Verdi im Interview: Zalandos Weg zur SE "nicht gesetzeskonform"

Veröffentlicht: 05.09.2014 | Geschrieben von: Michael Pohlgeers | Letzte Aktualisierung: 16.02.2016

Zalandos Börsengang rückt immer näher. Vor kurzer Zeit hat der Online-Modehändler sich in eine europäische Aktiengesellschaft (SE) gewandelt. Dass dabei alles gesetzeskonform abgelaufen ist, zweifelt die Gewerkschaft Verdi an. Eva Völpel, Pressesprecherin des Verdi-Bundesvorstandes, erklärt im Interview, welche Zweifel die Gewerkschaft genau hat.

Verdi Logo
© ver.di

Samwer-Watchblog.de: Zalando hat sich in eine europäische Aktiengesellschaft gewandelt. Ein Schritt, den Ver.di scharf kritisiert. Welche Kritikpunkte gibt es genau an der Umwandlung von Zalando in eine SE?

 

Eva Völpel, Pressesprecherin Verdi-Bundesvorstand: Zunächst einmal: es ging nicht um eine Umwandlung in eine SE, sondern gesellschaftsrechtlich um eine Verschmelzung von Zalando Großbritannien und Deutschland zu einer SE. Und diese Verschmelzung ist nach unserer Kenntnis nicht gesetzeskonform gelaufen. Denn alle Mitarbeiter von Zalando in Deutschland hätten im Zuge dieser Verschmelzung die Gelegenheit erhalten müssen, sich an den Wahlen zu einem sogenannten „Besonderen Verhandlungsgremium“ zu beteiligen. Dieses Gremium wiederum beteiligt sich dann daran, die konkreten Mitbestimmungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer in der künftigen SE mit fest zu legen. Wir haben aber niemanden unter den Beschäftigten ausfindig machen können, der bestätigen konnte, dass die Mitarbeiter über die Wahlen zum Gremium informiert wurden. Damit jedoch sind die Verhandlungen des Gremiums und die Ergebnisse, nämlich unter anderem, dass nur ein Drittel der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat beteiligt sein muss, sehr zweifelhaft. Wäre Zalando weiterhin eine deutsche Kapitalgesellschaft, hätte das Unternehmen aufgrund seiner hierzulande weit über 2.000 Beschäftigten einen Aufsichtsrat einrichten müssen, in dem Arbeitnehmervertretern die Hälfte der Sitze zusteht.

Werden Sie bei der Kritikäußerung gegenüber Zalando blieben oder nehmen Sie noch weitere Schritte gegen den Online-Modehändler vor?

Wie bereits angekündigt, wollen wir mit dem Vorstand von Zalando darüber sprechen, wie eine Lösung im Sinne einer tatsächlichen Mitbestimmung möglich ist. Wir behalten uns aber ausdrücklich vor, den Rechtsweg zu beschreiten.

Zalando sorgt bereits seit längerer Zeit mit Vorwürfen von schlechten Arbeitsbedingungen immer wieder für Aufsehen. Vor Kurzem haben die Mitarbeiter im Logistikzentrum Brieselang einen ersten Betriebsrat gewählt. Wie sieht es in anderen Logistikzentren aus? Können Sie dort ähnliche Entwicklungen beobachten?

Der frisch gewählte Betriebsrat in Brieselang ist das zweite Betriebsratsgremium, das bei Zalando existiert. Das erste Betriebsratsgremium wurde im Zalando-Standort Marquardt gewählt. Allerdings hat Zalando bereits vor längerer Zeit angekündigt, dass Marquardt mit seinen rund 90 Beschäftigten Ende 2014 geschlossen werden soll. In Erfurt und Mönchengladbach gibt es bisher noch keine Betriebsratsgremien. Ein Grund dafür ist auch die hohe Anzahl von befristet Beschäftigten, die Zalando in seinen Versandzentren einsetzt. Befristungen führen nicht nur dazu, dass die Beschäftigten in einer extrem unsicheren Situation leben, weil es schwierig bis unmöglich wird, langfristig die Einkommens- und damit auch Lebens- und Familiensituation planen. Befristet Beschäftigte haben erfahrungsgemäß auch deutlich mehr Angst als Nicht-Befristete, sich für einen Betriebsrat zu engagieren. Denn jederzeit kann der Arbeitgeber als Antwort auf solch ein Engagement den auslaufenden Vertrag nicht mehr verlängern.

Zalando wurde in der Vergangenheit öfter wegen schlechter Arbeitsbedingungen kritisiert. Wieso haben Sie Zalando nicht ähnlich stark wie etwa Amazon bestreikt?

Wir haben bereits vor längerer Zeit angekündigt, dass wir die Arbeitsbedingungen der gesamten Versandhandelsbranche und damit auch bei Zalando genau im Blick haben und mit verschiedenen Mitteln auf Missstände reagieren werden. Aber nicht wir als ver.di bestreiken Zalando, sondern die Beschäftigten entscheiden, wie sie sich organisieren und welche Mittel sie wählen, um ihre Interessen durchzusetzen.

Zalando hat Nachbesserung bei den Arbeitsbedingungen gelobt. Konnten Sie hier schon eine Verbesserung erkennen?

Bisher konnten wir keine Verbesserungen erkennen. Zalando hatte im Juli in einem Gespräch mit ver.di in Mönchengladbach versprochen, die hohe Anzahl der Befristungen am Standort zu reduzieren. Das ist bisher nicht geschehen. Es ist aus unseren Augen auch nicht akzeptabel, dass Zalando den Beschäftigten am Standort Marquardt bei Potsdam, der bald geschlossen wird, eine Weiterbeschäftigung im rund 300 km entfernten Erfurt anbietet, und das wiederum nur befristet. Die Beschäftigten brauchen eine sichere Perspektive und unbefristete Verträge. Zudem erschließt sich uns nicht, wieso sie nicht am Standort Brieselang, der rund 18 km von Marquardt entfernt ist, weiter arbeiten können.

Neben Zalando wird auch Amazon immer wieder wegen seiner Arbeitsbedingungen, vor allem im Versandzentrum, kritisiert. Gibt es bei beiden Unternehmen gemeinsame Kritikpunkte?

An erster Stelle steht die Kritik, dass beide Unternehmen keine Tarifverträge mit der Gewerkschaft abschließen. Nur mit Tarifverträgen haben die Beschäftigten kollektive, verbindliche und einklagbare Rechte. Das betrifft ihre Bezahlung, aber auch Dinge wie etwa den Anspruch auf Weihnachts- und Urlaubsgeld oder Regelungen zur Arbeitszeit. Wir kritisieren darüber hinaus die hohen Arbeitsbelastungen durch unzureichende Gesundheitsschutzmaßnahmen und die hohe Arbeitshetze, die bei Amazon und Zalando tagtäglich existieren. Vor Ort wird den Beschäftigten zudem immer wieder Angst mit der Behauptung gemacht, dass der Standort schließen könnte. Alle Zahlen und Umsatzentwicklungen sprechen allerdings dagegen.

Schreiben Sie einen Kommentar

Newsletter
Abonnieren
Bleibe stets informiert mit unserem Newsletter.