Der B2B-E-Commerce unterscheidet sich in einigen Punkten vom Online-Handel zum Endverbraucher. Doch auch in diesem Bereich gibt es für Unternehmer viele Chancen – wenn sie digital aufrüsten. Denn die Branche hängt der Digitalisierung hinterher. Das Unternehmen Mercateo versucht mit seinem Angebot an Plattformen, Anbieter und Nachfrager im Business-to-Business-Handel besser zu vernetzen. Im Interview erklären Jens Dissmann und Lovis Kauf von der Mercateo-Gruppe, auf was Einkäufer achten, warum die Branche so träge ist und welche Rolle Amazon und Alibaba im B2B-Bereich spielen.

OnlinehändlerNews: Mercateo betreibt mehrere Plattformen, wie unterscheiden sich diese?

Jens Dissmann: Wir unterbreiten drei Angebote. Auf unserem Mercateo Marktplatz unter mercateo.com treffen sich Anbieter und Nachfrage auf anonyme Art und Weise, wobei Mercateo hier der neutrale Händler ist. Unite, erreichbar unter unite.eu, ist unsere Vernetzungsplattform. Bei Bedarfen, die über den Longtail hinausgehen, wollen sich Anbieter und Nachfrager miteinander vernetzen. Dazwischen positioniert sich unsere Mercateo Beschaffungsplattform, auf der sich Anbieter und Nachfrager treffen. Dort findet die eigentliche technologische Vernetzung statt und durch die technische Integration mittels definierter Schnittstellen werden die unterschiedlichen Systeme auf Anbieter- und Nachfrageseite homogenisiert. Zu diesem Zweck bietet die Beschaffungsplattform vielfältige Funktionen wie etwa User- und Vertragsmanagement.

So funktionieren Best Basket und das Auktionsmodell

OnlinehändlerNews: Wodurch zeichnet sich ihr Marktplatz im Vergleich zu anderen aus?

Jens Dissmann: Wir haben einige Besonderheiten: So verhandeln wir beispielsweise keine Einkaufspreise, sondern wir geben Anbietern und auch Nachfragern ein klares Bild über die Methodik, mit deren Hilfe wir die Preisfindung betreiben. Ein Anbieter bekommt zum Beispiel einen transparenten, aber anonymisierten Überblick, wo er mit seinen Preisen im Vergleich zu den Preisen anderer Anbieter des gleichen Produktes steht – er kann sich dann selbst Gedanken machen, ob das für ihn optimal ist oder nicht.

Eine weitere Besonderheit ist unsere Best-Basket-Funktion. Wenn ein Einkäufer seinem Warenkorb ein Produkt hinzufügt, optimiert ein Algorithmus den neuen Warenkorb gemäß verschiedener Kriterien wie Lieferzeit, Transportkosten sowie Handlingkosten, die durch das Bearbeiten einer höheren Anzahl von Paketen entstehen und schlägt diese Alternativen dem Einkäufer vor. Darüber hinaus bieten wir ferner ein Auktionsmodell, das es Anbietern ermöglicht, Preise in bestimmten Konstellationen nach unten zu auktionieren.

Lovis Kauf: Der Anbieter kann dabei einen verdeckten Preis einstellen. Es wird aber nur soweit auktioniert, dass er gewinnt – wenn also das festgelegte Minimum des Anbieters erreicht wird, dann geht es auch nicht weiter.

OnlinehändlerNews: Preis ist ja ein wichtiger Faktor – vor allem für den normalen Online-Kunden im B2C-Geschäft. Wie ist es im B2B-Bereich: Was sind dort die wichtigsten Faktoren für den Einkäufer?

Jens Dissmann: Die Zuverlässigkeit der Lieferanten ist enorm wichtig, gleichermaßen aber auch die Prozesskostenoptimierung und die Compliance (Einhaltung von gesetzlichen Bestimmungen und selbst gesetzter ethischer Standards, die Redaktion). Compliance ist in Deutschland ein Riesenthema, auch im Rahmen der DSGVO. Als Einkäufer muss ich mich darauf verlassen können, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen durch meine Geschäftspartner befolgt werden – und das kann ich nur, wenn ich mit glaubwürdigen Partnern wie Mercateo und seinem geprüften Anbieternetzwerk zusammenarbeite. 

„Compliance ist ein Riesenthema“

Lovis Kauf: Ein Vergleich: Wenn ich mir privat eine Sonnenbrille kaufe, ist es mir eigentlich egal, welche Marke das ist. Aber wenn ich als mittelständischer Betrieb eine Schutzbrille für meine Mitarbeiter brauche und die Schutzbrille geht kaputt, weil es eine Fälschung ist, dann habe ich als Betrieb ein Riesenproblem. Daher haben wir Prozesse, die sicherstellen, dass unsere Lieferanten vertrauenswürdig sind und somit die richtige Ware und keine Fälschungen geliefert werden; wir nennen das Managed Supply. 

OnlinehändlerNews: Auf dem Marktplatz finden sich 29 Kategorien – welches ist der umsatzstärkste Bereich?

Lovis Kauf: Ganz pauschal ist das IT/Elektronik. Dahinter liegen Bürobedarf, Werkzeug und Arbeitsschutz.

Jens Dissmann: Als kleine Ergänzung: Das sind die Top-4-Kategorien, die wir auf dem Marktplatz nachvollziehen können. Ein Riesenvolumen geht aber auch über die Rahmenvertragskataloge, die Einkäufer mit ihren Lieferanten individuell verhandelt haben und die wir auf der Mercateo Beschaffungsplattform hosten. Da sind wir als Mercateo dann gar nicht mehr Vertragspartner, sondern wir unterstützen hier die Vernetzung der Marktteilnehmer.

Mercateo Gruppe Jens Dissmann Lovis Kauf 1 1

OnlinehändlerNews: Während der B2C-Handel online boomt, hängt der B2B-Bereich etwas hinterher, wie auch viele Studien belegen. Warum ist die Branche so träge?

Lovis Kauf: Das ist eine Superfrage. Angeblich laufen immer noch 95 Prozent des gesamten europäischen B2B-Commerce offline, also über Kataloge, Faxbestellungen und so weiter – und auch bei uns kommt etwa ein Viertel der Bestellungen über Telefon, Fax und Brief. Und wir verarbeiten die – das ist etwas, was andere E-Commerce-Partner vielleicht nicht machen, denn das kostet natürlich auch Ressourcen. Da gibt es noch eine wahnsinnige Effizienz, die in dem Markt noch gehoben werden kann. Aber warum die Branche hinterherhängt...? Also, wenn ich mir vorstelle, ich leite ein Geschäft und es läuft profitabel, dann will ich auch so wenig daran ändern wie ich kann oder einfach nur sicherstellen, dass es so bleibt. (lacht)

 „Kein Mensch kann sich langfristig der Digitalisierung entziehen“

Jens Dissmann: Wir haben hier eine Herausforderung, denn kein Mensch kann sich langfristig der Digitalisierung entziehen – das geht schlicht und ergreifend nicht. Sowohl auf Anbieter- als auch auf Nachfrager-Seite werden digitale Prozesse zunehmend notwendig werden, um konkurrenzfähig zu bleiben. Und unsere Technologie stellt da eine Art Klammerfunktion dar. In unserer Studie mit der HTWK haben wir herausgefunden, dass Unternehmen durch digitalisierte Prozesse in der Beschaffung mehr als 40 Prozent einsparen können, pro Beschaffungsvorgang. Und hierbei handelt es sich nicht um Einsparungen durch möglicherweise günstigere Preise, sondern um das Potential in der Optimierung der Prozesse.

OnlinehändlerNews: Herr Dissmann, sie waren zuvor unter anderem für amiro und ciao tätig, wo es auch um Kundenmeinungen geht, wie man sie z.B. auch von Amazon oder Ebay kennt. Wären solche Bewertungen auch für den B2B-Handel sinnvoll?

Jens Dissmann: Da gibt es keine eindeutige Antwort. Es kommt auf das Spektrum der Produkte an. Im Bereich der A-Teile wäre ein „Hörensagen“ absolut undenkbar. Wenn es sich um für ein Unternehmen lebenswichtige Materialien handelt, gibt es eine urdeutsche Palette der Sicherstellungsmaßnahmen, die das Risiko minimieren. Im B-Teile-Bereich ist das vielleicht eher möglich, da kennen sich die Leute zum Beispiel von Industriemessen. Im Longtail ist es nicht sinnvoll, denke ich. Da geht's darum, schmeckt der Kaffee oder nicht, und wenn nicht, wird er nicht mehr gekauft.

„Amazon geht dahin, wo es Geld verdienen kann“

OnlinehändlerNews: Amazon ist mit seiner Plattform auch im B2B-Geschäft aktiv – wie können sie sich dagegen behaupten? 

Jens Dissmann: Wir haben ja ein anderes Modell. Amazon sagt: „Lieber Lieferant, wenn du deine Produkte über mich verkaufen möchtest, kannst du das tun, dafür möchte ich einen prozentualen Anteil haben“ – so arbeiten wir nicht. Wir sind Vertragspartner und kaufen die Produkte ein. Was Amazon aufgrund seiner Marktpositionierung nicht kann, ist die Neutralität. Vernetzen liegt auch nicht im Interesse von Amazon – das ist aber unserer Meinung nach eine wichtige Komponente des B- und des C-Teile-Handels. Unsere Plattform bietet hier weitreichende Möglichkeiten, da grenzen wir uns deutlich ab. Auch die System-Anbindung ist bei uns völlig anders: Wir sind ganz ganz tief in den Systemen unserer Partner drin: Wir haben eine Mandanten-Verwaltung, Exklusivkataloge und mehr – Komponenten, die nicht im Interesse von Amazon liegen und dort auch nicht zur Verfügung stehen. Außerdem haben wir eine europäische Perspektive – Amazon hingegen geht dahin, wo es mit dem Amazon-Modell Geld verdienen werden kann.

Lovis Kauf: Was uns zusätzlich von anderen Anbietern unterscheidet, ist unsere Sortimentsbreite, die Möglichkeit zur einfachen Internationalisierung und Managed Supply, den unser Lieferantenmanagement prüft, um Kundenanforderungen optimal gerecht zu werden.

„Wir sind im Dialog mit Alibaba“

OnlinehändlerNews: Bleiben wir bei den Big Playern – ist nicht Alibaba inzwischen der größte Herausforderer auch auf dem B2B-Markt? 

Jens Dissmann: Alibaba ist ein Gigant. Ich empfinde es aber derzeit noch nicht als unmittelbaren Konkurrenten, aber die Plattform ist spannend und bemerkenswert. Der Gründer Jack Ma sagt ja in etwa „Ich brauche gar keinen Handel mehr. Digitalisierung ermöglicht es, dass ich konfigurierten Supply direkt an den Nachfrager bringe.“ Und Alibaba ist eine Plattform mit vielen Komponenten, die das ermöglichen: Die haben Logistik-, Lager-, Bezahl-Funktionen etc. Unsere Überzeugung ist aber eine andere: Wir sagen, die Vernetzung zwischen Angebot und Nachfrage und das gegenseitige Kennen der Akteure im Markt spielt eine sehr bedeutsame Rolle. Wir glauben, dass es auch eine lokale Komponente ist und Unternehmen nicht immer international Sourcen wollen. Für viele Unternehmen ist es ein wichtiges Anliegen, das regionale Gefüge durch Handel zu beflügeln. Als Nachfrager ist mir ja vielleicht daran gelegen, ein Ökosystem um mich herum aufzubauen. Wir sind auch im Dialog mit Alibaba und verfolgen mit großem Interesse die momentanen Aktivitäten.

Virales Wachstum als Ziel

OnlinehändlerNews: Kooperationen sind ein Teil – wie geht es mittelfristig weiter mit den Mercateo-Plattformen?

Jens Dissmann: Wir versuchen, die Automatisierung dort voranzutreiben, wo sie für uns sinnvoll ist. Außerdem wollen wir mehr und mehr systemische Anbindung bei Anbietern nutzbar machen, da sind starke Suchfunktionen zum Beispiel von essentieller Bedeutung. Eine der USPs von Mercateo ist ja die katalog- und plattformübergreifende Suche, die wir auch über unsere Partner anbieten können. Außerdem versuchen wir auch über die Vernetzung die Viralität anzustoßen: Ein Anbieter bringt seine eigene Nachfrage, weil er erkennt, dass beide etwas davon haben, wenn sie die Plattform nutzen. Wir haben zum Beispiel einen Anbieter, der an über 100 Nachfrager Mails rausgeschossen hat, um auf unserer Plattform ein Business zu gestalten. Und die Konversionsrate war ausgesprochen hoch. Da wollen wir hin: Virales Wachstum. Aber das ist ein langer Weg.

OnlinehändlerNews: Vielen Dank für das Gespräch.