Wer seit längerer Zeit über Amazon berichtet und das Unternehmen genauer im Blick hat, hat in den vergangenen Wochen und Monaten einen leichten Sinneswandel beobachten können: Auf Presseanfragen wurde häufiger reagiert, während es in den Jahren zuvor in vielen Fällen nur hieß: „Zu Marktspekulationen äußern wir uns nicht.“ Diese offenere Kommunikation ist durchaus löblich, da so mehr Klarheit geschaffen werden kann.

Die aktuell in den Medien diskutierten, vermeintlichen Umsatzzahlen der Marktplatz-Händler in Deutschland zeigen aber, dass der US-Konzern in seiner neuen Strategie offenbar noch ein paar Lektionen zu lernen hat. Die Umsatzzahlen, die aufgrund einer Äußerung aus einer E-Mail an Amazon-Händler berechnet werden konnten, wollte das Unternehmen zunächst nicht kommentieren, da es sich um Spekulationen handele. Dieser Schritt steht Amazon natürlich frei: Der Konzern muss sich nicht im Fall von „geleakten“ Zahlen zu diesen äußern, wenn er nicht will. Für die Marktplätze sind die Umsatzzahlen ihrer Händler gut zu hütende Geheimnisse und auch Ebay macht diese Zahl nicht öffentlich.

Keine Äußerung… oder doch?

Etwas überraschend war dann aber Amazons Entscheidung, sich einen Tag nach Beginn der Berichterstattung zu den vermeintlichen Zahlen doch zu äußern: Die berechneten Zahlen seien „in keiner Weise korrekt“, heißt es in dem knappen Statement. Der Mitarbeiter, der die Informationen für die E-Mail an die Händler zusammengestellt hat, habe Zahlen genutzt, „die nichts mit den Verkäufen von Drittanbietern bei Amazon zu tun haben“, heißt es weiter. Amazon spricht explizit von einem „menschlichen Fehler“.

Amazons späte Äußerung sorgt derweil für Verwunderung. In den Medien wird vermehrt die Frage aufgeworfen, warum das Unternehmen sich zunächst nicht äußern wollte, um dann ein späteres Statement nachzuschieben. Der Umstand allein, dass der Konzern sich erst so spät zu einem derart brisanten Thema äußerte, wurde von einigen Magazinen hinterfragt.

Amazon war in einer aussichtslosen Situation

In den Medien wird nun die Frage aufgeworfen, wie es vermeintlich falsche Zahlen in die Händlerkommunikation von Amazon geschafft haben. Zumal es sich nicht um ein einmaliges Mailing gehandelt habe. Laut Internet World seien die Zahlen „über mehrere Monate hinweg“ an die Händler kommuniziert worden. Dass die Zahlen falsch sein sollen, hilft dem Konzern ebenfalls wenig: Gerade dann könnten Händler keine fundierte Geschäftsentscheidungen über den Verkauf auf dem US-Marktplatz treffen. Beim Handelsblatt heißt es dazu wenig subtil: „Amazon wirbt mit falschen Zahlen bei Händlern für das US-Geschäft“.

Unklar ist, ob Amazon die tatsächlichen Zahlen nun offenlegen wird. Seit dem ersten Bericht über die vermeintlichen Zahlen befand das Unternehmen sich in einer Lose-Lose-Situation: Kommentiert es die Spekulationen nicht, suggeriert es, dass die Werte mehr oder weniger stimmen. Will Amazon die Zahlen dementieren, weil sie nicht stimmen, dann muss es die Aussagen in der E-Mail an die Händler erklären. Und das alles, ohne das streng gehütete Geheimnis der Marktplatz-Umsätze offenzulegen, da es sich so in eine schlechtere Position im Wettbewerb begeben könnte.

Das ist eine Situation, in der sich sicherlich kein Pressesprecher und kein Unternehmer wiederfinden möchte. Bleibt nur zu hoffen, dass Amazon jetzt nicht wieder seine Kommunikation auf Null reduziert.