Wenn Waren nicht – oder nur verspätet – ankommen oder Transportpreise derart steigen, dass Händlermargen schrumpfen, hat dies sowohl kurz- als auch mittelfristig negative Auswirkungen auf die Geschäftsentwicklung.
Derzeit sind Lieferketten enormem Druck ausgesetzt: Hafenschließungen und dadurch ausgelöste Schiffstaus in China erschweren den Export und haben Containermangel und höheren Frachtraten zur Folge. Massive Schäden an der Infrastruktur durch die Flut oder auch Bahnstreiks bei gleichzeitig hoher Nachfrage nach Waren in der E-Commerce-Branche verschärfen die Situation in der Warenbeschaffung. All das hat womöglich bereits Auswirkungen auf das diesjährige Weihnachtsgeschäft.
Wie sollten sich Händler in dieser Situation, aber auch präventiv aufstellen? Dem Supply-Chain-Experte Sven Kromer, Managing Partner beim Management- und Strategieberatungsunternehmen Kurt Salmon/Accenture, zufolge gilt es zunächst einmal, zu differenzieren: So gibt es auf der einen Seite Veränderungen des Marktes, etwa die Verschiebung von Nachfrage oder Angebot zu bestimmten Zeiten. Auf der anderen Seite gibt es die externen Schocks – derzeit etwa Lockdowns, Streiks, Staus oder havarierte Schiffe – die sowohl die Nachfrage als auch die Lieferfähigkeit unvorbereitet beeinflussen können. Während bei Änderungen am Markt eine gute Planung hilft, nützt bei zweiterem Krisenmanagement. Was das konkret bedeutet und wie es funktioniert, veranschaulichen die nachfolgenden Tipps.
1. Frühzeitige Planung mit allen Beteiligten
Bei den Verschiebungen von Angebot und Nachfrage hilft eine bessere Planung, durch die notwendige Kapazitäten frühzeitig gesichert werden. Dafür eignet sich aus Sicht des Lieferkettenfachmanns eine langfristige und taktische rollierende Planung des Bedarfs. Mit anderen Worten: Eine bereits erfolgte Planung sollte nach bestimmten Zeitintervallen aktualisiert, konkretisiert und überarbeitet werden. So lassen sich stets auch neue Entwicklungen berücksichtigen. Aus dem Bedarf ergibt sich zudem, dass Kapazitäten geblockt werden, die dann auch bei der Abnahme der Waren verpflichtend sein müssen, rät Kromer.
„Ein unverbindlicher Austausch von Kapazitätsinformationen bringt nicht die gewünschten Effekte, weil Risiken bzw. Kosten nicht ausbalanciert sind“, führt er aus. Die Planung sollte somit direkt mit verschiedenen Partnern entlang der Supply Chain gesteuert werden – also bereits mit Materiallieferanten oder Sub-Dienstleistern im Transportbereich – statt nur direkt mit Fertigwarenlieferanten oder 4PL-Providern, sprich Dienstleistern, die die logistischen Abläufe eines Unternehmens koordinieren. „Auch die kurzfristige, auftragsbezogene Planung und Steuerung sollte an die jeweils aktuelle Situation angepasst werden, beispielsweise die Verlängerung des Zeitraums für die Containerbuchung.“
2. Größere Lieferantenbasis aufbauen
Gegen plötzliche Schockereignisse, die sich auf die Lieferfähigkeit auswirken, könne man sich indes nur durch aktives und präventives Risikomanagement schützen. „Dazu gehört zum Beispiel ein breiteres Portfolio an Alternativlieferanten und Dienstleistern, auch regionenübergreifend, um sich gegen mögliche Ausfälle abzusichern.“
Allerdings gibt Kromer zu bedenken, dass damit gegebenenfalls höhere Einkaufspreise oder Logistikkosten einhergehen – aus der Gesamtkostenperspektive verhalte sich dies aber letztlich anders: „Um die Total Costs richtig zu beurteilen, müssen auch bewertete Risiken mit in die Gleichung einbezogen werden.“
Laut einer aktuellen Umfrage des ifo-Instituts tun sich Unternehmen noch schwer damit, nationale Lieferketten zu nutzen – nur jedes zehnte Unternehmen wolle vermehrt auf die heimischen Warenströme setzen. Doch ein gänzlicher Fokus auf lokale Lieferketten sei auch nicht zwingend nötig. Stattdessen rät Kromer, eine gute Balance zwischen Asien und Europa zu schaffen.
3. Rahmenverträge, die eine hohe Flexibilität bieten
Bei Rahmenverträgen mit Herstellern oder Importeuren brauche es viel Flexibilität – während gleichzeitig die Balance zur Verbindlichkeit zu halten sei. „Ein möglicher Weg sind Rahmenverträge mit rollierenden und schrittweise konkreter werdenden Kapazitätszusagen“, so Kromer.
Solche Rahmenverträge sollten darüber hinaus Flexibilitätsklauseln für die Phase nach der Auftragsplatzierung enthalten, dazu zählen etwa Möglichkeiten zur Verschiebung von Lieferterminen oder auch der Liefermengen. „Darauf sollten Unternehmen gerade jetzt besonders achten“, betont Kromer.
4. Containerkapazitäten: Bei Buchung Zeitpuffer einbauen
Containerkapazitäten sind derzeit vor allem akut knapp – kurzfristigen, ad-hoc Störungen ist nur mit Krisenmanagement beizukommen. Mittelfristig müsse es ein systematisches Risikomanagement geben, damit man auf Kapazitätsengpässe möglichst vorbereitet ist und schneller reagieren kann, wenn etwas knapp wird. Das gilt sowohl für plötzliche Störungen als auch für eine zeitraumbezogene Verschiebung der Nachfrage bzw. des Containerangebots.
Hilfreich ist dabei eine Überarbeitung der auftragsbezogenen Terminplanung. „Hier lassen sich zur Berücksichtigung spezifischer externer Risiken fallweise Puffer in die Terminschienen einbauen, z. B. bei der Buchung, im Vorlauf oder der Konsolidierung von Containern“, lautet der Expertenrat. Diese Maßnahme könne man auch kurzfristig umsetzen. „Auf längere Sicht gesehen, wäre auch die Zusage stärkerer mengenmäßiger Commitments direkt bei den Vertragsabschlüssen sinnvoll. So könnten Abnahmemengen besser gesteuert werden.“
5. Systematisches Risikomanagement als Schlüssel
Um momentan mit den Unsicherheiten im globalen Welthandel umzugehen, sei Risikomanagement der Schlüssel, betont Sven Kromer: „Damit Unternehmen sich hier besser aufstellen und künftig weniger anfällig gegenüber diesen Risiken sind, müssen sie systematischer analysieren und die Situationen bewerten. Allerdings gibt es bis dato wenige Handelsunternehmen, die dafür eine klare, funktionsübergreifende Verantwortlichkeit haben.“
Risikobewertungen gebe es derzeit zwar schon in der Logistik bzw. im Sourcing sowie im Finanzbereich – doch fehle es dabei an funktionsübergreifender Abstimmung. „Stattdessen wird weiterhin in Silos analysiert und bewertet.“ Dadurch seien frühzeitige Reaktionen auf zu erwartende Risiken beinahe unmöglich.
In der Risikoanalyse und -bewertung müssen potenzielle Probleme systematisch klassifiziert werden – nach Eintrittswahrscheinlichkeit und Effekthöhe. Nur so lassen sich kritische Verhältnisse früh erkennen, priorisieren und es kann ihnen mit konkreten Maßnahmen entgegengewirkt werden. Dafür brauche es zwingend technologische Unterstützung – zur Simulation oder zum permanenten, datenbasierten Beobachten relevanter Entwicklungen. „Es geht hier immerhin um Millionen von Daten bzw. Informationen, die man auswerten und die richtigen Schlüsse ziehen muss.“ Deshalb sind Qualität und Transparenz sämtlicher Daten – interne wie externe – eine Grundvoraussetzung für funktionierendes Risikomanagement.
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