In den Wochen vor und nach dem 1. Juli sorgte die EU-Umsatzsteuerreform für Unruhe im E-Commerce. Viele Händler, die vorher noch gar keine Berührung mit diesem Thema hatten, wurden durch die Vereinheitlichung der Lieferschwellen plötzlich im EU-Ausland umsatzsteuerpflichtig. 

Doch der grenzüberschreitende Handel innerhalb der EU ist nicht der einzige Bereich, in dem die bisherigen Regeln fast radikal geändert wurden. Auch beim Versandhandel über die EU-Grenzen hinweg gibt es einschneidende Veränderungen. Was das für deutsche Online-Händler bedeutet und vor allem, was in der nahen Zukunft noch auf Händler zukommt, haben wir Christian Deák, Steuerberater der DHW Steuerberatungsgesellschaft, im Interview gefragt. 

Jede Sendung braucht jetzt eine schriftliche Zollanmeldung

OnlinehändlerNews: Herr Deák, können Sie uns einen Überblick darüber geben, was sich seit dem 1. Juli für deutsche Online-Händler und Verbraucher geändert hat, die Waren von außerhalb der EU einkaufen?

Christian Deák: Waren aus Nicht-EU-Ländern konnten bisher ohne eine elektronische oder schriftliche Anmeldung beim Zoll eingeführt werden, wenn der Sachwert der Warensendungen 22 Euro nicht überschritt. Dann wurden auch keine Zollangaben oder die Einfuhrumsatzsteuer fällig. Seit dem 1. Juli gibt es diese Freigrenze nicht mehr. Für jede Wareneinfuhr in die EU muss nun ab dem ersten Cent Einfuhrumsatzsteuer gezahlt werden, es sei denn, die Steuerabgaben würden unter einem Euro liegen. Dann verzichtet der Zoll aus Vereinfachungsgründen auf die Erhebung der Steuer. Außerdem gilt weiterhin die Ausnahme, dass private Geschenksendungen bis zu einem Sachwert von 45 Euro von der Einfuhrumsatzsteuer ausgenommen sind. 

Zählen auch die Versandkosten zum Sachwert der Warensendung, auf dessen Grundlage die Einfuhrabgaben berechnet werden? 

Bei kommerziell genutzten Waren ist der Sachwert eigentlich nur der Preis der Waren, ohne die Versand- und Versicherungskosten. Wenn also auf einer Rechnung mit einem Gesamtrechnungsbetrag von 180 Euro der Warenwert klar mit 140 Euro angegeben ist und die Frachtkosten mit 40 Euro, dann sind die 140 Euro eindeutig als Sachwert bestimmbar. Gibt die Rechnung keine eindeutige Trennung von Waren- und Versandkosten an, dann wird der Gesamtpreis, also 180 Euro, als Sachwert genutzt, mit dem Zoll und Einfuhrumsatzsteuer berechnet werden.  

Eine neue Anwendung soll die Wareneinfuhr vereinfachen – aber erst ab 2022

Die Abschaffung der Einfuhrumsatzsteuer-Freigrenze sorgt also dafür, dass für alle Sendungen aus einem Drittland in die EU jetzt eine elektronische Zollanmeldung verpflichtend ist. Ab 2022 soll die Anwendung ATLAS-IMPOST hier Abhilfe schaffen. Wie kann man sich das vorstellen?

Bisher ist es meistens so, dass Kurierdienste oder Transportdienstleister diese Zollanmeldung vornehmen und sich um den Prozess kümmern. Alle Unternehmen und Privatpersonen, die sich bei der zoll- und einfuhrumsatzsteuerrechtlichen Abwicklung für ihre bestellten Sendungen aber nicht vertreten lassen wollen – etwa aus Kostengründen – können ATLAS-IMPOST nutzen, sobald es verfügbar ist.

ATLAS-IMPOST ist eine Fachanwendung vom Zoll, mit der Unternehmen, aber auch Privatpersonen, ab Beginn nächsten Jahres die Importabfertigung von Post- und Kuriersendungen selbst anmelden können, wenn der Sachwert der Sendung nicht mehr als 150 Euro beträgt. Generell wird durch ATLAS-IMPOST die elektronische Kommunikation mit der Zollverwaltung für Privatpersonen und Unternehmer ermöglicht und man kann Mitteilungen erhalten, ob für eine Lieferung Warenkontrollen durch den Zoll vorgesehen sind. 

Im Vergleich zur Standardzollanmeldung müssen bei dem neuen Verfahren ATLAS-IMPOST weniger Daten angemeldet werden. Hauptsächlich heißt das, dass dann nur die Tarifierung der Waren mit 6 Stellen erforderlich ist, statt der sonst üblichen 11 Stellen. Ausnahmen sind allerdings verbrauchsteuerpflichtige Waren, wie alkoholische Getränke, Parfüm oder Tabakwaren.

Leider ist ATLAS-IMPOST nicht fristgerecht zur Verfügung gestellt worden. Nach jetzigem Stand wird es erst am 15. Januar 2022 verfügbar sein. Bis dahin können Online-Händler ihre Zol­lan­mel­dun­gen prin­zi­pi­ell über die bisherige AT­LAS-Anwendung als Ein­zel­zol­lan­mel­dung ab­ge­ben. 

Dropshipping lohnt sich nicht mehr

Haben diese Änderungen Auswirkungen auf das Dropshipping? 

Beim Dropshipping und der Einfuhr von Waren von Großhändlern aus Nicht-EU-Ländern wie China wurde in der Vergangenheit ein erheblicher Teil der Sendungen als Geschenke oder mit einem zu geringen Warenwert deklariert, um die Steuerfreigrenze zu unterschreiten. Das Vorgehen war mit einem enormen Mehrwertsteuerbetrug und Steuerausfall verbunden. Mit dem Wegfall der 22-Euro-Grenze für Warenimporte aus Drittländern werden Dropshipping-Händler und Versandhändler aus Drittländern, die bisher keine bis kaum Einfuhrumsatzsteuer gezahlt haben, künftig zur Kasse gebeten werden. Faktisch ist Dropshipping noch immer möglich, hat aber seine wirtschaftliche Lukrativität weitestgehend verloren.

Import-One-Stop-Shop oder Special Arrangement – wer schuldet die Einfuhrumsatzsteuer?

Um die Einfuhrumsatzsteuer korrekt abzuführen, können Online-Händler jetzt den Import-One-Stop-Shop (IOSS) nutzen. Wie funktioniert dieses Verfahren?

Was seit dem 1. Juli das One-Stop-Shop-Verfahren (OSS) für den grenzüberschreitenden Handel innerhalb der EU ist, ist das IOSS-Verfahren für Waren, die von außerhalb der EU eingeführt werden. Es wurde als Alternative für Unternehmen zur Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer für Warensendungen bis 150 Euro geschaffen. Anmelden kann man sich für das Verfahren in Deutschland beim Bundeszentralamt für Steuern. 

Das sieht in der Praxis wie folgt aus: Bei Teilnahme am IOSS-Verfahren wird die Einfuhrumsatzsteuer bereits in der Rechnung an den Käufer in der EU ausgewiesen. Im Zuge der Zollanmeldung muss nur die IOSS-Mehrwertsteuernummer des Unternehmens und in dem Feld „EU-Code“: C07+F48 angegeben werden. Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer ist dann das für das IOSS-Verfahren registrierte Unternehmen.

Alternativ können Unternehmen, die nicht am IOSS teilnehmen wollen, eine Sonderregelung nutzen, das sogenannte „Special Arrangement“. Dabei wird die Einfuhrumsatzsteuer nicht durch den Käufer in der EU geschuldet, sondern von der Person, die die Waren gestellt oder angemeldet hat. Das wird dann in der Regel Post- und Kurierdienste sowie Speditionen betreffen.

Diese Fehler sollten Online-Händler beim Warenimport vermeiden

Die Themen Steuern und Zoll sind für viele Online-Händler und gerade junge Unternehmen oftmals unübersichtlich und kompliziert. Welche Tipps können Sie Händlern geben und worauf müssen Händler besonders achten? 

Das vermutlich größte Problem für die Unternehmen stellt die Ermittlung des richtigen Umsatzsteuersatzes der jeweiligen EU-Staaten dar. Hierbei kann ein Blick in das Warenverzeichnis weiterhelfen. Die Warennummern sind das zentrale Ordnungsmerkmal im internationalen Handel. Darin werden Waren nach ihrer technischen Beschaffenheit klassifiziert und erhalten eine entsprechende Warennummer, die Zolltarifnummer. Mithilfe der Warennummer können die Zollsätze und Umsatzsteuersätze des jeweiligen anderen EU-Staates festgelegt werden. Im Warenverzeichnis können aber auch Ein- und Ausfuhrbeschränkungen und die gegebenenfalls notwendigen Dokumente eingesehen werden.

Die exakte Bestimmung der Zolltarifnummern ist dabei einer der wichtigsten Punkte im Importprozess. Dabei sollten Online-Händler Abstand von der gängigen Praxis des einfachen Durchklickens nehmen. Die Zolltarifnummer ist ein ausschlaggebendes Kriterium, inwieweit der Zoll Importe bereits an der Grenze oder in nachträglichen Zollprüfungen kontrolliert. Falsch bestimmte Zolltarifnummern können Herausforderungen mit dem Zoll nach sich ziehen, wie häufigere Zollprüfungen oder häufigeres Zollbeschauen beim Import.

Zudem sind nicht selten die beim Zoll eingereichten Dokumente fehlerhaft. Einfache Fehler können neben einer falschen Zolltarifnummer auf den Zolldokumenten schnell zu einer ungewollt hohen Anzahl von Kontrollen führen und Streitigkeiten beim Import oder im Zuge der Zollprüfung mit dem Zollprüfer auslösen. Mit Einführung des neuen Verfahrens ATLAS-IMPOST ist von einer Häufung von Zollprüfungen auszugehen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Steuerberater Christian Deák ist Master o. A. Taxation. Er ist zusätzlich qualifiziert als Fachberater für Umstrukturierung, zertifizierter Berater für E-Commerce und Nachfolgeplanung. Für die Steuer-Fachschule Dr. Endriss leitet Herr Deák den Qualifizierungslehrgang Tax-Specialist E-Commerce und ist Studienleiter des FAIT-Lehrgangs.