Wenn der Kunde bestellt hat, aber keine Ware mehr da ist, kann das zu großen Sorgenfalten bei Online-Händlern führen. Gerade in der Corona-Krise oder zuletzt bei der Blockade im Suez-Kanal wurde deutlich, wie sich Probleme und Störungen in den Lieferketten auf den Endkunden auswirken. Wie Online-Händler damit umgehen können, erklärt Nicklas Spelmeyer im Interview mit Onlinehändler News. Nicklas Spelmeyer ist Geschäftsführer von Spelly Trade. Das Berliner Unternehmen berät nach eigener Angabe rund 300 Kunden zum Verkauf bei Amazon. Im Interview erklärt Spelmeyer, wieviel Zeit-Puffer Händler bei ihrer Ware haben sollten, worauf man bei alternativen Bezugsquellen achten sollte und warum Verkäufer asiatischen Herstellern künftig den Rücken kehren könnten.
Onlinehändler News: Durch die Corona-Krise oder Vorfälle wie im Suez-Kanal kommt es vermehrt zu Lieferschwierigkeiten für Händler. Was sollten Händler als Erstes tun, wenn sie mit verspäteter Ware rechnen müssen?
Nicklas Spelmeyer: Wenn die Ware bereits verspätet ist, kann man im Grunde nichts mehr machen. Man sollte aber für die Zukunft einen größeren Puffer einplanen. Bei Bestellungen aus Fernost, die längere Lieferzeiten haben, erscheint es sinnvoll, größere Warenbestände einzukaufen. Die Höhe des Warenbestandes sollte einen Puffer von 30 bis 35 Tagen ermöglichen. Als Händler muss man natürlich abwägen, wie viel Kapital man zusätzlich investieren möchte. Es ist eine Abwägung zwischen Chance und Risiko. Man kann das Risiko mindern, indem man mehr Ware kauft. Das ist allerdings schlecht für den Cashflow, weil dadurch Ware herumliegt, die eigentlich schnell bei einem Kunden sein sollte. Meine Empfehlung für einen Puffer sind dennoch 30 Tage.
Online-Händler sollten in Krise zweite Bezugsquelle bereit haben
Was ist, wenn zunächst unklar bleibt, ob und wann die Ware geliefert wird? Sollten Händler kurzfristig nach einer anderen Bezugsquelle suchen? Oder sollte sie den Kunden vertrösten und ihn eventuell mit Gutscheinen oder Rabatten an sich binden?
Wenn es zu Schwierigkeiten bei der Lieferung kommt, die zu extremen Verzögerungen führen, wäre es natürlich sinnvoll, eine alternative Bezugsquelle zu haben. Ist die Verzögerung bereits eingetreten, scheint es allerdings wenig erfolgversprechend zu sein, mit der Suche nach einem anderen Lieferanten zu beginnen. Die Ware würde am Ende noch später beim Kunden eintreffen. Die Lösung kann also nur darin liegen, für alle Produkte eine zweite Bezugsquelle parat zu haben, damit man beim ersten Anzeichen von Schwierigkeiten kurzfristig umdisponieren kann. Eine zusätzliche Sicherheit erhält man, wenn sich die alternative Bezugsquelle nicht in der gleichen Region befindet. Kauft man die Produkte in China ein, könnte man schauen, ob sie vielleicht auch in Vietnam angeboten werden.
Fracht- und Lieferkosten steigen immer mehr. Wie können Händler generell bei der Logistik Geld sparen?
Meine Prognose lautet, dass die Fracht- und Lieferkosten in Zukunft noch viel teurer werden. Es ist somit eine gute Idee, an dieser Stelle nach Einsparpotenzial zu suchen. Eine Möglichkeit für Einsparungen besteht darin, die Container richtig zu füllen. Es geht also darum, den Platz konsequent auszunutzen. Das ist allerdings der einzige Tipp, den man hinsichtlich der Logistik geben kann. Wenn es dort wenig Chancen zur Einsparung gibt, sollte man den Hebel an anderer Stelle ansetzen. Man muss eben beim Verkauf mehr Geld einnehmen, um die Kosten für die Logistik auszugleichen. Hat man qualitativ hochwertige Produkte, die beim Kunden gefragt sind, fällt der Ausgleich natürlich leichter.
Darum wird Asien als Produktionsland künftig unwichtiger
Die Corona-Krise zeigt die Anfälligkeit vieler Lieferketten, insbesondere aus Asien. Müssen Händler mit Produkten aus dem asiatischen Raum jetzt auf andere Herstellungsregionen umschwenken?
Das ist eine interessante und wichtige Frage. Die Folgeerscheinungen der Pandemie verursachen tatsächlich große Probleme. Aufgrund der Lockdowns kam es weltweit zu einem Zusammenbruch der Lieferketten. Das merkt man beispielsweise in der Baubranche oder in der Tourismusbranche. Es gibt viele kleine Punkte, an denen man den Ausfall bemerken kann. Ich nenne das gern einen Just-in-time-Zusammenbruch. Es ist wirklich ein weltweites Phänomen, von dem sämtliche Regionen betroffen sind. Trotzdem dürfte es sinnvoll sein, sich in Regionen außerhalb Asiens umzusehen. Dabei geht es allerdings weniger um die Pandemie als um die Folgen von Rationalisierungsprozessen. Ich wage die Prognose, dass es mittel- und langfristig wieder interessanter wird, in der näheren Umgebung nach Bezugsquellen zu suchen. Aufgrund der fortschreitenden Robotertechnik werden Personalkosten in Zukunft eine geringere Rolle spielen. Der Vorteil Asiens ist somit im Abnehmen begriffen.
Amazon FBA fiel zuletzt durch die Auffüllbeschränkungen und die Kritik daran auf. Warum sollten Online-Händler FBA trotzdem nutzen? Welche Alternativen empfehlen Sie?
Die Auffüllbeschränkungen sind natürlich ärgerlich für die Händler. Im Besonderen für Händler, die sehr viele Produkte im Sortiment haben. Sie sind unter den gegenwärtigen Verhältnissen kaum dazu in der Lage, die gesamte Palette ihrer Produkte anzubieten. Wir wissen allerdings, dass Amazon gegenwärtig an seinem Algorithmus arbeitet. Und es ist eine klare Verbesserung zu erkennen. Eine Alternative in der Hinterhand zu haben, ist aber immer ein guter Gedanke. Das bedeutet in diesem Fall, auf ein eigenes Fulfillment zu setzen oder einen Partner zu wählen, der über Amazon liefern kann. Solche Partner findet man in Deutschland durchaus und höhere Kosten fallen dort kaum an. Mit einem größeren Aufwand ist zunächst zu rechnen. Dafür kann man unbegrenzt Ware lagern, denn Auffüllbeschränkungen gibt es bei diesen Partnern nicht. Sollte es dann zu Problemen bei Amazon kommen, kann man die Schwierigkeiten leicht aussitzen.
Vielen Dank für das Gespräch!
In einem Extra-Beitrag erklären wir, was rechtlich passiert, wenn die Lieferzeit an den Kunden überschritten wird.
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