Wisst ihr noch, im Juni 2020? George Floyd, ein Schwarzer US-Amerikaner, wurde von Polizisten bei einer Festnahme derart gewaltvoll behandelt, dass er nicht mehr atmen konnte und kurz darauf starb. Seine Worte „I can’t breathe“, die er um sein Leben ringend sagte, wurden ein gewichtiger Leitsatz in der Bewegung Black Lives Matter (BLM), die unter anderem mit Aktionen und Protesten auf Ungleichheiten und Rassismus aufmerksam macht.
Zahlreiche Unternehmen aus der Digitalbranche solidarisierten sich mit der Bewegung. Amazon-Gründer Jeff Bezos persönlich sprach sich für die Unterstützung der BLM aus. Meta machte Diversity zur Chef-Sache. Die Konzepte DEI – Diversity, Equity, Inclusion, zu Deutsch Vielfalt, Chancengerechtigkeit und Inklusion – wurden vielerorts wichtiger Teil der Unternehmens-DNA und beim Marketing.
Nun ja. Viereinhalb Jahre und eine US-Präsidentschaft von Donald Trump später machen die Big-Tech-Chefs eine fette Kehrtwende.
Eine ganze Welle an Rückziehern
Schauen wir mal genauer hin: Amazon hat Passagen zum Schutz Schwarzer Mitarbeitender aus seinen Richtlinien gelöscht, entfernt wurden außerdem Hinweise zu medizinischen Leistungen rund um die Transition für trans Mitarbeiter:innen. Meta-Chef Mark Zuckerberg hat DEI-Programme gestrichen. McDonald’s überarbeitete seine DEI-Maßnahmen, änderte die Bezeichnung des Diversity-Teams, fährt die Repräsentation des Themas zurück und löst sich von DEI-Verpflichtungen in seiner Lieferkette. Ganz ähnlich ist es auch bei Walmart. Und pünktlich zur Amtsübernahme von Donald Trump hatte sogar das FBI sein Office of Diversity and Inclusion (ODI) geschlossen, nachdem sich zuvor republikanische Abgeordnete immer wieder kritisch dazu geäußert haben.
Und als würde die Streichung von DEI-Programmen nicht reichen, schränkt Meta die Sichtbarkeit politischer Inhalte in seinen sozialen Netzwerken ein und verzichtet auf Faktenchecks. Google macht das ganz ähnlich und setzt in diesem Bereich – wie Facebook – auf seine Community.
Warum das alles? Einige der Unternehmen argumentieren bei den einschneidenden Änderungen in ihren Diversity-Richtlinien unter anderem mit einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA aus dem Juni 2023, in der das Gericht bei einer College-Zulassung die Berücksichtigung von Ethnien für unzulässig erklärte. Das betreffe beispielsweise Quoten für die Aufnahme Schwarzer Menschen. Jetzt wird argumentiert, dass entsprechende Diversitätsvorgaben zu Klagen führen können.
Aber das ist natürlich nur eine Seite der Medaille.
Der konservative Feldzug gegen „Wokeness“
Was gern vergessen wird: Die konservativen Kräfte in den USA fahren schon über einen langen Zeitraum hinweg umfangreich Online-Kampagnen und Maßnahmen gegen Diversity und Inklusion und strengen gezielt Gerichtsprozesse an. Sowohl Donald Trump als auch sein berühmter Anhänger Elon Musk sprechen immer wieder davon, den „Woke-Virus“ bekämpfen zu müssen (als wäre je etwas schlecht oder krank daran gewesen, einfach empathisch zu sein).
Seit 2023 wurden in 28 Bundesstaaten und im Kongress 81 Anti-DEI-Gesetze eingebracht, die sich gegen Programme an Hochschulen richten, ergab laut CNN eine Zählung des Chronicle of Higher Education.
Und natürlich sieht man auch am Beispiel von X, ehemals Twitter, was passiert, wenn erzkonservative Kräfte Orte übernehmen, an denen einst noch Debatten auf Augenhöhe geführt werden konnten. Unter der Führung von Elon Musk ist davon nicht mehr viel zu sehen. Die Plattform zensiert Medienexpert:innen zufolge inzwischen Inhalte und gilt als Propagandainstrument. Nicht, dass das irgendwen wundert. Musk, enger Berater von Trump, zeigt mutmaßlich Hitlergrüße und macht Nazi-„Witze“.
Es geht halt auch anders …
Kann man Tech-Konzernen diese „Deals“ mit Trump vorwerfen? Sie wollen vor allem weiter wirtschaften, erhoffen sich durch diese Schritte gar ökonomische Vorteile, beispielsweise die Abschaffung von teuren Regulierungsmaßnahmen.
Aber der Interessenumschwung ist bedauernswert und fatal. Maßnahmen zur Gleichbehandlung und gegen Diskriminierung stammen in den USA aus der Bürgerrechtsbewegung in den 60ern. Dass Menschen nicht rassistisch oder wegen ihres Geschlechtes, der Abstammung, ihrer Sprache, Heimat und Herkunft, ihres Glaubens, ihrer religiösen oder politischen Anschauungen herabgewürdigt werden dürfen, ist Menschenrecht. Und in einer vermeintlichen Demokratie sollte man es eigentlich hinbekommen, genau dies zu achten.
Wenn Plattformen allerdings nachlässig darin werden bzw. gar aufhören, sich aktiv für menschliches Miteinander und den Schutz von Minderheiten einzusetzen und die Netzgemeinde vor Hassrede und Fake-News zu schützen, verlieren wir wichtigen demokratischen Austausch.
Dass man das eben nicht zwingend tun muss, zeigte Apple. Aktionäre forderten den Konzern auf, seine Diversitätsprogramme einzustellen. Im Gegenzug ermutigte Apple seine Anteilseigner:innen, auf der Hauptversammlung Ende Februar gegen den entsprechenden Antrag zu stimmen.
Können wir aufhören, vor rechter Politik einzuknicken?
Wenn wir aufhören, für Werte wie Vielfalt, Gerechtigkeit und Inklusion einzutreten und Hassbotschaften, Lügen und Ungleichheit nicht aktiv bekämpfen, können sie sich weiter verbreiten. Solange, bis von der eigenen Haltung nicht mehr genug übrig ist, um mitzuschneiden, wann Menschenrechte verletzt werden.
Dafür müssen wir auch gar nicht über den Teich schauen. Starken Rechtsruck und Desinformationskampagnen gegen diese wichtigen demokratischen Werte finden wir längst hierzulande – mit einer Partei, bei der einige ihrer Landesverbände als gesichert rechtsextrem eingestuft werden. Die AfD verteilt „Abschiebetickets“, was als Volksverhetzung untersucht wird, und spricht von Remigration. Rechtsextreme provozieren Kritik am Selbstbestimmungsgesetz. Und – vielleicht aus Angst vor so viel AfD-Wählern – scheint auch eine CDU schon jetzt in vorauseilendem Gehorsam so weit nach rechts zu lenken, dass man sich fragen darf, wie undemokratisch es noch werden wird.
Dabei ist es so leicht, für die Demokratie einzustehen – ganz einfach, indem man eigene Diversity-Programme weiterhin hochhält und nicht müde wird, Offenheit und Toleranz zu betonen. Oder so, wie jüngst DM-Chef Christian Harms: „Wir sind inzwischen eine Arbeitsgemeinschaft von über 60.000 Menschen. Da uns funktionierende demokratische Strukturen wichtig sind, ermuntern wir unsere Kolleginnen und Kollegen, sich als Wahlhelfer zu engagieren“, sagte er gegenüber dem Radiosender Hitradio antenne 1. Seinen Worten folgen Taten: Mitarbeitenden, die sich bei der vorgezogenen Bundestagswahl ehrenamtlich als Wahlhelfer beteiligen, schreibt DM die dafür geleisteten Stunden als Arbeitszeit gut. Gute Idee – bitte mehr davon.
Artikelbild: http://www.depositphotos.com
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