf eine klare Widerrufserklärung bestehen, um rechtlich sauber zu agieren.“
Taktisch klüger wäre es, zu warten, bis die Widerrufsfrist verstrichen ist. Alternativ kann eine kommentarlose Rücksendung natürlich auch aus Kulanz heraus als Widerruf akzeptiert werden.
Den kompletten Fall samt Auflösung gibt es hier zum Nachlesen.
Versuch 2: Kaufpreisminderung wegen überschrittener Lieferzeit
Ein weiterer typischer Fall ist das Überschreiten der Lieferzeit und der damit verbundene Umgang mit der unzufriedenen Kundschaft. Das war der Promt:
„Ich bin Online-Händlerin. Eine Kundin bestellte bei mir mehrere Produkte – angegeben war eine Lieferzeit von drei Werktagen. Tatsächlich dauerte es am Ende fast anderthalb Wochen, bis das Paket bei ihr ankam.
Kurz darauf meldete sie sich und forderte einen Rabatt. Ihre Begründung: Die verspätete Lieferung sei ein Mangel der Leistung.
Aus meiner Sicht ist das aber kein echter Sachmangel – die Ware war einwandfrei. Klar, die Verzögerung ist ärgerlich, aber das allein rechtfertigt keinen Preisnachlass. Oder?“
Auch hier sieht die erste kurze Einordnung von ChatGPT gut aus:
„Dein Gefühl trügt nicht – rechtlich betrachtet liegt hier kein Sachmangel im Sinne des Gesetzes vor. Hier die wichtigsten Punkte zur Einordnung:“
Danach erklärt die KI kurz, was konkret ein Sachmangel ist und liefert die richtige Stelle im Gesetz. Überraschend richtig geht es weiter:
„🕒 Lieferverzug – ja, aber mit Folgen?
Zwar wurde die vereinbarte Lieferfrist überschritten – aber:
Ohne Fristsetzung gerät der Händler nicht automatisch in Verzug.
Der Kunde hätte dich erst zur Lieferung auffordern und eine angemessene Nachfrist setzen müssen.
Erst danach wären ggf. Rechte wie Rücktritt oder Schadensersatz möglich (§§ 280, 286 BGB).“
Zum Lieferverzug ohne Fristsetzung kommt man erst dann, wenn ein nach dem Kalender bestimmter Zeitpunkt für die Leistung vereinbart wurde. Die Angabe einer Lieferfrist ist kein solcher Zeitpunkt.
Danach geht es mit einer Halbwahrheit weiter:
„💶 Rabatt? Nur bei echtem Schaden.
Ein Preisnachlass kommt nur dann infrage, wenn der Kunde durch die Verzögerung nachweislich einen Schaden hatte – z. B. ein Geschenk kam zu spät.
→ Auch dann müsste der Kunde konkret belegen, welchen finanziellen Nachteil er hatte.“
Was hier fehlt, ist die Voraussetzung, dass ich als Händlerin erst mal in Verzug geraten muss, um in die Schadensersatzpflicht zu kommen. Das komme ich aber erst dann, wenn mir eine Frist gesetzt wurde, die ich versäume.
Den ganzen Artikel aus der Reihe „Dreist oder berechtigt?“ gibt es hier.
Versuch 3: Das abgeschnittene Textiletikett
Beim dritten Versuch geht es um das Widerrufsrecht. Das ist der Prompt:
„Ich bin Online-Händlerin. Ein Kunde bestellte bei mir ein Hemd und schickte es fristgerecht zurück. So weit, so normal. Doch bei der Kontrolle fiel auf: Das Textiletikett war entfernt worden. Ich habe ihn darauf hingewiesen und nur einen Teilbetrag erstattet – wegen des Wertverlustes.
Der Kunde war alles andere als begeistert. Er meinte, ich müsse den vollen Preis erstatten – der Widerruf sei schließlich wirksam. Und ja, widerrufen darf er. Aber: Entfernt er das Etikett, darf ich den Minderwert vom Erstattungsbetrag abziehen. Denn das geht über das übliche Prüfen der Ware hinaus. Wie kann ich reagieren?“
Die KI ordnet die Rechtslage hier richtig:
„🔍 Rechtliche Einordnung:
➡️ Widerruf ja – aber mit Wertersatz:
Der Kunde darf widerrufen, das ist unbestritten.
Aber: Entfernt er das Textiletikett, handelt es sich nicht mehr um eine „Prüfung der Eigenschaften und Funktionsweise“ der Ware – sondern um eine Nutzung, die über das zulässige Maß hinausgeht.“
In solchen Fällen muss der Widerruf tatsächlich angenommen werden. Händler:innen müssen selbst beschädigte Ware zurücknehmen; gleichzeitig müssen sie sich aber nicht alles gefallen lassen. Geht der Schaden auf einen Umgang mit der Ware zurück, der über die Beschaffenheitsprüfung hinaus geht, haben sie einen Anspruch auf Wertersatz. Entsprechend ist auch die Formulierung für eine Antwort an den Kunden aus rechtlicher Sicht korrekt:
„Vielen Dank für Ihre Rücksendung.
Selbstverständlich haben Sie Ihr Widerrufsrecht fristgerecht ausgeübt – das akzeptieren wir selbstverständlich.
Allerdings wurde das Hemd ohne das originale Textiletikett zurückgesendet. Dies stellt eine wertmindernde Veränderung dar, die über die übliche Prüfung der Ware hinausgeht. Laut § 357 Abs. 7 BGB sind wir daher berechtigt, einen angemessenen Wertersatz einzubehalten.
Wir bitten um Verständnis, dass wir den Artikel ohne Etikett nicht mehr als Neuware weiterverkaufen können. Daher haben wir einen Teilbetrag einbehalten.“
Den ganzen Fall zum Nachlesen gibt es hier.
Versuch 4: Das verschwundene Paket
Im letzten Versuch geht es zur Abwechslung einmal um eine Frage aus dem B2B-Bereich. Hier der Promt:
„Ich betreibe einen B2B-Shop, bei dem ein langjähriger Geschäftskunde neues Büromaterial für mehrere hundert Euro bestellt hat. Leider kam das Paket nie bei ihm an. Ich habe mich direkt darum gekümmert und beim Logistiker nachgehakt – Ergebnis: Die Lieferung wurde gestohlen, offenbar direkt aus einem offenen Transporter.
Natürlich ist das für meinen Kunden ärgerlich. Damit er nicht ganz leer ausgeht, habe ich ihm aus Kulanz einen 100-Euro-Gutschein für seine nächste Bestellung angeboten.
Doch das reichte ihm nicht – er will den kompletten Kaufpreis zurück. Hat er Recht?“
Die erste Einschätzung ist wieder korrekt:
„In deinem Fall gilt: Nein, der Kunde hat keinen Anspruch auf Erstattung – zumindest nicht automatisch. Denn im B2B-Handel gelten andere Spielregeln als im B2C-Geschäft. Hier die rechtliche Lage auf den Punkt:
📦 Transportrisiko im B2B-Bereich
➡️ Gefahrübergang bei Versendungskauf:
- Im B2B-Geschäft geht das Transportrisiko mit Übergabe an den Logistiker auf den Käufer über (§ 447 BGB).
- Bedeutet: Sobald du die Ware ordnungsgemäß versendet hast, trägt der Kunde das Risiko für Verlust oder Diebstahl auf dem Transportweg.“
Danach macht die KI noch mal klar, dass der Kunde weiterhin zahlungspflichtig bleibt. Das stimmt so weit auch: Anders als im B2C-Bereich, wo das verkaufende Unternehmen das Versandrisiko trägt, trägt im B2B-Bereich dieses Risiko die Kundschaft. Gleiches gilt übrigens auch für den Privatverkauf.
Entsprechend fällt das abschließende Fazit der KI auch richtig aus:
„💡 Kulanz ist freiwillig – kein Rechtsanspruch
- Der 100-Euro-Gutschein war ein gutes und faires Entgegenkommen.
- Der Kunde hat aber keinen rechtlichen Anspruch auf Rückerstattung, da der Verlust nicht dein Verschulden war.“
Den kompletten Fall zum Nachlesen findest du hier.
Fazit: Hilfreiche Unterstützung – wenn man Hintergrundwissen hat
Der Test zeigt: ChatGPT ist eine sinnvolle Unterstützung, um Probleme mit der Kundschaft (rechtlich) einzuordnen, aber: Ohne solides Basiswissen sollte man sich nicht blind auf die Antwort verlassen. Gerade bei komplexeren Sachverhalten ersetzt die KI in keinem Fall die Beratung durch einen Rechtsdienstleister. Fazit: Nützliches Werkzeug – aber kein Ersatz für Fachwissen!
ChatGPT liefert in vielen Fällen eine solide erste rechtliche Einschätzung – vor allem bei typischen Konflikten aus dem Händleralltag. Die Antworten sind oft strukturiert, verständlich und in weiten Teilen korrekt. Doch an einigen Stellen zeigt sich auch: Wer sich allein auf die KI verlässt, kann schnell auf rechtlich dünnem Eis stehen.
Gerade bei Detailfragen, wie etwa Fristbeginn oder Verzugsvoraussetzungen, schleichen sich Fehler oder Vereinfachungen ein. Das kann im schlimmsten Fall zu falschen Entscheidungen im Umgang mit der Kundschaft führen.
Die KI hilft, schneller Klarheit zu gewinnen – ersetzt aber kein fundiertes Rechtswissen und schon gar nicht eine rechtliche Beratung. Wer die rechtlichen Hintergründe kennt, kann die Vorschläge der KI gezielt einordnen und als wertvolle Arbeitsstütze nutzen. Wer sich blind darauf verlässt, läuft Gefahr, aus Kulanz dort nachzugeben, wo es gar nicht nötig wäre – oder umgekehrt.
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