Seit einigen Jahren liegen die sogenannten Escape Rooms im Trend. Eine Gruppe von Spielern wird gemeinsam in einem Raum eingeschlossen und muss sich in einer vorgegebenen Zeit durch das Lösen von Rätseln und dem Entdecken von Hinweisen aus dem Raum befreien, um das Spiel zu gewinnen. Eingebettet sind die Spiele in der Regel in eine Geschichte, die die Spieler in ihren Bann ziehen soll – mal ist man ein Ermittler, der in kurzer Zeit einen Fall aufklären muss, mal ein gestrandeter Weltraumfahrer, der aus seinem Schiff ausgeschlossen wurde, mal eine Geisel, die sich aus der misslichen Lage befreien muss.
Die Coronakrise traf die zahlreichen Escape-Room-Betreiber in Deutschland hart: Durch die von der Regierung verordneten Kontaktbeschränkungen waren die Spiele nicht mehr durchzuführen – schließlich wird eine Gruppe von mehreren Personen in einem abgeschlossenen Raum zusammengebracht und nahezu alles in dem Raum wird auch berührt. Die Räume wurden also auf unbestimmte Zeit geschlossen.
„Wir benötigen eine Alternative“
Unterkriegen lassen wollten sich die Betreiber aber offenbar nicht: Ideenreichtum gehört für sie ja quasi zum Tagesgeschäft und so suchten einige Anbieter schnell nach Lösungen für ihre missliche Lage. „Ende März war klar, wir benötigen eine Alternative. Der Online-Escape-Game-Gedanke reifte heran“, erklärt beispielsweise Petra Toobe von Exit – Live Adventures Dortmund. Das Team hatte am 16. März den Escape Room auf Anordnung der Landesregierung schließen müssen. Alle erforderlichen Maßnahmen seien dann ausgeschöpft worden: Die Betreiber meldeten Kurzarbeit an, beantragten Soforthilfe und sprachen mit ihrem Vermieter über die Lage. Nachdem das Administrative geklärt war, stand die Frage im Raum, wie es nun weitergehen könne – und die Idee des Online-Spiels „Bunker – Wo ist Frankie?“ nahm Form an.
Das Spiel sei schnell realisiert worden: „‚Bunker – Wo ist Frankie?‘ ist in weniger als zwei Wochen entstanden“, so Petra Toobe. „Mit der Umstellung auf Online haben wir keine Probleme gehabt, da alle unsere Escape-Room-Spiele, egal ob analog oder virtuell, sehr technisch sind.“ Eine größere Herausforderung sei da der Gameflow und die Logik der Rätsel gewesen – denn auch bei der kurzfristig zu findenden Lösung wollte das Team seinen hohen Anspruch nicht aufgeben.
Unterschiede zwischen virtuellen und physischen Escape-Room-Spielen
Was den Betreibern von Exit Dortmund zweifellos in der Krise entgegenkam, war die Tatsache, dass der Aufbau eines virtuellen Escape Rooms vergleichsweise günstig ist, wie Petra Toobe erklärt: „Einen klassischen Escape-Raum zu bauen, dauert oft Monate. Wir haben an unserer U-Boot Mission acht Monate gebaut. Dazu kommen Personal- und Wartungskosten.“ Dieser Aufwand sorgt allerdings dafür, dass die Spieler ein immersives Abenteuer erleben können – in dem Online-Spiel musste das Team auf zahlreiche Audio- und Video-Sequenzen zurückgreifen, um eine ähnliche Atmosphäre zu vermitteln.
Ebenso fehlt ein Spielleiter beim virtuellen Escape-Game, der bei klassischen Spielen zum Erlebnis beiträgt und auch mit Tipps zur Seite steht, wenn die Spieler einmal nicht weiterkommen. „Das ist einerseits schade, da ein Spielleiter mit seiner Performance für ein noch schöneres Spielerlebnis sorgen kann, andererseits entstehen hier auch keine Personalkosten“, so Petra Toobe. Um Spielern im Fall eines Falles auch im Online-Spiel zu helfen, gibt es Hilfestellungen oder Lösungen meist per Klick direkt neben der Frage. „Da ist Selbstdisziplin gefragt“, sagt Toobe.
Bunker – Wo ist Frankie?
Die Story: In Dortmund verschwinden Menschen – sieben wurden in den letzten zwei Wochen als vermisst gemeldet. Was genau hinter dem Verschwinden steckt, ist unklar, aber ein außer Kontrolle geratener Spiel-Leiter eines Escape Rooms soll unter der Erde Dortmunds ein diabolisches Spiel spielen. In der größten zivilen Bunkeranlage der Welt müssen die Spieler das Rätsel lösen.
Die Umsetzung: Das Spiel ist komplett browserbasiert und läuft über eine eigenständige Website. Bis zu vier Spieler können das Spiel von verschiedenen Endgeräten aus spielen. Der Buchungsprozess unterscheidet sich nicht von den anderen Spielen auf der Homepage von Exit Dortmund. Der Anbieter nutzt viele Audio- und Videosequenzen, um die Spieler in die Geschichte zu bringen und die richtige Atmosphäre zu schaffen.
„Wir mussten schnell umdenken“
Ähnlich erging es auch dem Team von Breakout Göttingen. Normalerweise rätseln sich 400 Gruppen pro Monat durch die Räume des Anbieters, doch die letzten zwei Monate war der Betrieb in den Räumlichkeiten eingestellt. Für die 33 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sei keine Arbeit mehr da gewesen, die finanzielle Belastung war groß. „Wir mussten sehr schnell umdenken, um in den Köpfen der Menschen zu bleiben“, berichtet die Geschäftsführerin Verena Wiechens. „Wir betreiben unseren Escape Room zu viert und haben zusätzlich noch einen sehr begabten Spiel-Entwickler mit im Team. Also haben wir das Beste daraus gemacht und ein Online-Spiel entwickelt, das sehr gut angenommen wurde und uns auch finanziell abgesichert hat.“
Wie auch bei den Betreibern von Exit Dortmund, musste das Team in Göttingen schnell sein: Ihr Online-Spiel „Das Geheimnis des Königs“ ist in zwei Wochen entstanden. Auch bei diesem straffen Zeitplan sollte der Qualitätsanspruch nicht leiden – trotzdem sei auch der Druck da gewesen, sich mit dem Online-Spiel früh am Markt zu platzieren. Dabei musste das Team von Breakout Göttingen zunächst einige Herausforderungen meistern, wie Verena Wiechens erzählt: „Erst einmal war das gemeinsame Arbeiten ausschließlich über Videochat neu und ungewohnt für uns. Wir mussten uns erst einmal ins Programmieren und in das Online-Grafik-Design einarbeiten, damit das Spiel auch ansprechend aussieht und problemlos abläuft. Die größte Herausforderung war aber schließlich die Verbreitung des Spiels und das angemessene Marketing mit einem kleinen Budget.“
Mehr als nur eine Einnahmequelle
Obwohl die Betreiber finanziell stark unter Druck standen, haben sie sich bei der Preisgestaltung zu einem ungewöhnlichen Schritt entschieden: Das Online-Spiel ist prinzipiell kostenfrei spielbar, Breakout Göttingen bittet die Spieler lediglich um eine freiwillige Spende. Denn den Betreibern ging es nicht nur darum, sich mit dem Online-Angebot finanziell über die Krise zu retten.
„Wir sind nach wie vor sehr zufrieden mit der Entscheidung, ein Spiel kostenlos angeboten zu haben“, bekräftigt Verena Wiechens. „Die Spieler*innen, die sich ein solches Spiel aktuell nicht leisten konnten, konnten sich in dieser schweren Zeit trotzdem etwas ablenken, und die, die uns finanziell unterstützen wollten und konnten, haben das oft sogar ziemlich großzügig getan.“ Rund 10.000 Spieler haben „Das Geheimnis des Königs“ nach Angaben des Betreibers gespielt. Das Spiel habe durch die Spenden letztlich so viel Geld generiert, dass das Unternehmen sich tatsächlich halten konnte.
Das Geheimnis des Königs
Die Story: Ein geheimnisvolles Zigarettenetui, das aus einem renommierten Auktionshaus geklaut worden sein muss, taucht plötzlich in Göttingen auf. Doch wer hat das wertvolle Kunstobjekt gestohlen? Hier kommen die Agenten der M.E.T.A. Agency ins Spiel: Sie müssen die Spur des luxuriösen Objekts verfolgen und den Meisterdieb fassen.
Die Umsetzung: Das Escape-Game streckt sich über vier Tage und kann alleine oder in der Gruppe (per Chat) gespielt werden. Die Spieler erhalten dabei jeden Tag per E-Mail ein Tagesrätsel, das es zu lösen gilt – mit Internetrecherchen, die zunehmend komplexer werden. Anstatt kniffliger Rätsel stand für das Team von Breakout Göttingen aber im Vordergrund, dass die Spieler wirklich aktiv ermitteln, die Freiheit des Internets soll gänzlich ausgenutzt werden.
Avatar mit Kopfkamera
Einen anderen Ansatz verfolgte das Team von EscapeVenture. Der Anbieter betreibt Escape Rooms in mehreren deutschen Städten und wurde ebenfalls hart von der Krise getroffen. Doch die Lösung lag nicht in einem browserbasierten Spiel oder einem mehrtägigen Abenteuer: Die Betreiber von EscapeVenture brachten die Spieler per Videoschalte in die tatsächlichen Räume, indem ein Mitarbeiter mit einer Kopfkamera ausgestattet als Avatar fungiert. Das System sei mit dem Spiel „HackAttack“ zunächst in Magdeburg getestet, danach auch in Leipzig bei dem Spiel „StarWreck“ umgesetzt worden.
Die Umsetzung mit Kopfkamera und Videokonferenz war gar nicht so einfach: Die erste Idee, GoPro-Kameras einzusetzen, scheiterte an der technischen Anbindung an die Videokonferenz. Am Ende wurden Smartphones mit der Meeting-App Zoom verbunden, um das digitale Spiel zu realisieren. Die virtuellen Spiele seien von den Kunden gut angenommen worden, erklärt Veikko Galle von EscapeVenture. „Da es sich um ein vollkommen neues Spielerlebnis handelt, ist natürlich zum Anfang mit einer gewissen Skepsis der Spieler zu rechnen. Dennoch wurden die beiden Spiele sehr gut angenommen und haben immer wieder in der Woche Buchungen zu verzeichnen.“
StarWreck
Die Story: Die Spieler befinden sich quasi in der Kommandozentrale einer Weltraum-Mission. Das Raumschiff ist auf einem fremden Wüstenplaneten gestrandet, der Astronaut befindet sich außerhalb des Schiffs und ist ausgeschlossen – und der Sauerstoff reicht nur noch für 45 Minuten.
Die Umsetzung: Das Spiel wird über eine Videokonferenz gespielt – ein Mitarbeiter des Escape Rooms ist quasi als Avatar mit einer Kopf-Kamera ausgestattet und nimmt die Rolle des gestrandeten Astronauten ein. Die Spieler müssen ihn durch den Raum lenken und Anweisungen geben, um die Rätsel zu lösen und den Avatar ins rettende Schiffsinnere zu bringen. Die Verlagerung der Spieler in die Rolle der Kommando-Station passt sich nahtlos in diese Anpassung des Spiels ein.
Die digitalen Räume werden bleiben
Die Möglichkeit, Kunden auch virtuell in die Räume zu holen, will das Team von EscapeVenture sich auch in Zukunft offen halten. Gerade wenn es mal zwischen den Spielen zu Leerläufen kommen sollte, könnten diese Lücken dann mit den virtuellen Spielen gut überbrückt werden. Der Fokus liege für das Team aber auf dem echten Erlebnis im Escape Room.
Auch „Das Geheimnis des Königs“ soll in Zukunft weiter angeboten werden. Es mache nur einen geringen Mehraufwand, das Online-Spiel weiterlaufen zu lassen und es sei auch kein Konkurrenzprodukt zu den klassischen Escape Rooms, die Breakout Göttingen anbietet. „Vielmehr ist es eine tolle Möglichkeit, Spieler*innen von uns als Entwickler*innen überzeugen zu können“, so Wiechens. „Das tolle Feedback über Social Media und E-Mails hat uns für die Krise Mut gemacht und lässt uns positiv in die Zukunft blicken.“
Auch das Team von Exit Dortmund will sein Online-Spiel nach der Krise weiter anbieten. Das Spiel habe neben den klassischen Räumen eine Daseinsberechtigung, erklärt Petra Toobe: „Durch die größere Reichweite bieten sich viel mehr Möglichkeiten, das Netzwerk zu erweitern. Wir können zusätzlich die Aufmerksamkeit auf unsere klassischen und Virtual-Reality-Escape-Rooms lenken und so den Umsatz steigern.“ Inzwischen habe das Team auch Spaß daran gefunden, weitere Spiele für den virtuellen Raum zu entwickeln.
Von der größeren Reichweite profitiert auch der Anbieter EscapeVenture, wie Veikko Galle erklärt: „Das spannende an dieser Art der Escape Rooms ist, dass wir so die Möglichkeit hatten, Kunden ansprechen zu können, die wir so vorher nie erreicht hatten. So waren schon Gruppen bei uns aus Singapur, den USA und Belgien zu Gange.“
Digitale Escape Rooms tragen zur Inklusion bei
Und so zeigt sich, dass die digitalen Escape Rooms nicht nur eine schnelle Notlösung für eine in Schieflage geratene Branche waren: Die Anbieter haben die virtuellen Erlebnisse durch die Coronakrise als wahre Chancen erkannt, um ihre eigene Reichweite über das bisherige Einzugsgebiet hinaus zu steigern. Dazu kommt noch ein weiterer Vorteil: Klassische Escape Rooms sind selten barrierefrei – digitale Erlebnisse können das dagegen sehr wohl sein. Und so trägt das digitale Rätselraten auch noch zur Inklusion bei.
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