Wer krankgeschrieben ist, gehört ins Bett. So sehen es zumindest viele Arbeitgebende. Dass das nicht immer zwingend den Heilungsprozess fördert, ist hinreichend bekannt. Doch was alles erlaubt ist und wie weit Arbeitnehmende gehen dürfen, beschäftigt immer wieder die deutschen Gerichte. So wie zuletzt das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern, dass sich mit der Frage auseinandersetzen musste, ob ein Chefarzt trotz Krankschreibung eine längere Bahnfahrt auf sich nehmen durfte.
Klinik behielt Lohn ein
Stein des Anstoßes war der Streit zwischen einer Reha-Klinik und deren Chefarzt, der trotz Krankschreibung zehn Stunden mit der Bahn in seine Heimat gefahren ist, wo sich neben seinem Zweitwohnsitz in der Nähe der Klinik sein Hauptwohnsitz befindet. Daraufhin äußerte die Klinik Zweifel am Beweiswert der Krankschreibung und behielt den Lohn des Chefarztes ein. Das LAG Mecklenburg-Vorpommern sah die Zweifel jedoch als unberechtigt an und gab dem Chefarzt Recht (Urteil vom 13.07.2023, Az. 5 Sa 1/23).
Daran änderte auch der Fakt nichts, dass der Chefarzt sich bis zum Antritt seines Resturlaubs vor einem Jobwechsel krankschreiben ließ. Der Arbeitgeberin missfiel vor allem die Tatsache, dass der Mann mit der Bahn zehn Stunden zu seinem Familienwohnsitz fuhr, um dort seine Hausärztin aufzusuchen.
Zehn Stunden Bahnfahrt weniger anstrengend als ein Arbeitstag
Schon das Arbeitsgericht Stralsund (Urteil vom 29.11. 2022, 2 Ca 151/22) schloss sich der Ansicht des Chefarztes zum Anspruch auf Entgeltfortzahlung an. Nach der eingelegten Berufung der Arbeitgeberin kam auch das LAG Mecklenburg-Vorpommern zu keinem anderen Schluss. Die Rostocker Richter führten an, dass auch eine lange zehnstündige Bahnfahrt nicht gleichzusetzen sei mit einem Arbeitstag in der Klinik. So sei die körperliche Belastung auch bei einer derartig langen Bahnfahrt in der ersten Klasse bei weitem nicht so hoch wie im Klinikalltag. Bei der Arbeit müsse sich der Arzt schließlich körperlich anstrengen und hoch konzentriert sein. Das treffe jedoch nicht auf eine Bahnfahrt zu. Im Übrigen stehe dem Mann die Wahl seines Arztes frei.
LAG betont Bedeutung des Beweismittels
Den Beweiswert der Krankschreibung sah das LAG Mecklenburg-Vorpommern jedenfalls nicht als erschüttert an und sprach dem Chefarzt seinen Anspruch auf Lohnfortzahlung zu. Daneben betonte das Gericht die Bedeutung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als Beweismittel. Zwar könne diese angezweifelt werden, dafür müssten aber konkrete Umstände vorgetragen werden. Das tat die Arbeitgeberin aber nicht. Zweifel an der Krankschreibung allein deswegen, weil diese die Zeit bis zum Resturlaub überbrückt genügt nicht.
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