1. Der Fall: Händler verkauft Taschenmesser auf Amazon
2. Garantiehinweis: Bisherige Rechtsprechung teilweise uneinheitlich
3. EuGH: Informationen führen zu hohem Verbraucherschutzniveau, aber...
4. ... pauschale Pflicht für Händler unverhältnismäßig
5. Praxis: Wann gilt Informationspflicht zur Herstellergarantie?
Ein Online-Händler muss vorvertragliche Informationen zu Garantien des Herstellers des betreffenden Produkts zur Verfügung stellen, wenn Verbraucher ein berechtigtes Interesse daran haben. Das ergibt sich aus einem gerade ergangenen Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Für Online-Händler bedeutet das: In vielen Fällen, in denen Waren anderer Hersteller verkauft werden, muss es ordnungsgemäße und vollständige Informationen zu dessen Garantie geben – auch wenn der Händler sie nicht selbst anbietet. Wer dieser Pflicht nicht nachkommt, dem begegnet ein erhebliches Abmahnrisiko! Dabei stellt der EuGH aber auch fest: Nicht in absolut jedem Fall gilt diese Anforderung.
Der Fall: Händler verkauft Taschenmesser auf Amazon
Der Entscheidung liegt dabei der folgende Fall zugrunde: Ein Online-Händler bot auf dem Online-Marktplatz Amazon ein Taschenmesser eines Schweizer Herstellers an. Unmittelbar auf der Produktdetailseite gab es keine weiteren Informationen zu einer gegebenenfalls bestehenden Garantie. Unter der Rubrik „Weitere technische Informationen“ allerdings fand sich ein Link. Über diesen konnten Besucher der Seite auf ein vom Hersteller formuliertes Informationsblatt zugreifen.
Über die Verlinkung stolperten aber nicht nur potenzielle Käufer, sondern auch ein Konkurrent des Online-Händlers. Der war der Ansicht, dass der Händler keine ausreichenden Angaben zu der vom Hersteller gemachten und im Informationsblatt erwähnten Garantie mache, womit es schließlich zur Klage kam (wir berichteten). Zuletzt befasste sich der Bundesgerichtshof mit der Sache. Dieser hegte Zweifel darüber, ob der Händler auf Grundlage europäischer Vorgaben tatsächlich dazu verpflichtet sei, über das Bestehen einer vom Hersteller angebotenen Garantie und ihre Bedingungen zu informieren. Das wiederum führte zur Vorlage an den EuGH, welcher nun urteilte (EuGH, Urteil v. 5.5.2022, Az. C-179/21).
Garantiehinweis: Bisherige Rechtsprechung teilweise uneinheitlich
Die deutschen Gerichte waren sich hierbei bislang gern einmal etwas uneinig. So sah das Landgericht Hannover beispielsweise keine Pflicht für Händler, über das Bestehen einer Herstellergarantie zu informieren, das Landgericht Bochum aber wiederum schon. Für Händler ist die Entscheidung der Frage nicht nur rechtlich relevant, sondern auch praktisch: Besteht die Pflicht, könnte das mitunter erheblichen Aufwand bedeuten, etwa um entsprechende Garantiebedingungen zu finden und aktuell zu halten.
Für Online-Händler geht es damit im Wesentlichen um zwei Fragen:
- Muss ich über die Herstellergarantie eines von mir angebotenen Produkts informieren?
- Wie weit bzw. in welchem Umfang gilt diese Pflicht gegebenenfalls?
EuGH: Informationen führen zu hohem Verbraucherschutzniveau, aber...
Zur Frage, ob Online-Händler grundsätzlich verpflichtet sind, Verbraucher über das Bestehen einer gewerblichen Garantie des Herstellers zu informieren, sagt der EuGH in seiner Pressemitteilung zusammengefasst: Ja, in bestimmten Fällen. Dabei nimmt er eine Abwägung zwischen den Interessen der Verbraucher und der Händler vor:
Grundsätzlich betreffe die Informationspflicht bei Waren, die von einer anderen Person als dem Händler selbst hergestellt wurden, sämtliche für diese Ware bedeutsamen Informationen – damit der Verbraucher entscheiden kann, ob er sich vertraglich an den Unternehmer binden möchte. Zu den Informationen würden neben den wesentlichen Eigenschaften der Waren grundsätzlich auch alle untrennbar mit der Ware verbundenen Garantien gehören, wie die Herstellergarantie. Müssten Online-Händler also über die Herstellergarantie informieren, wäre das auf jeden Fall dem hohen Verbraucherschutzniveau zuträglich.
... pauschale Pflicht für Händler unverhältnismäßig
Dabei lässt der EuGH aber die Interessen der Händler nicht unberücksichtigt und beurteilt eine generelle Verpflichtung als unverhältnismäßig. „Eine solche Verpflichtung würde Unternehmer nämlich dazu zwingen, die Informationen über eine solche Garantie mit erheblichem Aufwand zu sammeln und zu aktualisieren, obgleich zwischen ihnen und den Herstellern nicht notwendigerweise eine unmittelbare vertragliche Beziehung besteht und wiewohl die gewerbliche Herstellergarantie grundsätzlich nicht Gegenstand des Vertrags ist, den sie mit dem Verbraucher abschließen möchten“, heißt es in der Pressemitteilung. Auch die Wettbewerbsfähigkeit der Händler haben die Richter also im Blick.
Praxis: Wann gilt Informationspflicht zur Herstellergarantie?
Die Abwägung führt allerdings zu dem Ergebnis, dass sich die Frage "Pflicht?" nach diesem Urteil nicht mit einem pauschalen Ja oder Nein beantwortet werden kann. Vielmehr besteht sie nach dem Urteil in bestimmten Fällen: Wenn der Verbraucher ein berechtigtes Interesse am Erhalt dieser Informationen hat.
Wann dieses berechtigte Interesse nun gegeben ist, darüber müssen sich Online-Händler aber nicht den Kopf zermartern – der EuGH liefert noch mehr Details:
- Die Tatsache, dass einfach nur eine Herstellergarantie besteht, erzeuge noch kein berechtigtes Interesse beim Verbraucher. Einzig, dass der Hersteller eine Garantie anbietet, bedeutet also noch nicht, dass der Händler auch die Informationen darüber liefern muss.
- Ein berechtigtes Interesse des Verbrauchers und damit die Informationspflicht besteht laut Pressemitteilung dann, wenn „der Unternehmer die gewerbliche Garantie des Herstellers zu einem zentralen oder entscheidenden Merkmal seines Angebots macht, insbesondere, wenn er daraus ein Verkaufs- oder Werbeargument herleitet, um die Wettbewerbsfähigkeit oder die Attraktivität seines Angebots im Vergleich zu den Angeboten seiner Wettbewerber zu verbessern.“
Wer A sagt, muss auch B sagen – Die Kriterien laut EuGH
Online-Händler müssen Verbrauchern also vorvertragliche Informationen über eine Herstellergarantie zur Verfügung stellen, wenn die gewerbliche Garantie des Herstellers ein zentrales oder entscheidendes Merkmal des Angebots des Händlers darstellt.
Ob das der Fall ist, könne weiterhin anhand der folgenden Kriterien festgestellt werden:
- Inhalt und Gestaltung des Angebots hinsichtlich der betroffenen Ware
- Bedeutung der Erwähnung der gewerblichen Garantie des Herstellers als Verkaufs- oder Werbeargument
- Positionierung der Erwähnung der Garantie im Angebot
- Gefahr eines Irrtums oder einer Verwechslung, die diese Erwähnung bei einem normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher hinsichtlich der unterschiedlichen Garantierechte, die er geltend machen kann, oder hinsichtlich der tatsächlichen Identität des Garantiegebers hervorrufen könnte
- Vorliegen von Erläuterungen zu weiteren mit der Ware verbundenen Garantien im Angebot
- jeder weitere Gesichtspunkt, der ein objektives Schutzbedürfnis des Verbrauchers begründen kann
Zusammengefasst ließe sich damit wohl das Motto „Wer A sagt, muss auch B sagen“ ableiten: Weist ein Händler in seinem Angebot werblich auf die Herstellergarantie hin, müssen dazu dann auch die entsprechenden weiteren Informationen geliefert werden – denn der Händler dürfte die Herstellergarantie mit der werblichen Aussage zu einem zentralen oder gar entscheidenden Merkmal seines Angebots machen. Wohlgemerkt kommt es für die Feststellung aber auf die Bewertung des konkreten Einzelfalls an. Kommt man der bestehenden Pflicht dann nicht nach, riskiert man eine Abmahnung.
Welche Informationen müssen geliefert werden?
Auch mit der Frage, welche Informationen dem Verbraucher zu den Bedingungen der gewerblichen Garantie zur Verfügung zu stellen sind, hat sich der EuGH befasst. In der Pressemitteilung heißt es dazu zunächst wenig konkret, dass es um alle Informationen über die Bedingungen für die Anwendung und die Inanspruchnahme der Garantie geht, die dem Interesse des Verbrauchers Rechnung tragen, um eine Entscheidung treffen zu können, ob er sich vertraglich binden will. Dann werden doch noch die Dauer und der räumliche Geltungsbereich der Garantie genannt, sowie ggf. auch der Reparaturort bei Beschädigungen, mögliche Beschränkungen der Garantie sowie nach den Umständen auch Name und Anschrift des Garantiegebers. Das deckt sich zu großen Teilen mit § 479 BGB, der Sonderbestimmungen für Garantien im Verbrauchsgüterkauf vorsieht.
Der konkrete Fall selbst wurde durch den EuGH nicht entschieden. Dieser hat dem BGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens vielmehr nur die Auslegung europäischer Vorschriften vorgelegt. Der Fall liegt damit nun wieder beim Bundesgerichtshof. Es bleibt abzuwarten, inwiefern dessen Urteil noch weitere, für vergleichbare Fälle erhebliche Details liefern wird. Wann der BGH sein Urteil fällt, ist derzeit noch nicht bekannt.
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