Was haben Mönchengladbach und Wuppertal gemeinsam? Beide Städte dienten als Pilotprojekt für die oft gewünschte Verknüpfung von stationärem und Online-Handel. Plattformanbieter Atalanda startete schon 2014 die „Online-City Wuppertal“, der Online-Marktplatz zog 2015 mit „Mönchengladbach bei Ebay“ nach. Das Ziel solcher lokaler bzw. regionaler Online-Marktplätze: Die stationären Händler vor Ort und ihre treuen Kunden an und in den E-Commerce führen – und an dem dominierenden Marktplatz Amazon vorbei. Kleinere Geschäfte können einen zusätzlichen Verkaufs- oder Marketingkanal testen und die Käufer lernen im Idealfall die Vorteile von Cross- und Omnichannel kennen, etwa die Produkte im Web aussuchen und vor Ort abholen. So würden nebenbei auch die darbenden Innenstädte wieder belebt. So weit, so gut.

Nach einigen Jahren am Markt blieb der große Erfolg jedoch aus – das sagen zumindest einige Experten und Studien. In einer Untersuchung der Hochschule Koblenz im Jahr 2018 antworteten deutschlandweit 200 Händler, die an solchen lokalen oder regionalen Marktplatz-Modellen teilnahmen, auf eine Umfrage. Das ernüchternde Ergebnis: Der überwiegende Teil der befragten Händler würde von einer Teilnahme abraten. Eine Studie von Ibi Research aus demselben Jahr zeigte jedoch positivere Stimmung: 60 Prozent der befragten Händler auf einem lokalen Online-Marktplatz waren „zufrieden“ oder sogar „sehr zufrieden“ mit ihrer Entscheidung. 

Lokale Marktplätze: „Versuch gescheitert“

Im November 2019 bescheinigte unter anderem der Handels-Experte Professor Gerrit Heinemann den Projekten jedoch einen Misserfolg. „Der Versuch, durch lokale Online-Marktplätze die Innenstädte zu beleben, ist gescheitert. Es fehlt ihnen an allem, was das Einkaufen im Internet wirklich attraktiv macht, von der großen Auswahl bis zu den günstigen Preisen.“ Auch das Kölner Handelsforschungsinstitut EHI sprach den Regional-Plattformen bislang „keine nennenswerte Rolle“ zu.

Das war vor Corona. Dann kam die Krise: Der stationäre Handel musste zeitweise seine Türen schließen oder mit Beschränkungen kämpfen, der E-Commerce stieg an, viele Nutzer und Kunden wollten sich solidarisch zeigen – miteinander, aber auch zum Beispiel mit den leidenden lokalen Ladengeschäften, dem „kleinen Händler um die Ecke“ (falls es den noch gibt). Steigende Online-Nutzung, Hilfsbereitschaft, Lokalpatriotismus – sind das nicht perfekte Bedingungen für einen Auftrieb der anscheinend schwächelnden lokalen Online-Marktplätze? Konnten solche Projekte von der Coronakrise profitieren? Wir haben bei Anbietern und Experten nachgefragt.

Nutzer wollen lokal helfen – aber kaufen bei Amazon

Das Institut für Handelsforschung Köln (IFH) hat mit dem Corona Consumer Check das Einkaufsverhalten auf Marktplätzen über die Coronakrise hinweg ins Auge gefasst. Das Ergebnis für die Lokal-Plattformen ist immer noch – oder wieder – eher beschaulich: Gerade mal zwölf Prozent der Befragten kauften in der Zeit auf einem solchen Marktplatz ein. Gewinner mal wieder: Amazon. Dabei ist der bereits erwähnte Wille durchaus da: Zwei Drittel würden demnach lokalen Anbietern helfen – nur ist der Einkauf auf einer extra dafür geschaffenen Plattform offensichtlich noch nicht der richtige Weg.

© IFH

Problem: Lokale Händler haben kein Warenwirtschaftssystem

Auch Gerrit Heinemann ist immer noch skeptisch. Zwar gebe es durch die Krise ein „regelrechtes Marktplatz-Fieber“ für die Gründung derartiger Portale – unterschiedliche Initiativen hatten schnell eine Vielzahl von ähnlichen Projekten gestartet – doch Erfolgsaussichten dafür würden nach wie vor nicht bestehen, so der Handelsexperte. „Manche dieser Marktplätze sind nicht mal transaktionsorientiert.“ Einer der Hauptgründe für den auch in Coronazeiten anhaltenden Misserfolg: Viele lokale Händler hätten gar nicht die technischen Voraussetzungen. „Laut einer Studie der IHK Bonn besitzen 76 Prozent der nicht-filialisierten lokalen Händler nicht ein mal ein Warenwirtschaftssystem. Wenn ich das nicht implementiert habe, dann sollte ich eigentlich die Finger von einem Online-Marktplatz lassen, das macht keinen Sinn“, erklärt Heinemann.

Lokale Marktplätze wachsen in der Coronakrise

Hoffnung und ein deutliches Wachstum hingegen sieht Patrick Schulte, Gründer und Geschäftsführer des Marktplatz-Anbieters Lozuka. „In der Corona-Hochphase hatten wir drei bis vier mal mehr Bestellungen als sonst. Wir hatten in allen Regionen einen starken Anstieg und haben z.B. in der Region Siegen einen Monatsumsatz von 100.000 Euro für den lokalen Einzelhandel geknackt. An einigen Tagen ist die Anzahl der Bestellungen auf über 100 Lieferungen pro Tag angestiegen“, so Schulte.

Markus Kapler, Geschäftsführer des Anbieters Locamo, bestätigt einen Aufwärtstrend für die lokalen Marktplätze in verschiedenen Bereichen. „Wir konnten während des Lockdowns eine deutlich höhere Anzahl von Händler-Anfragen verzeichnen. Auch das stadtseitige Interesse ist stark angestiegen. Vervielfacht haben sich auch die Umsätze: Die Verkäufe unserer Händler haben sich zum Vormonat um durchschnittlich 30 Prozent gesteigert.“

Ähnlich positive Zahlen kann Atalanda-Chef Roman Heimbold vorweisen: Die Nutzer-Rate sei um 341 Prozent gestiegen, die Transaktionen um 425 Prozent, die Seitenaufrufe gar um 672 Prozent. Absolute Zahlen will er nicht nennen, aber: „Die Plattformen wurden intensiv genutzt“, so Heimbold.

Auch Ebay, das mit seiner Lokal-Rubrik auch Händler vor Ort anzeigt, nennt keine konkreten Zahlen. Der Online-Marktplatz erwartet für das vergangene Quartal einen Anstieg seines weltweiten Handelsvolumens zwischen 23 und 26 Prozent – das deute auch auf einen Erfolg der lokalen und stationären Händlerinnen und Händler hin, wie Daphne Rauch erklärt.

Händler sträuben sich teils noch gegen E-Commerce 

Die Frage ist, ob und wie diese Effekte auch nach Corona anhalten. Viele Experten prognostizieren zwar durch die Pandemie einen Push des E-Commerce – profitieren davon werden aber wohl eher die großen Marktplätze und Webshops. Markus Kapler beobachtet zwar, dass die Kunden weiterhin mehr online einkaufen als vor dem Lockdown – die Nachfrage von Händlern aber verringere sich wieder. „Wir vermuten, dass die Mehrheit der Einzelhändler noch nicht erkannt bzw. akzeptiert hat, dass die Verbindung von Online- und Offline-Handel kein temporäres Mittel zum Zweck ist, um eine Krisenzeit zu überbrücken, sondern längst eine dauerhafte gesellschaftliche Entwicklung darstellt“, so der Locamo-Chef.

Auch Roman Heimbold verweist auf die nötige Innovationsoffenheit: „Egal, ob zu Corona-Zeiten oder nicht, der Grad der Digitalisierung eines lokalen Geschäfts entscheidet über den Grad des Online-to-Offline-Erfolgs, d.h. die Leute online abzuholen und in irgendeiner Weise bei dem stationären Händler zu involvieren“, erklärt der Atalanda-Chef.

Eine der zunehmenden Digitalisierung hinterher hinkende Einstellung und Ausstattung vieler kleiner Unternehmen – in verschiedenen Branchen, nicht nur im Handel – wird aber regelmäßig in verschiedenen Umfragen immer wieder bestätigt.

Gerrit Heinemann

Krisen-Umsatz kann stationären Verlust nicht ausgleichen

Gerrit Heinemann glaubt zudem, dass der kurze Online-Boom in der Krise soweiso nicht ausreicht, um die Verluste der Händler im stationären Geschäft auszugleichen. „Alle regionalen Marktplätze in Deutschland kommen zusammengenommen auf ein GMV (Gross Merchandise Volume = Brutto-Handelsvolumen) von maximal 20 oder eher 10 Millionen Euro pro Jahr – das entspricht dem Umsatz einer gut gehenden Aldi-Filiale. Das ist mit Sicherheit nicht geeignet, dem lokalen Handel so viel Umsatz zuzuführen, wie man in der Krise verloren hat und noch verlieren wird“, so der E-Commerce-Experte.

Generell seien Marktplatz-Gründungen im E-Commerce-Venture-Capital mit das Schwierigste, was es gebe. „Ein Marktplatz lebt von Frequenz, diese Frequenz kommt nicht von alleine, auch nicht durch Lokalpatriotismus, sondern durch massive Investitionen in Online-Marketing“, erläutert der Handelsfachmann. In dem Bereich müsse man für einen Klick mit Kosten von 30 Cent rechnen. Ohne diese Investitionen, unter anderem in Online-Marketing, sehe Heinemann „keine Chance“ für die Zukunft der Lokal-Marktplätze.

Markus Kapler / Locamo

Die Hoffnung für Lokal-Marktplätze

Markus Kapler sieht die Zukunft der lokalen Plattformen etwas positiver, er kennt die genannten und andere Hürden für Marktplatz-Projekte wie seine. Grundsätzlich hätten es rein lokale Marktplätze schwer, eine erfolgskritische Waren- und Informationsvielfalt zu bieten. „Kunden der Online-Giganten sind verwöhnt von großer Auswahl und schneller Lieferung – unabhängig von einer Shutdown-Situation. Da können ausschließlich lokal orientierte Lösungen nicht mithalten – so gut sie auch gemeint sind“, weiß der Locamo-Chef. Trotzdem hat er Hoffnung: „Es gibt aber immer mehr Konsumenten, die nicht auf Auswahl und Bequemlichkeit verzichten wollen, aber dennoch Aspekte wie Regionalität, Nachhaltigkeit und bewusste Unterstützung des lokalen Handels bei ihrem Onlinekauf berücksichtigen wollen.“

Das planen die Marktplatz-Anbieter 

Die Marktplatz-Anbieter Locamo, Lozuka und Atalanda wollen ihre Plattformen weiter ausbauen und setzen dabei unterschiedliche Schwerpunkte.

Um den lokalen bzw. regionalen Fokus zu stärken, hat Locamo etwa das Portal welfenmarkt gestartet, das über die städtische Webseite der Stadt Weingarten erreichbar ist. „Das ist ein gelungenes Beispiel für den Erfolgsfaktor 'lokale Identität'. Innerhalb von drei Monaten nach dem Livegang konnte eine Steigerung der Käufe von 1.100 Prozent verzeichnet werden“, sagt Kapler. Locamo hat im Juni eine Händler-App für einfachere und schnellere Bestellabwicklungen auf den Markt gebracht.

Bei Lozuka soll die Logistik noch umfangreicher integriert und auch die Kommunikation zentral auf der Plattform abgewickelt werden, um nicht mehr auf externe Chat- oder E-Mail-Programme zurückgreifen zu müssen.

Atalanda setzt in Zukunft unter anderem auf ein Stadtgutschein-System: Kunden können solche Gutscheine sowohl online wie offline kaufen und auch auf beiden Wegen einlösen. Außerdem soll der Marktplatz immer mehr zu einer City-Plattform erweitert werden, bei der neben Shopping auch Gastronomie, Dienstleister, Handwerker und Events auftauchen.

Was bedeuten eigentlich die Firmennamen Locamo, Lozuka und Atalanda?

Zum Schluss noch die Auflösung der womöglich aufgekommenen Frage: Wofür stehen eigentlich die mysteriösen Namen der Marktplatz-Plattformen? Man sollte als Gründer bei der Wahl von Firmen- bzw. Modell-oder Marken-Namen bekanntermaßen vor- und umsichtig sein, damit man etwa seine Automarke nicht nach Geschlechtsteilen benennt. 

Locamo steht einfach für „Local and more“, wie Meike Wendt von Locamo offenbart. „Noch besser wäre natürlich eine nicht-englische Erklärung für ein deutsches Unternehmen gewesen, aber gute Ideen sind eben manchmal da, wenn auch auf Englisch.“

Lozuka bedeutet „Lokal Zuhause Kaufen“.

Atalanda rührt von einer Gestalt der griechischen Mythologie her – der „amazonenhaften Jägerin und schnellsten Läuferin Griechenlands“, Atalante. Einen in diesem Fall zufälligen möglichen Bezug zu Amazon klärt Atalanda-Chef Roman Heimbold aber gleich auf – mit einem Tipp dazu: „Wir sehen Amazon nicht als Konkurrent. Amazon ist DIE Plattform für E-Commerce, Atalanda DIE Plattform für Local Commerce. Am besten ist ein Händler auf beiden Plattformen präsent.“