Im Rahmen der E-Commerce Berlin Expo sprach Jörg Heinemann, seines Zeichens Innovation Evangelist beim deutschen Vorzeige-Online-Riesen Otto über die Zukunft des Social-Commerce. Das Thema hat hierzulande zwar noch lange nicht die Ausmaße wie in China erreicht, scheint aber dennoch zunehmend zum Commerce-Mix dazuzugehören.
Kein Wunder eigentlich, wenn man bedenkt, wie traditionsreich Teleshopping in Deutschland ist. Nun, da das lineare Fernsehen immer mehr verstaubt und sich das Leben verstärkt in den digitalen Raum verlagert, scheinen Live-Shopping und Co. die natürliche Konsequenz zu sein.
„Viele Unternehmen verschenken Potenzial, indem sie warten.“
OnlinehändlerNews: Social-Commerce scheint seit Jahren ein Trend zu sein, der in Deutschland trotzdem nie so recht den Durchbruch schaffte. Woran liegt das?
Jörg Heinemann: Das liegt auf der einen Seite natürlich am Entwicklungstempo in Deutschland. Bestimmte Trends brauchen hier einfach länger, bis die Leute ihnen vertrauen und auch darin investieren. Auf der anderen Seite muss man sich ansehen, woher der Trend kommt. Denn in China ist das Thema vor allem durch dedizierte Plattformen so groß. Dort gibt es neben den reinen Social-Media-Plattformen auch konkrete Live-Shopping-Plattformen.
Hierzulande haben wir dagegen nur den Zugang über die bestehenden Social-Media-Plattformen, aber über diese kann man (noch) nicht direkt kaufen. Zumindest nicht ohne Umwege. Aber derartige Integrationen, wie beispielsweise über TikTok-Shop, schwappen mit den USA mittlerweile auch langsam in den Westen über.
Ich finde es sehr schade, dass viele hiesige Unternehmen noch das Potenzial verschenken, den Trend selbst in die Hand zu nehmen. Stattdessen wartet man darauf, dass andere es für einen machen und TikTok und Co. die Systeme hierher bringen. Klar hat man beim Einsatz über diese Plattformen ein deutlich größeres Publikum – allerdings muss man als Shop dann natürlich auch Provisionen abgeben.
Wir bei Otto haben nun bereits den Traffic und können daher mit solchen Formaten experimentieren. Und die Zahlen geben uns recht, dass das Ganze auch hier in Deutschland super gut funktionieren kann.
Otto Group bietet Live-Shopping-Software auch für externe Marken
Was plant Otto, um den Bereich zu stärken?
Das Thema Live-Shopping ist bei uns mittlerweile ein Produkt von Otto Advertising und steht als solches auch unseren Marken- und Marktplatzpartnern zur Verfügung. Ein Einstieg in Live-Shopping ist so auch für die Partner-Unternehmen möglich, die kein großes Budget mitbringen.
Als Live-Shopping-Software nutzen wir MOVEX, eine Software, die unser Schwesterunternehmen Otto Group Solution Provider (OSP) eng im Austausch mit uns entwickelt hat. Mittlerweile wird MOVEX durch die OSP auf dem freien Markt angeboten. Das bedeutet, dass auch externe Marken und Unternehmen diese nutzen können. Viele Marken zögern aber noch damit, Social Commerce über ihren eigenen Shop anzubieten. Ich befürchte, den großen Durchbruch hierzulande wird tatsächlich erst TikTok Shop mit sich bringen.
Auf welchen Social-Media-Plattformen lässt sich Social-Commerce am besten integrieren?
In den USA ist TikTok Shop ja bereits angelaufen. Hierzulande hält sich das Unternehmen diesbezüglich noch etwas bedeckt. Aber wenn man sich die internationalen Stellenanzeigen ansieht, sieht man beispielsweise Ausschreibungen für TikTok Shop in Amsterdam. Die Expansion schreitet also voran.
Aber auch Meta setzt in den USA mittlerweile auf Social-Commerce-Funktionen. Dort gibt es beispielsweise die Möglichkeit, sein Social-Media-Profil mit Konten von teilnehmenden Online-Shops direkt zu verbinden, um so direkt Käufe zu tätigen. Für Kund:innen ist diese Integration absolut sinnvoll.
TikTok Shop ist eine große Konkurrenz für Temu und Co.
Und wenn man sich mal anschaut, was in China passierte, als TikTok Shopping-Funktionen integrierte, sieht man, dass das Unternehmen dadurch Konkurrenten wie Tmall und Co. ganz schnell knapp 30 Prozent des Umsatzes streitig machen konnte.
Unternehmen wie Meta wollen von dem Erfolg natürlich auch etwas abhaben. Das Problem ist aber, dass oft nur auf Trends aus China reagiert wird. Das sieht man leider in immer mehr Wirtschaftsfeldern, siehe beispielsweise auch die E-Mobilität, dass die asiatischen Player uns ein wenig vor sich hertreiben.
Können auch kleine Marken mit Social-Commerce durchstarten oder benötigt man für den Start bereits eine große Followerschaft?
Wenn man gute Leute hat, die guten Content produzieren, kann man mithilfe bestehender Social-Media-Plattformen relativ schnell eine große Reichweite generieren. Ganz ohne eigene Followerschaft wird es zum aktuellen Zeitpunkt noch eher schwierig.
Aber gerade kleine E-Commerce-Unternehmen sind dann ja oft auch auf Marktplätzen wie Otto unterwegs und können dann natürlich auch unsere Live-Shopping-Funktionen nutzen. Aber man sollte sich auch nicht davor scheuen, den eigenen Shop direkt zu nutzen. Auf diesem hat man ja, idealerweise, bereits einen stabilen Traffic und kann diesen dann einfach auf die eigenen Social-Commerce-Elemente seines Shops umleiten, beispielsweise eben Live-Shopping, Mediatheken oder Feeds mit Shoppable Clips. Das sind kurze Videos, in denen Produkte vorgestellt und direkt verlinkt werden. Also wie Live-Shopping, nur kürzer und aufgezeichnet.
Am Ende braucht es nur ein Smartphone und ein Ringlicht
Letzten Endes benötigt man nur eine Live-Shopping-Software, die sich mit wenigen Zeilen Code in die bestehende Website integrieren lässt. Und dann kann es direkt losgehen. Alles, was es dann noch benötigt, ist ein Smartphone und ein Ringlicht. Das machen die Chinesen auch nicht anders. Wer es einfacher haben und direkt zu Beginn schon auf große Reichweiten zurückgreifen will, meldet sich bei meinen Kolleg:innen von OTTO Advertising.
Gibt es 2024 bestimmte Trends, die den Bereich Social-Commerce bestimmen?
Ich glaube und hoffe, dass Social-Commerce dieses Jahr endlich den großen Durchbruch schaffen wird. Einerseits tut sich aktuell einiges im Plattformbereich – TikTok Shop expandiert, und auch Plattformen wie Pinterest ermöglichen es zunehmend, direkt von der Inspiration zum Kauf geführt zu werden.
Andererseits ermöglichen die Entwicklungen im Bereich KI auch kleineren Unternehmen, ohne große Serviceabteilung den Bedürfnissen und Fragen der Kund:innen gerecht zu werden.
Vielen Dank für das Gespräch!
Artikelbild: http://www.depositphotos.com
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