Für jeden Händler, der sein Geschäft ausbauen und sogar neue Absatzmärkte erschließen will, ergeben sich zahlreiche Fragen bei der Umsetzung eines solchen Vorhabens. Einmal von der Finanzierung und dem erhöhten Arbeitsaufwand abgesehen, gibt es für Online-Händler im Grunde eine Kernfrage: Über welche Kanäle kann ich am besten in neue Märkte expandieren? Die Entscheidung zwischen einem eigenen – länderspezifischen – Online-Shop oder einem Shop auf einem der zahlreichen Marktplätze muss getroffen werden.
Dabei gibt es kein allgemeingültiges Rezept, welcher Weg sich nun in jedem Fall am besten eignet. Wie Juristen so gerne sagen: „Es kommt darauf an.“ Klar ist aber, dass der Online-Shop und der Marktplatz eigene Vor- und Nachteile haben, die jeder Händler vor seiner Expansion abwägen sollte, um dann zu entscheiden, welcher Kanal am besten zu ihm passt.
Online-Shop vs. Online-Marktplatz
Zunächst zum Online-Shop: Hier hat der Händler so ziemlich volle Kontrolle über die Gestaltung und ist „sein eigener Herr“. Damit können auch rechtliche Vorgaben immer umgesetzt werden, zudem haben die Produkte im eigenen Shop in der Regel eine höhere Marge, da keine Provision an einen Plattformbetreiber gezahlt werden muss. Diesen Vorteilen gegenüber stehen allerdings ein höherer Arbeitsaufwand (alle Arbeitsschritte müssen schließlich selbst organisiert und durchgeführt werden) sowie der anstrengende Reichweitenaufbau, gerade in neuen Märkten.
Ein Online-Marktplatz bietet hier einen deutlich einfacheren Einstieg. Durch die Plattform lässt sich ein Shop vergleichsweise schnell einrichten, zudem profitieren die Händler von der höheren Reichweite, die der Marktplatz im besten Fall in verschiedenen Märkten bereits aufgebaut hat. Aber es ist nicht alles rosig: Durch die Provision auf den Plattformen fällt die Marge geringer aus, die Gestaltungsfreiheit ist teilweise deutlich eingeschränkt. Im Ernstfall können rechtliche Vorgaben nur schwer bis gar nicht umgesetzt werden, weil die Plattform es schlicht nicht ermöglicht. Zudem platziert man als Händler seine Produkte direkt neben den direkten Konkurrenten, der Druck ist in dieser Hinsicht also auch groß.
Für viele Händler dürfte sich also ein Online-Marktplatz für die Expansion eignen – mindestens, um überhaupt erstmal das Potenzial der eigenen Produkte im neuen Zielmarkt zu bestimmen. In Europa haben Händler dabei die Qual der Wahl: Wie eine Übersicht von eCommerceNews zeigt, gibt es mehr als 7.000 verschiedene Marktplätze und Plattformen. Händler müssen sich also etwas umschauen, wenn sie nicht ausschließlich auf die bekannten Platzhirschen setzen wollen – aber sie haben eben auch die Auswahl.
Die Platzhirsche: Amazon und Ebay
Wer sich nun mit den Plattformen zur möglichen Expansion beschäftigt, kommt um die beiden Platzhirsche aus den USA nicht herum: Amazon und Ebay haben in Europa verschiedene länderspezifische Plattformen aufgebaut und können damit eine enorme Reichweite und Bekanntheit vorweisen. Amazon betreibt beispielsweise weltweit 14 verschiedene Marktplätze, 6 davon in Europa – und zwar in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, den Niederlanden und Spanien. Über sein Marktplatz-Netzwerk und das FBA-Programm fördert der Konzern zudem gezielt die Internationalisierung seiner Händler.
Ebay wartet sogar mit 26 Marktplätzen auf. In Europa ist der Konzern mit ganzen 11 Plattformen vertreten: In Deutschland, Belgien, Frankreich, Großbritannien, Irland, Italien, den Niederlanden, Österreich, Polen, der Schweiz und in Spanien. Auch hier werden die Händler bei der Internationalisierung ihres Geschäfts durch das Marktplatz-Netzwerk gefördert. Deutsche Händler können unter anderem Sofortübersetzungen für Frankreich, Italien und Spanien nutzen – durch die Übersetzung der Angebote wird die Kundenansprache in den jeweiligen Ländern erleichtert.
Der richtige Blick auf den Markt
Trotz ihrer enormen Reichweite gibt es aber auch Gegenargumente für die Nutzung von Amazon – wie bereits gesagt, muss jeder Händler abwägen, welche Plattform am besten zu ihm passt. So können ein hoher Konkurrenzdruck oder die Gestaltung der Plattform für die Expansion hinderlich sein – oder die Plattform ist im gewählten Zielmarkt doch nicht vertreten. Neben den beiden Platzhirschen gibt es aber noch zahlreiche weitere Optionen für die Expansion in neue Märkte.
Wer etwa nach China expandieren möchte, sollte sich Alibabas Tmall-Marktplatz genauer ansehen. Dieser dominiert den chinesischen Markt, der allein im Jahr 2017 einen Umsatz von 682 Milliarden Dollar ausgemacht hat, wie Ispo zeigt. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum lag der Online-Umsatz in Deutschland bei 73 Milliarden Euro. Tmalls Bruttowarenvolumen lag im 2. Quartal 2016 bereits bei 329 Milliarden RMB (etwa 32,9 Milliarden Euro). Über 70.000 Marken und 50.000 Händler bedienen auf der Plattformen mehr als 180 Millionen Kunden, so TopConversion.
Der chinesische Markt ist für ausländische Marken und Händler sehr interessant, nicht nur wegen des gewaltigen Umsatzpotenzials: Das Interesse chinesischer Kunden an westlichen Marken und Produkten ist groß. Zu den größten Stores auf Tmall gehören nicht umsonst beispielsweise der US-amerikanische Anbieter Costco oder der deutsche Drogerie-Markt dm. Es ist ein erklärtes Ziel des chinesischen Marktplatzes, westliche Luxusmarken für sich zu gewinnen. Deutsche Händler haben hier also gute Chancen, einen neuen großen Kundenstamm aufzubauen.
Eine Allianz auf europäischem Boden
Eine interessante Möglichkeit zur Expansion wurde im November 2019 gestartet: Damals kündigte der Online-Marktplatz Real an, eine Marktplatz-Allianz zu starten. Das erklärte Ziel des „International Marketplace Network“ (IMN) genannten Projekts: Händlern den internationalen Verkauf erleichtern und Zugang zu weiteren Märkten erschließen. Konkret handelt es sich bei dem IMN um einen Zusammenschluss von Real aus Deutschland, Cdiscount aus Frankreich, ePrice aus Italien und EMAG aus Rumänien. Zunächst wurde das International Marketplace Network mit 100 Händlern getestet.
Die Förderung des grenzüberschreitenden Handels will IMN durch verschiedene Maßnahmen erreichen. So können Händler, die ihre Waren bereits auf einem der beteiligten Marktplätze anbieten, auch auf den anderen Plattformen aktiv werden, ohne eine weitere technische Anbindung zu benötigen oder Zusatzkosten zahlen zu müssen – lediglich die anfallenden Provisionen auf den jeweiligen Marktplätzen müssen die IMN-Teilnehmer zahlen. In Zukunft sollen noch weitere Plattformen in das Netzwerk aufgenommen werden – Online-Händler erhalten damit die Möglichkeit, ihre Produkte vergleichsweise einfach in neue Märkte zu bringen und von der Reichweite der jeweiligen Plattformen zu profitieren.
„Mit IMN eliminieren wir die größte Hürde für Händler, neue Marktplätze zu nutzen: Eine weitere technische Anbindung“, erklärte Claudia Bolten, Geschäftsführerin von Real.de, zum Start gegenüber OnlinehändlerNews. „Wir nutzen einfach die bereits bestehende Anbindung unserer Händler an real.de und verteilen die Informationen zu den Angeboten auf den anderen Marktplätzen.“ Die Zielversion von IMN sei „ein großes Netzwerk mit allen Services, die ein Händler benötigt, um erfolgreich zu internationalisieren.“
Weitere Plattformen für die Expansion
Neben diesen Marktplätzen gibt es natürlich noch viele weitere Plattformen, die sich zur Internationalisierung des eigenen Geschäfts eignen. Hier kommt es immer darauf an, welche Zielgruppe der Händler ansprechen will und wo sich das Produkt am besten präsentieren lässt. Kunsthandwerker dürften beispielsweise stärker auf Etsy setzen als ihre Kreationen bei Wish anzubieten. Für einen Überblick über verschiedene Marktplätze gibt es hier nochmal einige Informationen zusammengefasst:
Amazon
- Umsatz: 233 Milliarden US-Dollar (2018)
- 14 Marktplätze weltweit, 6 davon in Europa
- verkauft auch selbst Produkte
- fördert die Internatonalisierung seiner Händler über sein Marktplatz-Netzwerk und das FBA-Programm
Ebay
- Umsatz: 10,75 Milliarde US-Dollar (2018)
- 26 Marktplätze weltweit, 11 davon in Europa
- tritt als reiner Marktplatz auf
- fördert die Internationalisierung seiner Händler über das Marktplatz-Netzwerk und Services wie automatisierte Sofortübersetzungen
Alibaba/Tmall
- GMV: 329 Milliarden RMB, ca. 32,9 Milliarden Euro (Q2 2016)
- über 70.000 Marken, 50.000 Händler und 180 Millionen Kunden
- vor allem für europäische Händler, die nach China expandieren wollen, interessant
- Tmall will vor allem westliche Luxusmarken gewinnen, um das Kundenbedürfnis in China zu bedienen
Rakuten
- Umsatz: 781,9 Milliarden Yen, ca. 6,52 Milliarden Euro (2016)
- tritt als reiner Marktplatz auf
- bietet vergleichsweise viele Gestaltungsmöglichkeiten des Shops
- Besonderheit: Die Rakuten Super-Punkte, ein Kundenbindungssystem, an dem jeder Händler teilnehmen muss. Dafür zahlen Händler 1 Prozent Provision an den Anbieter.
Wish
- Umsatz: rund 1 Milliarde US-Dollar
- über 300 Millionen Nutzer weltweit (nach eigenen Angaben)
- Zusatzservices wie Fulfillment by Wish (FBW), WishExpress und ProductBoost
- vor allem für niedrigpreisige Artikel bekannt, die Impulskäufer locken
Etsy
- Umsatz: 603,7 Millionen US-Dollar (2018)
- GMV: 3,93 Milliarden US-Dollar (2018)
- 2,1 Millionen Händler, 39,4 Millionen Kunden
- Plattform für Kunsthandwerker und DIY-Anbieter
- Sortiment: handgefertigte Kreationen, Vintage-Produkte (mindestens 20 Jahre alt), handgemachtes und nicht-handgemachtes Material und Werkzeug
Weitere Plattformen
- Bol.com (Niederlande)
- Allegro (Polen)
- Heureka.cz (Tschechien)
- Ricardo.ch (Schweiz)
- El Corte Inglés (Spanien)
- Fnac Darty (Frankreich)
- Fyndiq.se (Schweden)
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