Es ist wohl die Gretchenfrage des Online-Handels, die sich jeder Händler stellt: eigener Online-Shop oder Plattform? Beides hat Vor- und Nachteile. So ist man im eigenen Online-Shop im Rahmen der gesetzlichen Grenzen relativ frei. Doch die Marktplätze machen den Händlern das Online-Geschäft schwer, denn beim Handel sind seitenweise diffuse Regelwerke zu beachten. Die außerordentliche Reichweite eines Online-Marktplatzes kann mit einem kleinen Verstoß gegen die „Hausordnung” zunichte gemacht werden und ein ganzes Unternehmen vor dem Aus stehen.
Kontensperrungen bei Amazon oder Ebay sind der Albtraum aller Händler, denn oft sind diese Umsätze unverzichtbar. Kontensperrungen von gewerblichen Händlerkonten sind daher extrem heikel und haben kürzlich sogar das Bundeskartellamt hellhörig werden lassen. Viele Händler scheuen sich aus den unterschiedlichsten Gründen, gegen Amazon und insbesondere die diversen Sanktionsmaßnahmen vorzugehen. Zu Unrecht, denn zwei neue Entscheidungen lassen Hoffnung aufkommen.
Darf Amazon seinen Händlern überhaupt Vorgaben machen?
Die Fülle der Vorgaben zu durchschauen, die Amazon seinen Händlern auferlegt, ist eine Meisterleistung. Die Hausordnung umfasst beispielsweise Vorgaben, welche Artikel überhaupt angeboten werden dürfen, sowie Regelungen zur Gestaltung der Produktfotos. Die Einhaltung der Richtlinien, Grundsätze und Bedingungen ist jedoch unabdingbar, wenn man Sanktionen vermeiden möchte. Für viele frustrierte Online-Händler stellt sich dabei die Frage, ob der Marktplatz überhaupt die Befolgung derart strenger Vorgaben von den Händlern verlangen darf.
Die „Marktplatz-Gesetze” dürfen grundsätzlich auch von den Plattformen aufgestellt werden und Amazon darf die Einhaltung dieser von den Händlern im Rahmen seiner allgemeinen Verkaufsbedingungen auch verlangen. Wird beispielsweise eine verlängerte Widerrufsfrist vorgeschrieben, ist dagegen nichts einzuwenden, denn es ist nichts „Ungesetzliches“, individuell eine erweiterte Widerrufsfrist anzubieten oder gewisse Bilderstandards einzuhalten.
Zudem gilt die Vertragsfreiheit, d.h. die Freiheit, selbst zu entscheiden, ob, mit wem und zu welchen Bedingungen Verträge geschlossen werden. Wer die Regelungen nicht akzeptieren kann oder will, muss nicht auf dem Marktplatz handeln, sondern kann beispielsweise einen anderen wählen, auf dem die Regeln weniger streng sind, oder gar einen eigenen Online-Shop nutzen, in dem man sein „eigener Herr“ ist.
In welchen Fällen darf Amazon ein Händler-Konto suspendieren oder kündigen?
Wer nicht mitspielt, dem droht eine Sanktion, die im besten Fall mit dem Löschen das Artikels getan ist, schlimmstenfalls aber sogar in einer Kündigung des kompletten Verkäuferkontos enden kann. Grundsätzlich sind Marktplätze wie Amazon auch berechtigt, das Verkäufer-Konto bei Verstößen gegen die Bestimmungen seiner AGB usw. zu sperren oder andere Maßnahmen zu ergreifen. Die Grundsätze oder AGB von Amazon enthalten dazu spezielle Regelungen. Es gibt jedoch auch ein „Aber”.
Zum einen hat das Bundeskartellamt erreicht, dass seit Mitte 2019 bei ordentlichen Kündigungen eine 30-Tage-Frist gilt, bei außerordentlichen Kündigungen soll der Händler zumindest über die Gründe informiert werden.
Zum anderen müssen die Voraussetzungen einer Sperrung durch den Marktplatz belegt werden. Gelingt der Nachweis des Verstoßes nicht, hat der Inhaber des Accounts einen Anspruch auf Freischaltung, der im Wege der einstweiligen Verfügung geltend gemacht werden kann. Und das wurde von den Gerichten schon lange so aufgegriffen: Sind keine Gründe mitgeteilt und nachgewiesen, warum die Sperrung erfolgt sei, sei sie unzulässig (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 12.11.2008, Az.: 6 W 183/08). In dem Fall wurde das Konto eines Ebay-Händlers wegen Verstoßes gegen die Ebay-AGB gesperrt. Aufgegriffen wurde diese Thematik erst kürzlich in der neuen P2B-Verordnung, die ebenfalls auf eine klare Regelung und Begründung pocht.
Endlich: Gerichte urteilen zugunsten der Händler
Jüngst hatte der Händlerbund in Zusammenarbeit mit seiner auf IT-Recht spezialisierten Partnerkanzlei ITB Rechtsanwaltsgesellschaft einen Fall vor Gericht gebracht und gegen Amazon gewonnen. Diesem Händler wurden ohne Begründung bzw. in nicht nachvollziehbarer Weise alle Produkte entfernt, das Händlerkonto deaktiviert und das Guthaben „eingefroren”. Die Nachfragen des Händlers sowie die anwaltlichen Forderungsschreiben wurden seitens Amazon ignoriert (Landgericht München I, Beschluss vom 01.09.2020, Aktenzeichen: 1 HK O 11278/20). Das Verhalten von Amazon sei in diesem Fall daher eine unlautere Behinderung des Wettbewerbs..
Für alle Amazon-Händler ist diese Entscheidungen wie ein Weckruf. „Die Entscheidung hat eine Signalwirkung, da bislang nahezu alle Konto-Deaktivierungen auf Grundlage jeweils keiner oder nur einer unzureichenden, vorgeschobenen oder inhaltsleeren Begründung erfolgten, die teilweise beliebig variiert werden“, sagte uns Rechtsanwalt Richard Seltmann, der einen betroffenen Händler vertritt. Rechtsanwältin Lisa Maier, die ebenfalls ein Unternehmen gerichtlich gegen Amazon vertritt, erklärt weiter: „Grundsätzlich ist dies eine Grundrichtung dahingehend, dass das beanstandende Verhalten von Amazon als Plattformbetreiberin bzgl. der Konto-Deaktivierungen als gezielte Behinderung im Wettbewerb (§ 4 Nr. 4 UWG) sowie kartellrechtswidrig (§§ 19, 20 GWB) angesehen wird.”.
Nun bleibt abzuwarten, was Amazon unternehmen wird. Möglich ist ein Widerspruch. Nach Einschätzung der Experten von der ITB Rechtsanwaltsgesellschaft wird Amazon auf die stetig wachsende Zahl von gerichtlichen Entscheidungen zu Lasten der Plattformbetreiberin reagieren müssen, um keinen weiteren Sanktionen ausgesetzt zu sein. Kompetente anwaltliche Betreuung sollte dazu in jedem Fall in Erwägung gezogen werden, denn Amazon spricht seine eigene Sprache und hier können am besten die Brancheninsider helfen, die bereits Erfahrungen im Umgang mit Amazon haben.
Was können Händler gegen eine Sanktion tun?
Betroffene können durchaus gegen die Sanktionen gerichtlich vorgehen. Aber dies sollte natürlich das letzte Mittel sein. Zunächst einmal gilt Folgendes:
- Im ersten Schritt sollte der betroffene Amazon-Händler den Gründen nachgehen. Für eine Deaktivierung des Verkäuferkontos durch Amazon gibt es zahlreiche Gründe. Meist handelt es sich um einen Verdacht auf Verstoß gegen die Amazon Richtlinien oder mangelhafte Verkäufer-Metriken. Die häufigsten Gründe für eine Stilllegung des Kontos sind beispielsweise auch der Verdacht auf multiple Konten, ungenügende Kundenzufriedenheitswerte, Markenrechts- oder Urheberrechtsverstöße oder der Verkauf unzulässiger Ware.
- Sieht der Händler den Sachverhalt anders oder kann die Sperrung wegen mangelnder Begründung nicht nachvollziehen, so muss auch aufgrund der neuen P2B-Verordnung gegen die Sperrung durch ein Beschwerdeverfahren auf der Plattform anfechten können. Dieses Mittel ist aber derzeit noch nicht ausreichend ausgebaut.
Zukünftig kann der Prozess unter bestimmten Voraussetzungen auch in Deutschland bzw. in dem jeweiligen Landessitz des Sellers geführt werden.
Warum gehen so wenig Händler gegen Sanktionen/Kündigungen vor?
Tatsächlich sind die entsprechenden Urteile, in denen sich ein betroffener Händler wehrt, noch Mangelware. Viele Händler scheuen den Gang zu Gericht, weil man vor einem Prozess gegen den Giganten Amazon schon großen Respekt hat. Auch der ungewisse Ausgang eines Verfahrens hält viele davon ab, sich gerichtlich gegen die Kontensperrung zu wenden. Die Experten von der ITB Rechtsanwaltsgesellschaft erklärten: „Die erstrittenen Beschlüsse bestätigen, dass die angerufenen Gerichte in Deutschland das Vorgehen von Amazon sehr genau prüfen und Konto-Deaktivierungen rückgängig machen, wenn keine oder nur eine formale, nicht einzelfallbezogene Begründung der Plattformbetreiberin zur Deaktivierung führte. Betroffenen Unternehmen sollten daher die Mühen eines Gerichtsverfahrens nicht scheuen, wenn die geschäftliche Existenz durch eine unberechtigte Sperrung gefährdet ist.“
Wird sich Amazon an die Verfügung halten?
Tatsächlich sollte Amazon schon der Blick in den Beschluss helfen, um zu handeln: Der Konzern muss zumindest in den beiden gerichtlich entschiedenen Fällen nun das Konto wieder öffnen und die Gelder freigeben. Für den Fall der Zuwiderhandlung kann vom Gericht ein Ordnungsgeld bis zu einer Höhe von 250.000 Euro und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, eine Ordnungshaft bis zu sechs Monate anordnen. Wir werden den weiteren Verlauf daher sehr genau beobachten und hier darüber berichten.
Kommentar schreiben
Antworten
Leider konnte er sein Amazon-Konto nicht aufladen. Er informierte mich sofort darüber, dass Amazon die Kaufbelege braucht. Ich habe die Rechnung sowie die Aktivierungsbel ege sofort an ihn gesendet. Er hat die von Amazon geforderten Belege sofort weitergeleitet.
Da er sich zur Zeit in Hong Kong in Quarantäne befindet und auch auf Grund der Zeitverschiebun g hat er mich als Käufer der Guthaben um Hilfe gebeten.
Amazon verweigert uns eine Antwort weswegen sie das Guthaben eingezogen und sein Konto gesperrt hat.
Trotz Erinnerungen und Schreiben von meinem Neffen hält Amazon nach wie vor seine Konto gesperrt und sein Guthaben zurück.
Wir haben den Eindruck, dass Amazon seine Praxis des Einfrierens von Kundengeldern auf normale Kundenkonten erweitert.
Was können wir in diesem Fall tun?
Vielen Dank und viele Grüße
Familie Lau
_________________
Hallo Familie Lau,
das ist sehr ärgerlich und wir können den Frust gut nachvollziehen. Prinzipiell kann Amazon auch private Konten sperren, das geht aber natürlich nicht, wenn Dienste oder Guthaben vorenthalten werden.
Hier gibt die Verbraucherzent rale Hilfe: verbraucherzentrale.de/.../...
Beste Grüße
Die Redaktion
Ihre Antwort schreiben
Antworten
Ihre Antwort schreiben
Antworten
Ohne Prüfung der Gegenargumente darf eine Produktsperre nicht zulässig sein.
Das die Deutsche Justiz eine Sperre ohne Prüfung ob die Sperre auf wahren Gründen beruht zulässt ist eine Schande.
Amazon regiert Deutschland.
Brauch keine Steuern zahlen und den stationären Handel allein durch den Kostenvorteil der Steuerersparnis ruinieren.
Politik jammert und schläft weiter
Ihre Antwort schreiben
Antworten
Gruß
_________________________________
Hallo Stangl,
vielen Dank, dass du dich an uns wendest. Der Händlerbund hatte bereits in mehrerern Fällen Erfolg und wir würden daher auch dir gerne weiterhelfen. Um sofortige Unterstützung bei der Amazon.de Kontosperrung zu erhalten, ist die Professional-Mi tgliedschaft notwendig. Wenn du die noch nicht hast, ist ggf. ein Upgrade erforderlich.
Nach Einreichung der benötigten Informationen, setzen wir uns schnellstmöglic h mit dir und Amazon Deutschland in Verbindung, um den Sachverhalt zu klären und die finanziellen Ausfälle so gering wie möglich zu halten. Wende dich gerne an unseren Service unter infohaendlerbund.de oder +49 341 926590.
Viele Grüße!
Die Redaktion
Ihre Antwort schreiben
Antworten
____________________________________
Hallo Gmind,
gute Idee ;) In den Beschlüssen, die wir im Urteil erwähnt haben, wurde aber direkt die europäische Hauptniederlass ung in Luxemburg und der dortige Direktor in Anspruch genommen. Ausschlaggebend ist, mit wem der Vertrag bei dir besteht.
Viele Grüße!
Die Redaktion
Ihre Antwort schreiben