Paket im Treppenhaus abgestellt, von jedem erreichbar: So harmlos beginnen viele Fälle, die Händler teuer zu stehen kommen. Das deutsche Recht sieht sie in der Beweispflicht – und bietet Verbrauchern damit eine Steilvorlage für Warenbetrug. Doch es gibt Wege, das Risiko zu begrenzen.

Ein persönliches Erlebnis, das nachdenklich macht

Vor Kurzem habe ich selbst erlebt, wie leicht man in Deutschland – ganz ohne kriminelle Energie – einen erheblichen Schaden verursachen könnte. Legal, zumindest auf den ersten Blick. Mein Mann hatte bei einem Online-Shop etwas bestellt. Einige Hundert Euro Warenwert, also kein Centartikel. Zunächst lief alles normal. Laut Versandankündigung sollte die Zustellung mit Unterschrift erfolgen.

Doch als wir nach Hause kamen, entdeckten wir aus dem Augenwinkel ein Paket, das hinter der Haustür im Treppenhaus unseres Mehrfamilienhauses stand. Keine Unterschrift, keine Benachrichtigung im Briefkasten. Nur ein Foto vom Zusteller: Das Paket, achtlos im Erdgeschoss abgestellt.

Ziemlich unglücklich – denn genau dort wird derzeit eine Wohnung saniert. Die Tür steht tagsüber offen, Handwerker gehen ein und aus. Jeder, der wollte, hätte das Paket einfach mitnehmen können. Und niemand hätte es bemerkt. Der Zusteller hatte seine Nachlässigkeit sogar noch fein säuberlich dokumentiert – mit dem Foto als Beweisbild in der Sendungsverfolgung.

Fakt ist: Dieser Fall war eine Steilvorlage für Warenbetrug. Wie leicht wäre es gewesen, aufgrund der Umstände schlicht zu behaupten, wir hätten das Paket nie erhalten?

Warum unehrliche Kunden das System leicht ausnutzen können

Nach deutschem Recht trägt beim sogenannten Verbrauchsgüterkauf der Händler das Versandrisiko. Das heißt: Geht eine Ware auf dem Transportweg verloren oder kommt sie nicht ordnungsgemäß beim Käufer an, muss der Verkäufer für Ersatz sorgen.

Der Paketdienst kann das Paket also fotografieren, den Ablageort dokumentieren, eine Sendungsverfolgung vorlegen – und trotzdem ist das kein sicherer Beweis, dass der Verbraucher die Ware tatsächlich in Empfang genommen hat. Für den Händler bleibt dann nur die bittere Erkenntnis: Er haftet, egal, ob für ein Paket im Wert von 10, 100 oder 1.000 Euro.

Was ursprünglich als Schutz für Verbraucher gedacht war – weil diese juristisch als die „schwächere Seite“ gelten – ist im heutigen Online-Handel zu einem strukturellen Nachteil für Verkäufer geworden. Besonders kleine und mittlere Händler können sich gegen solche Fälle kaum wehren. Zumal auch die übermächtigen Transportdienste mit ihren AGB die Situation für Händler nicht einfacher machen.

Dabei sind Menschen meines Erachtens nicht plötzlich krimineller geworden, sondern weil die Kombination aus großzügigem Verbraucherschutz, schwacher Leistung bei Zustellungen und wirtschaftlichem Druck eine Versuchung schafft, der manche nicht widerstehen können. Gerade in wirtschaftlich angespannten Zeiten wächst das Bewusstsein darüber, welche Rechte man als Kunde hat – und wie man sie zum eigenen Vorteil nutzen und auch ein Stück weit dehnen kann. „Ware nicht angekommen“, „defekt geliefert“, „nicht wie beschrieben“ – Formulierungen, die bei Käuferschutzsystemen über Zahlungsdienstleister und Online-Marktplätze gut zünden, aber für Händler massive Folgen haben können.

Betrug bleibt Betrug

Das alles ändert aber nichts an der Rechtslage: Eine solche Lüge — etwa die bewusste, falsche Behauptung, die Ware sei nicht  oder unvollständig angekommen — ist strafbar. Punkt. In der Praxis bleibt sie jedoch oft ungesühnt. Große Plattformen und Bezahldienste registrieren einzelne „fehlende“ Lieferungen vermutlich nicht als auffällig, solange kein Muster erkennbar ist oder keine eindeutigen Beweise vorliegen. Nur bei wiederholten Fällen, klarer Fälschung oder belastender Dokumentation ziehen Händler und Plattformen ernsthafte Konsequenzen nach sich.

Zudem gilt: Wer vorschnell Verdacht äußert oder gar Anzeige erstattet, ohne Beweise zu haben, riskiert selbst rechtliche Konsequenzen – etwa wegen falscher Verdächtigung.

Was Händler trotzdem tun können

Das Zusammenspiel aus überlasteten Zustelldiensten und einer rechtlichen Schieflage macht es Händlern schwer, zwischen Panne und Betrug zu unterscheiden. Dennoch sind genau diese Schwächen der Grund, warum Gelegenheit Diebe macht. Viele würden gern mehr tun, aber gegen DHL, Hermes oder DPD lässt sich schwer etwas ausrichten. Und wer jeden Kunden misstrauisch behandelt, verliert ihn womöglich an den nächsten Anbieter. Genau deshalb braucht es einen pragmatischen Umgang mit der Situation.

1. Prävention bei Zustellungsmängeln

Ein gewisses Maß an Verlust gehört im E-Commerce zum Geschäftsmodell. Wer das akzeptiert, kann nüchtern damit umgehen. Entscheidend ist, den Schaden kalkulierbar zu machen.

Bei höherwertigen Waren sollten Händler Zustelldienste wählen, die brauchbare Zustellnachweise anbieten. Manche Optionen sind zwar kostspielig, können im Ernstfall aber eine Erleichterung sein.  Wer regelmäßig hochwertige Waren verschickt, sollte prüfen, ob seine Transportversicherung Verluste durch fehlerhafte Zustellung oder Unterschlagung durch Dritte abdeckt. Eine saubere Dokumentation hilft darüber hinaus ebenfalls: Versandnachweise, Packprotokolle – alles sollte nachvollziehbar aufbewahrt werden.

Bei gehäuften Zustellproblemen lohnt es sich, den Versanddienstleister auf die Problematik hinzuweisen und auf Ursachenforschung zu gehen. 

  • Wo trat das Problem auf?
  • Mit welchem Versanddienstleister?
  • Gibt es Muster (z. B. bestimmte Regionen, Ablageorte, Produkttypen)?

Ziel ist nicht, Zusteller oder Verbraucher zu „überführen“, sondern Fälle aufzuklären.

2. Betrugsprävention, ohne Kunden zu misstrauen

Misstrauen vergiftet die Kundenbeziehung. Das wissen sowohl kleine Unternehmen als auch die E-Commerce-Giganten. Händler können jedoch systematisch an die Sache herangehen und auffällige Muster wie ungewöhnlich häufige Nichterhalte oder widersprüchliche Angaben erkennen. Fraud-Systeme können helfen, solche Fälle zu markieren. Ein kurzer, sachlicher Hinweis im Service („Wir dokumentieren jede Lieferung für Ihre Sicherheit“) wirkt oft schon präventiv, ohne misstrauisch zu klingen.

Unternehmerisches Risiko – aber mit Haltung

Mein Fall ging letztlich gut aus – aber er zeigt, wie leicht das System ausgenutzt werden könnte. Ehrliche Kunden finden ihre Pakete zufällig wieder. Unehrliche könnten sich mit einem einfachen Mausklick ein nettes Zubrot verdienen.

Der Online-Handel ist kein Null-Risiko-Geschäft. Wer versendet, trägt Verantwortung – aber auch das Risiko von Verlusten und Täuschungen. Man kann das System nicht über Nacht ändern, aber man kann lernen, damit unternehmerisch umzugehen – ohne Zynismus und Resignation. Wie es die stationären Kollegen beim Ladendiebstahl ebenfalls tun müssen.

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