Beim mittlerweile vierten YouTube-Festival erstrahlt das Kraftwerk Berlin, ein altes Industriegebäude mit meterhohen Betonpalisaden, in rotem Licht; futuristische Neon-Röhren überall. Auf drei Etagen laden „Spaces‟ im stylisch-reduzierten Lounge-Paletten-Chic zum Verweilen ein, ein hippes Getränk oder leckere Superfood-Kreationen sind nicht weit. Vereinzelt gibt es YouTuber-Stände, etwa von „Laura Kampf‟ oder „Vegan ist Ungesund‟, sowie eine Gaming-Ecke, u. a. mit den Rocketbeans. All das fühlt sich modern, organisiert, angenehm und, trotz der Massen, sehr individuell an.
Eine Stimme für jeden
Diese Atmosphäre passt absolut ins Konzept: Denn irgendwie ist YouTube genau das, ein riesiges Portal, das für viele funktioniert und auf dem trotzdem jeder finden kann, was er gerade anschauen möchte. „YouTube gibt jedem eine Stimme‟, sagt Philipp Justus, Vice President Central Europe bei Google, in der Keynote, und meint damit nicht nur den viralen Hit von Lil Nas X, sondern auch Greta Thunbergs Rede vor dem UN-Klimagipfel in New York oder Rezos „Zerstörung der CDU“, was der CDU nicht so gefiel, aber sehr vielen, vor allem jungen Leuten, die sich für politische Themen interessieren. Hier zeigt sich: YouTube spiegelt den Zeitgeist nicht nur wider, sondern prägt ihn auch.
Für Andreas Briese, Director Partnerships, definiert das Portal auch Mainstream neu: Mainstream sei, jedem das Passende zu zeigen. Er erklärte aber auch, dass hierzu auch eine Verantwortung für die Inhalte gehört: So solle es Restriktionen, wie z. B. eine fehlende Kommentarfunktion, geben, wenn ein Video gegen Compliance-Richtlinien verstößt. Ein Team von 10.000 Mitarbeitern und passende Algorithmen löschen gezielt inakzeptable Inhalte – angesichts der Werbeboykotte Anfang dieses Jahres aufgrund von Gefährdung Minderjähriger eine gute Idee.
E.T. würde YouTube schauen
Für alle Markeninhaber und Werbetreibende gab es gleich mehrere wichtige Botschaften. Jede Minute werden 500 Stunden (!) Content auf YouTube hochgeladen, 86 Prozent aller Jugendlichen nutzen YouTube regelmäßig, jeder Über-18-Jährige schaut hierzulande rund 33 Minuten YouTube am Tag, um nur einige eindrucksvolle Zahlen zu nennen.
Roman Willenbrock, Industry Manager Agency bei Google, ging wohl auch deshalb in seinem Expertenvortrag auf die Rolle von YouTube als Leitmedium und kulturelle Datenbank ein: „Um die Menschen zu verstehen, würde E.T. heute YouTube bingewatchen‟, sagte er. Der Google-Mann rät: Wer in Zukunft Leute erreichen wolle, sollte einfach mal 20 Kanäle abonnieren, die die eigene Zielgruppe schaut. Wer auf Influencer setzen will, sollte sich vorher klar sein, ob das auch zur eigenen Marke passt und: Tu das, was du noch nicht kannst. Praktischerweise hat die Marke Eucerin übrigens genau das gemacht und – wie sie im Rahmen der Keynote stolz berichteten – konnten sie durch YouTube-Werbung 10 Prozent mehr stationäre Abverkäufe in der Apotheke verzeichnen.
Gold für die eigene Passion
Neben der subtilen, aber nie unbegründeten Anreize für Werbetreibende, hat Google vor allem auch im Blick, all die Kreateure zu honorieren, die ihre Formate meist mit großer Leidenschaft produzieren. Deutlich wird das durch eine große Leinwand mit Danksagungen an einzelne Kanäle, vor allem aber durch die Verleihung des Goldene Kamera Digital Awards – getreu dem Motto „Unsere Creators verdienen Gold‟. Das erhielten etwa Rezo in der Kategorie Special Award, Domtendo (Let’s Play) oder auch das Journalistenteam Strg_F (Best of Information). Daneben wurden großartige Produktionen wie „Senioren zocken‟, „Gewitter im Kopf‟ oder „Leeroy will's wissen!‟ vorgestellt und gewürdigt.
Die Auszeichnung für den besten Brand Channel sackte übrigens nach einem Publikumsvoting Ebay Kleinanzeigen mit seiner YouTube-WG ein. Durch das Format habe es funktioniert, noch mehr junge Leute für Second Hand zu begeistern, so Frida Elisson, Marketingchefin bei Ebay Kleinanzeigen.
Frank Elstner, der Newcomer
Apropos (junge) Zielgruppe: Der Preis für den besten Newcomer ging, mit Standing Ovations im Saal, an: Frank Elstner. Wie Kai Pflaume bei der Preisübergabe feststellte: Der 77-Jährige wurde 2012 mit dem TV-Preis für sein Lebenswerk ausgezeichnet, betreibt aber seit ca. vier Jahren erfolgreich seinen YouTube-Channel „Wetten, das wars noch nicht‟. Elstner glaubte zwar selbst nicht dran, dass junge Leute ihn noch kennen, sagte in seiner Dankesrede aber einen der wichtigsten Sätze des Tages: „Das ist ein Preis für die Nähe zum Publikum.“ Zwar sollte man sich in der Kommunikation nicht allein auf die Video-Plattform konzentrieren, um sich gerade im Bereich der Bildung oder der Berichterstattung nicht in einer Filterblase zu bewegen. Doch dass YouTube eine Plattform ist, mit der die Nähe zur Zielgruppe gut funktionieren kann, wurde gestern sehr deutlich.
Kommentar schreiben