Wie ich zum Marktplatz für die halbe Nachbarschaft wurde – und warum ich es so nie wieder machen würde

Veröffentlicht: 06.09.2024
imgAktualisierung: 06.09.2024
Geschrieben von: Corinna Flemming
Lesezeit: ca. 6 Min.
06.09.2024
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ca. 6 Min.
Frau mit PC und einem Berg an Kleidung
Erstellt mit Dall-E
In der Vergangenheit habe ich gerne und viel für Freunde und Verwandte auf Secondhand-Marktplätzen verkauft. Nicht nur aus rechtlichen Gründen würde ich das so nie wieder machen.


Kleinanzeigen, Vinted, Momox – diese drei Apps sind neben Spotify wahrscheinlich die meistgenutzten auf meinem Telefon. Ich habe in der Vergangenheit schon immer sehr gerne auf verschiedenen Plattformen verkauft, aber seit der Geburt meiner Tochter vor drei Jahren und einem großen Umzug ist es regelrecht zu einem Hobby geworden. Während meiner Elternzeit bin ich systematisch jedes Zimmer in meiner Wohnung durchgegangen und habe alles aussortiert, was nicht mehr gebraucht wurde und jeden noch so kleinen Gegenstand online verkauft. Egal ob Standlupen, Bauch-Weg-Trainer (wem wollte ich mit diesem Kauf eigentlich etwas vormachen?) oder alte und halb kaputte Fahrräder – alles landete entweder zum Verkauf oder zum Verschenken auf verschiedenen Plattformen. Nachdem die Wohnung entrümpelt war, kamen die Sachen meiner Tochter dran: zu klein gewordene Kleidung, nicht genutztes Spielzeug, Bücher. Noch heute räume ich in schöner Regelmäßigkeit nicht mehr gebrauchte Sachen aus und verkaufe sie weiter.

Trauriges Dasein der ungenutzten Schätze

Für mich ist das inzwischen zu einem liebgewordenen Hobby geworden. Es macht mich extrem glücklich, wenn neue Kleidungsstücke, die meine Tochter nur selten anhatte, weiter verwendet werden, außerdem schaffe ich Platz für Neues und der kleine finanzielle Obolus ist natürlich auch nicht zu verachten. Alles, was in meinem Haushalt nicht mehr gebraucht wird, landet innerhalb weniger Tage auf Kleinanzeigen, Vinted oder einer anderen Plattform. Entsprechend kribbelt es in meinen Fingern, wenn mir Freunde oder Nachbarn erzählen, dass sie unheimlich viele Sachen – meist die ihrer Kinder – in Abstellräumen, Garagen oder unter Betten liegen haben und nicht wissen, wohin mit dem Zeug. Auf meine Reaktion, dass es doch so viele Plattformen gibt, auf denen man Gebrauchtes wieder verkaufen kann, kommen meist die gleichen Antworten: Keine Lust oder Zeit, diese zu listen. Diese Argumente kann ich als arbeitende Mama natürlich voll und ganz verstehen, trotzdem macht es mich immer ein bisschen traurig, wenn ich weiß, dass ungenutzte Schätze irgendwo ihr trauriges Dasein fristen. Also habe ich in der Vergangenheit sehr oft und sehr vielen Leuten den folgenden – fatalen – Satz gesagt: Bring mir die Sachen doch vorbei, ich verkaufe das gerne für dich.

Für mich fühlte es sich wie eine Win-Win-Win-Situation an: Ich habe Freude am Verkaufen, andere Menschen freuen sich, günstige Dinge zu erstehen und meine Nachbarn sind ihre Sachen los. Und es lief alles auch sehr gut an. Ich bekam kistenweise Kinderklamotten aus der Nachbarschaft und jeder Verkauf gab mir ein kleines Glücksgefühl. Allerdings merkte ich schon nach wenigen Tagen, dass das ganze Unterfangen doch deutlich aufwendiger ist, als anfangs gedacht.

Das Datingprofil eines T-Shirts

Jetzt stapelten sich nämlich kistenweise Sachen in meinem Zuhause – ein Zustand, den ich ja mit meinem exzessiven Aussortieren und Weiterverkaufen stets vermeiden will. Dann müssen natürlich alle Sachen begutachtet und auf den verschiedenen Plattformen eingestellt werden. Eine unglaublich aufwendige Tätigkeit, denn schließlich braucht es neben guten Fotos auch einen ordentlichen Text, um die Sachen anzupreisen und so an den Mann oder die Frau zu bekommen. Für mich ähnelt diese Tätigkeit immer etwas dem Anlegen eines Datingprofils auf einschlägigen Seiten. Man muss viel Arbeit und Liebe reinstecken, seine Vorzüge deutlich herausarbeiten und natürlich Aufmerksamkeit erzeugen, denn als Käufer weiß ich selber: Schlechte Fotos, unzureichende Informationen oder fehlende Kommunikation sind sowohl auf Secondhand-Plattformen als auch bei Dating-Apps ein Abturner.

Und damit bin ich auch schon beim nächsten Punkt gelandet, den ich in meiner Euphorie, die gute Fee von nebenan zu spielen, komplett vergessen habe: die Kommunikation mit potenziellen Käufern. Denn hat man es erst einmal geschafft, den ganzen Berg an Kinderklamotten ansprechend online zu stellen, geht es mit den Nachrichten los: Fragen wie „Ist die Hose wasserdicht?“, „Welche Spannbreite haben die Schuhe?“, „Sind auf dem Hemd Fussel“ und „Fällt das Kleid eher klein oder groß aus?“ fluteten mit einem Mal mein Postfach. Nun ging es also daran, Kleidungsstücke herauszusuchen, auszumessen, auf Wassertauglichkeit zu testen und und und. Kommt dann der Verkauf tatsächlich zustande, freue ich mich natürlich, muss aber gleichzeitig nicht nur einen Berg von Kartons durchgehen, um etwas Passendes zu finden, sondern auch gleichzeitig die Versandkosten mit den Interessenten verhandeln, das ganze verpacken, zur Post bringen und natürlich stets den Überblick behalten, ob ich das T-Shirt jetzt von Sabine, Katrin oder Melanie bekommen hatte, um die erhaltenen 1,50 Euro auch auf das richtige PayPal-Konto zu überweisen. Denn natürlich nehme ich kein Geld für den Dienst, sondern mache es freiwillig.

Ist das noch privat oder bin ich schon gewerblich?

Dass die Arbeit für 200 Kleidungsstücke im Vergleich zu vorher 20 signifikant mehr ist, habe ich mir vor meinem großzügigen Angebot in der halben Nachbarschaft natürlich so vorher nicht überlegt, ist aber verschmerzbar. Viel wichtiger ist allerdings die Frage, auf die mich selbst erst ein Freund aufmerksam machen musste, der selbstständig tätig ist: Mach ich das ganze eigentlich noch privat oder schon gewerblich? „Wer viele Artikel online zum Verkauf anbietet, geht das Risiko ein, dass die Plattform die Daten an das Finanzamt meldet. Hintergrund ist das Plattformen-Steuertransparenzgesetz“, erklärt Händlerbund-Volljuristin Sandra May den Fall. „Hier kann es dann passieren, dass das Finanzamt mal genauer nachhakt. Ganz allgemein ist es aber nicht verboten, für die gesamte Nachbarschaft Sachen zu verkaufen. Solange man keine Provision einbehält, bleibt es auch bei der Nachbarschaftshilfe.“

Wie aber wird diese Nachbarschaftshilfe rechtlich angesehen – wenn es keine konkreten Absprachen gibt, sondern nur den Konsens, dass Person A etwas für einen beliebigen Preis für Person B verkauft? „Wenn ich etwas für Freunde, Familie oder Bekannte erledige, so mache ich das meistens nicht in der Absicht, mich rechtlich binden zu wollen. Ich mache es aus einer Gefälligkeit heraus“, so die Expertin zu dem Fall. „Juristen sprechen bei solchen Gefälligkeitsleistungen vom fehlenden ‚Rechtsbindungswillen‘. Wenn ich beispielsweise meiner Mutter verspreche, ihre gebrauchten Haushaltsgeräte bei Ebay einzustellen und dies salopp gesagt versemmele, dann hat sie keine Ansprüche gegen mich.“

Die schlechte Bewertung bekommen nicht meine Nachbarn

Etwas komplizierter wird es allerdings, wenn ich etwas innerhalb meines sozialen Umfeldes verkaufe: Grundsätzlich könnte auch das als Gefälligkeitsleistung angesehen werden, gerade, wenn ich nur einen symbolischen Euro nehme oder nach dem Sprichwort „eine Hand wäscht die andere“ eine gegenseitige Gefälligkeitsleistung abgesprochen wird. In aller Regel wird aber tatsächlich ein Kaufvertrag zustande kommen. Das heißt: Ist das Produkt mangelhaft, bestehen auch hier im privaten Rahmen Gewährleistungsrechte. Entsteht ein Schaden, weil ich beispielsweise von dem Mangel wusste, aber nichts gesagt habe, dann mache ich mich haftbar und kann auch verklagt werden.

Wichtig ist außerdem zu wissen: Wenn man Sachen für andere verkauft, geht man einen Kaufvertrag mit dem Käufer ein. Dem ist es im Zweifel auch erst einmal egal, ob man die Sachen für jemanden anderen verkauft oder es die eigenen sind. Sobald man seinen eigenen Account verwendet, schließt man selbst den Kaufvertrag mit der Kundschaft. Das heißt: Wenn die Ware nicht ankommt oder diese eine Macke hat, ist man der erste Ansprechpartner. Auch das sollte man im Hinterkopf behalten. Eine Tatsache, die auch mir nach wenigen Tagen bewusst wurde, denn alle negativen Erfahrungen – auch wenn diese zum größten Teil nicht an mir, sondern an den gewählten Zustellunternehmen lagen – landeten letztendlich als schlechte Bewertungen auf meinem Profil und könnten künftige Verkäufe verhindern.

Fazit: Die Zwickmühle mit dem kleinen Finger

Dass ich mich freiwillig zum Marktplatz für die halbe Nachbarschaft erklärt habe, liegt nun gut sechs Monate zurück. Und ich habe inzwischen meine Lehren gezogen, dies nie wieder in dieser Form zu machen. Das Problem ist nur: Das weiß mein Umfeld noch nicht, denn immer wieder habe ich Beutel voller Kinderklamotten vor der Tür liegen und eine WhatsApp-Nachricht mit dem Hinweis, dass man mir wieder was zum Verkaufen vors Haus gelegt hat. Ich habe bisher einfach noch nicht die richtigen Worte gefunden, um „Macht euren Scheiß künftig alleine“ nett zu formulieren. Deswegen werde ich wohl auch weiterhin Verkäuferin spielen. Nun muss ich aber los, schließlich liegt hier noch ein Berg an Klamotten, der auf den Weiterverkauf wartet.

Veröffentlicht: 06.09.2024
img Letzte Aktualisierung: 06.09.2024
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Corinna Flemming

Corinna Flemming

Expertin für Internationales

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