„Strengere Anforderungen als andere Plattformen“ – Otto verteidigt seine Marktplatzstrategie

Veröffentlicht: 10.10.2024
imgAktualisierung: 10.10.2024
Geschrieben von: Hanna Behn
Lesezeit: ca. 5 Min.
10.10.2024
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ca. 5 Min.
Boris Ewenstein, Otto Bereichsvortstand Retail & Marketplace
Boris Ewenstein, Bereichsvortstand Retail & Marketplace / OTTO
Höhere Gebühren und Kündigungen von Händler:innen – damit machte Otto jüngst Schlagzeilen. Bereichsvorstand Boris Ewenstein nimmt Stellung.


Bei Otto rumort es: Im vergangenen Geschäftsjahr waren die Umsätze im eigenen Handelsgeschäft rückläufig – das Marktplatzgeschäft sorgte hingegen für Wachstum. Dann wechselte der Vorstand für den Bereich des Marktplatzes. Bodo Kipper, damals Bereichsvorstand für Retail & Marketplace, verließ den Konzern im März wegen „unterschiedlicher Auffassungen über die strategische Ausrichtung“. Sein Nachfolger Boris Ewenstein, zuvor unter anderem für McKinsey und Zalando tätig, übernahm ab dem 1. Mai.

Zum 1. August erhöhte der Konzern dann die Provisionen und vor allem die Grundgebühr, letztere stiegen von 39,90 Euro auf 99,90 Euro monatlich an. Weitere Gebührenanpassungen gab es im Oktober. Und diese Teuerung belastet die Händler merklich. „Deutschlands zweitgrößter Onlinemarktplatz steckt tief in der Krise“, schrieb das Handelsblatt – denn Otto habe Hunderte Händler:innen verloren.

Was ist los bei Otto? Boris Ewenstein erläutert Fragen zur aktuellen Strategie.

Versand von Waren direkt aus China führt zur Kündigung

Derzeit verkaufen bei Otto rund 6.500 Partner. Im Vergleich zum Vorjahr sind das 180 Marktplatzpartner mehr. Allerdings haben nach der Anpassung der Nutzungsbedingungen und der damit einhergehenden Erhöhung Provisionen und Grundgebühr etwa 500 Partner den Marktplatz auf eigenen Wunsch verlassen. „Diese haben allerdings nur einen kleinen Teil des Angebots ausgemacht, so dass es umsatzseitig nahezu keine Auswirkungen gab“, erläutert der Bereichsvorstand Boris Ewenstein. Aber auch Otto selbst kündigte einigen Partnern.

Es sei „absolut normal“ im Marktplatzgeschäft, dass Kooperationen „beispielsweise aufgrund unterschiedlicher Interessen beendet werden“, führt er aus. Gründe für Kündigungen seien meist Verstöße gegen die Compliance-Anforderungen. „Beispielsweise aufgrund nachhaltiger Verstöße gegen vertragliche Vereinbarungen, wie zum Beispiel schlechter Kundenservice, aber auch ein Versand von Waren direkt aus China. Verstöße dieser Art dulden wir nicht“, betont Ewenstein. Es kommen auch weiterhin Händler:innen dazu, der Zulauf sei „auf hohem Niveau stabil“. Seit Geschäftsjahresbeginn waren es rund 1.000 neue Händler:innen, neue Partner werden täglich angebunden. „Und die Partner, die wir heute haben, sind im Schnitt produktiver.“ 

Kundenzentriert – darauf kommt es Otto an

Woran genau macht Otto nun die Qualität seiner Partner fest? Die grundlegenden Voraussetzungen für den Zugang zur Plattform haben sich nicht verändert, bestätigt der Marktplatzverantwortliche. „Doch wir schauen bei der Auswahl der Partner deutlich genauer hin, ob diese wirklich zu den Wünschen und Anforderungen unserer Kund:innen passen“, erläutert er. Partner zeichne es aus, „dass sie interessante und qualitativ hochwertige Sortimente, guten Content, schnelles Fulfillment und eine klasse Experience für die Kund:innen generieren“, so Ewenstein.

Weniger interessiert sei die Plattform hingegen an vereinzelten Artikelpositionen. Wie man es schon von Amazon kennt, steht auch bei Otto die Kundschaft klar im Fokus – denn diese sorgt letztlich für den Umsatz. Es geht darum, die Kund:innen glücklich zu machen. „Und wer das macht, kann auf otto.de in einem hochwertigen, kundenzentrierten Umfeld wirtschaftlich sehr erfolgreich operieren.“

Für diese Kundenzufriedenheit ist es Otto wichtig, wer auf dem Marktplatz handelt: „Wir stellen strengere Anforderungen an Händler, die auf unserem Marktplatz verkaufen wollen, als andere Plattformen es tun“, führt Ewenstein aus. Nicht die Größe des Partners entscheidet, sondern dessen Leitungsportfolio und den Kundenservice. Ganz konkret betrifft das etwa die Einhaltung der Lieferaussage oder die Bearbeitung der Retouren. Und das jeweilige Angebot sollte bestehende Sortimente „sinnstiftend ergänzen oder aber um ganz neue Facetten erweitern“. Die starken Kategorien sind Technik, Mode sowie Home & Living. Mithilfe der Partner wolle man auf dem Marktplatz vielfältiger und besser in der Angebotstiefe werden.

Höhere Grundgebühr als Anreiz für Partner

Nach dem Verlust vieler Händler:innen fragt man sich in der Branche und unter Händler:innen aber auch: Steckte hinter dieser Gebührenerhöhung eine Strategie? Boris Ewenstein zeigt Verständnis dafür, dass Gebührenerhöhungen selten auf große Gegenliebe stoßen. „Auch für einige kleinere Partner kann diese eine Herausforderung sein“, weiß er. Doch der Großteil könne es sich leisten: „Im Durchschnitt machen unsere Partner allerdings mehrere hunderttausend Euro GMV auf unserer Plattform.“ Otto biete im Vergleich zu anderen großen Marktplätzen den Vorteil einer geringeren Konkurrenz durch insgesamt weniger aktive Händler:innen. Die Gebühr will er eher als Anreizsystem verstanden wissen, „dass Partner mehr von ihrem besten Sortiment und Content auf Otto einstellen und somit erfolgreich werden und die Gebühr schnell gedeckt ist.“ Sie komme außerdem dem Ausbau der Plattform zugute.

Für viele Händler:innen ist das neue Gebührenmodell jedoch vor allem mit Blick auf die bei Otto vergleichsweise sehr hohe Retourenquote problematisch. In der Regel müssen sie ihre Preise erhöhen, sodass Kund:innen, die Preise vergleichen, im Zweifel woanders kaufen. Oder aber sie senden die Produkte zurück, weil sie für den höheren Preis auch eine bessere Qualität erwartet haben – wodurch weitere Verluste entstehen. „Ein Teufelskreis“, kommentiert ein Händler im Sellerform.

Ewenstein hörte in Gesprächen mit Partnern in den vergangenen beiden Wochen aber eher andere Kritik zur Gebührenerhöhung. „Allerdings ging es dabei nicht um deren Höhe, sondern eher darum, wie wir die Anpassungen kommunizieren, damit unsere Partner Planungssicherheit haben. Hier wollen wir in Zukunft besser und für unsere Partner ‚planbarer‘ werden“, räumt er ein.

Qualität – auch in Abgrenzung zu Temu, Shein & Co. 

Neben der Gebührenanpassung hat Otto weitere Neuerungen auf dem Marktplatz vorgenommen. Im Sommer wurde etwa auch angekündigt, dass bestimmte Marken einem Nachrückermodell unterliegen. Verkäufe dieser Marken erfolgen zunächst vom Händler Otto selbst, erst im Anschluss werden Produkte von Marktplatzpartnern angeboten. „Es klingt wie das neue Amazon“, erklärte ein Händler dazu gegenüber OHN. Laut Otto handele es sich dabei aber um eine Win-Win-Win-Situation für Betreiber, Händler und Kundschaft: „Unsere Zielgruppe ist markenaffin“, erklärt der Marktplatzverantwortliche. „Unser Interesse ist es daher, starke und attraktive Marken für die Plattform zu gewinnen und hier zu halten. Das Ziel des Nachrückermodells ist es, erfolgreichen Brands weitere Anreize zu vermitteln, ihre möglichst vollständigen Sortimente bei Otto zu verkaufen. Das sorgt dafür, dass wir Kollektionen, Linien und Label bekommen, die ihre Ware sonst vielleicht nicht online verkaufen würden.“

Otto gehe es mit diesen Strategien um Relevanz, Verlässlichkeit und Qualität – insbesondere auch mit Blick auf die neuen Wettbewerber aus Asien wie Temu und Shein. Für Ewenstein ist klar: „Durch die Preise, die diese Anbieter setzen, hat sich die Situation für alle Marktplatzbetreiber merklich verändert respektive verschärft. Darauf müssen wir reagieren.“  Auch Otto wolle der Kundschaft Produkte zu niedrigen Preisen anbieten, „aber nicht zu Lasten der gebotenen Qualität“, betont er. „Alles andere würde auch unserer Reputation schaden. Folglich achten wir, wie gesagt, auch bei unseren Partnern auf Relevanz und einwandfreie Leistung – und halten dies nach.“

Veröffentlicht: 10.10.2024
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Hanna Behn

Hanna Behn

Hanna analysiert Trends im digitalen Handel und beleuchtet Leadership-Themen sowie persönliche Geschichten aus dem Alltag von Händler:innen.

KOMMENTARE
5 Kommentare
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Thomas
17.10.2024

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Meinem Unternehmen wurde von Otto gekündigt. Der Grund hiess "Strategische Neuausrichtung". Ich lasse das so stehen, kann auch ohne Otto leben, aber ein zuverlässiger Partner ist das nicht. Zumal nach Kündigung die Gelder eingefroren wurden und selbst nach den vereinbarten 80 Tagen erst nach Aufforderung ausbezahlt wurden. Service also ganz schlecht. Ich habe die Mitarbeiter von Otto bei der JTL Connect angesprochen, wieso sie den werben weil sie werfen ja Partner ohne Grund wieder raus. Die Mitarbeiter waren bemüht zu klären, woran es den speziell bei mir gelegen hätte, konnten aber nichts finden. Man wolle sich bei mir melden hiess es. So konnte die peinliche Situation erstmal beendet werden, aber gemeldet hat sich nie jemand. Ich kenne noch 2 Händler denen es genauso ging. Auch Amazon behandelt seine Händler wie Mist, kann sich das aber wohl auch leisten. Otto will da vielleicht hin, aber ich denke vorher geht es den Bach runter. Verdientermaßen.
Marten
12.10.2024

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Dann müsste Otto ja erst mal bei seinen Mangelhaften Versanddienstleister anfangen. Denn schlechteren Service als bei Hermes gibt es wohl kaum.
Andreas M.
11.10.2024

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"Kundenzentriert – darauf kommt es Otto an" -- naja da habe ich erst letzte Woche anderes erfahren. Wollte ein Kaffeemaschine für meine Firma kaufen, auf die Firmenadresse. Bestellung getätigt und 5min später wurde sie storniert? Nun gut dachte ich, vorausgewählt war Kauf auf Rechnung, dann machen wir eben eine neue Bestellung und zahlen gleich per PayPal. Jedoch war dann plötzlich gar keine Bestellung mehr möglich. In der Stornierungsmail stand aufgrund des Zahlungsdienstleister (Otto Payment GmbH) storniert. Dann angerufen wo denn das Problem ist, weiterverbunden worden und nochmals weiterverbunden worden (10min sind bereits rum). Als Antwort kam dann das es Unstimmigkeiten gibt und sie zur Prüfung eine Kopie meines Personalausweises benötigen!! Wie bitte? Sie müssten die Adressen überprüfen, auf den Hinweis das auf meinem Perso ja nicht meine Firmenadresse steht kam dann nur kalt die Antwort, dann können sie nicht bei OTTO bestellen! Ich bin nun seit über 12 Jahren Selbstständig und habe in dieser Zeit unzählige mahle Waren für die Firma gekauft, noch nie mit Problemen. Etwas derartiges habe ich noch nie erlebt! Kundenzentriert ist was anderes. Als Anmerkung, nun ist mein Konto bei Otto gesperrt bis ich eine Kopie meines Persos einreiche!
KI
11.10.2024

Antworten

Meinung: OTTO / Boris Ewenstein Ich will ich will ich will mehr kommt nicht rüber! Der Kunde und alle Händler brauchen eine Plattform die auch den technischen Ansprüchen gerecht wird! Nichts was Otto bietet kommt an alle heran. Der gesamte Händlersupport ist noch schlechter als bei Amazon - das muss man erst einmal schaffen! Wo sind die Produktvideos? Wo erscheinen die Händlerprodukte auf Otto in der google Suche? Bodo Kipper weiß genau weshalb er OTTO verlassen hat! "Höhere Grundgebühr als Anreiz für Partner" ja das stimmt! Viele suchen bereits nach weiteren Absatzkanälen und geben ihre Werbegelder auf anderen Plattformen aus. TIK TOK, Temu YouTube usw. Uns war nicht bekannt das es "einen international erfahrenen und transformations-erprobten Manager" braucht um die OTTO Plattform weiter zu schwächen und gegen die Wand zu fahren. Diese Art der Preiserhöhung erinnert doch auch sehr an die DHL Group. Schade - nach MyToys wieder eine deutsche Plattform die durch fehlendes Fachpersonal und Inkompetenz im OTTO Konzern verloren geht.
verkäufer
11.10.2024

Antworten

was in der Politik gang und gäbe ist (Habeck - Heizungsgesetz) funktioniert auch hier. Es wird die Schmerzgrenze ausgelotet. Manche gehen, andere kuschen und bleiben. Wenn neue kommen, die wissen was Ihnen blüht, so hat man nach einem Jahr das Händlervolk, das man will. Dieses Interview mit Herrn Ewenstein hätte man auch mit sich selbst führen können - alles super, was will man mehr.