Im Sommer isst jeder gern Eis, klar. Aber warum ist auch Milch ein Verkaufsschlager bei hohen Temperaturen? Thomas Michahelles von wetter.com beschäftigt sich mit der Analyse von Wetter-Daten und deren Nutzung für den Online-Handel. Im Interview erklärt er, was Händler ohne Eis jetzt im Sommer tun müssen, wie sich der Klimawandel auf den E-Commerce auswirkt und ob und wann der Kühlschrank irgendwann für uns die Getränke bestellt.
OnlinehändlerNews: Der Sommer ist da: Kann man übliche vermeintliche Verkaufsschlager prognostizieren, die immer wieder bei hohen Temperaturen gekauft werden?
Thomas Michahelles: Bei hohen Temperaturen sind natürlich klassische Sommerartikel wie Sonnencreme, Bademode, Eiscreme oder Grillprodukte sehr beliebt. Hinzu kommen Kaltgetränke aller Art. Interessanterweise gehört dazu auch Milch, wie wir in einem unserer Projekte herausgefunden haben. Bei Joghurt dagegen nimmt die Kaufbereitschaft bei steigenden Temperaturen ab. Das zeigt, dass selbst bei ähnlichen Produktkategorien Wettereffekte konträr ausfallen können.
So können Online-Händler im Sommer Umsätze optimieren
Was können Händler im Sommerloch tun, die derartige Produkte nicht im Sortiment haben? Spezielle Verkaufsaktionen etc.?
Ein großer Hebel, um auf die Wettereffekte der jeweiligen Produkte zu reagieren, liegt im Marketing. So können zum Beispiel Händler, deren Produkte keinen Absatz bei hohen Temperaturen finden, die Werbekosten dafür runterfahren und den Hahn erst dann wieder aufdrehen, wenn es wetterbedingt Sinn ergibt. Damit lässt sich einiges bewirken. Für einen großen Online-Händler haben wir beispielsweise die Produktempfehlungen auf den Shopseiten wetteroptimiert, was zu einer Steigerung der Klickrate um mehr als 23 Prozent geführt hat.
Welche Rolle spielen Wetterprognosen bzw. entsprechende Tools schon im Online-Handel? Gibt es ein besonders passendes Positiv-/Negativ-Beispiel?
Dass das Wetter einen großen Einfluss auf das Einkaufsverhalten hat, ist vielen Unternehmen bekannt und unbestritten. Einige vertrauen da aber noch ihrem Bauchgefühl, bei anderen wiederum kommen Wetterdaten bereits zum Einsatz – ob über die reine Datenanlieferung via Wetter-API (Application Programming Interface, Programmierschnittstelle) oder den Gebrauch von Prognosemodellen für die operative Planung. Auch Wetter-Targeting ist nichts Neues. Es gibt also viele Möglichkeiten, Prozesse mit Wetterdaten zu optimieren.
Wetter-Daten für Targeting und Prognose von Produktabsatz
Wie können kleinere Online-Händler das saisonale Wetter bzw. die Jahreszeiten noch besser nutzen, etwa beim Targeting und Co.?
Gerade im Online-Handel geht es ja darum, den Kunden zur richtigen Zeit mit dem richtigen Angebot anzusprechen. Wetter kann dabei eine entscheidende Hilfestellung leisten, da es in Kombination mit dem Standort wichtige Signale liefert, wie Kund:innen auf Werbung reagieren.
Zum Beispiel machen 20 Grad in München noch nicht wirklich Lust auf Eisessen, in Hamburg dagegen schon. Demnach würde es sich eher lohnen, in der Hansestadt Werbung für Eiscreme zu schalten als unten im Süden. Die Frage ist also, an welchem Ort lohnt es sich, Werbung auszuspielen? Eine Antwort darauf geben Produkt-Wetter-Indizes, die basierend auf Wetterdaten und Daten des GfK Consumer Panels eine Art Wettervorhersage für den Produktabsatz liefern. Vereinfacht ausgedrückt funktioniert das so: Erreicht der Index für das spezifische Produkt einen bestimmten Wert, wird Werbung ausgespielt. In einer Kampagne für den Online-Shop von Schiesser Bademoden konnten wir so die Klickrate um 70 Prozent erhöhen. Zudem wurde damit auch ein datenschutzkonformer und cookie-unabhängiger Targeting-Ansatz gefunden.
Wetter-Effekte sind je nach Produkt unterschiedlich
Gibt es eigentlich so etwas wie wetterbedingtes Frust-Shopping – z. B. bei Regen gehen die Umsätze in bestimmten Kategorien hoch? Oder andere beobachtbare Wetter-Effekte?
Hier fällt mir als erstes Schokolade ein, die vermehrt bei kühleren Temperaturen im Warenkorb landet. Ob das aber mit Frust zu tun hat, weil es draußen kalt und dunkel ist, kann ich nicht sagen. Denn Wetter-Effekte können je nach Produkt unterschiedlich ausfallen und sich ganz verschieden auf den Absatz auswirken. Wenn man sich das in der Grafik unten im Jahresverlauf – für 2021 und verglichen mit 2020 – exemplarisch für ein paar Produkte anschaut, kommt da schon einiges Interessantes zutage.
Hinweise zur Grafik
- Ein kaltes und graues Frühjahr 2021 ließ das Interesse an Gartenmöbeln schrumpfen.
- Klassische „Gut-Wetter-Produkte“ litten unter dem regnerischen Sommer 2021.
- Kühle Temperaturen fördern den Abverkauf von Schokolade.
Klimawandel und Probleme in der Logistik: Das können Online-Händler tun
Durch die globale Erwärmung wird es weltweit immer heißer. Was ergeben sich daraus für Folgen für den E-Commerce allgemein und die Händler?
Ich denke, dabei wird es vor allem um das Thema Logistik und Beschaffung gehen. Wetter-Extreme nehmen immer mehr zu. Das betrifft nicht nur Hitze und Dürre, sondern auch Starkregen und Überflutungen, was zu erheblichen Problemen im Warentransport führen kann. Zudem sind auch Sortimentsumstellungen denkbar. Nicht nur durch mögliche Lieferengpässe, sondern auch weil beispielsweise klassische Sommerprodukte viel länger vorrätig sein müssen.
Wie sehen Sie die Zukunft von wetter-geleitetem E-Commerce bzw. entsprechenden Technologien? Wird uns Alexa etwa bald zur Vorhersage gleich eine Kaufempfehlung geben etc.?
Zum einen glaube ich, dass aufgrund des Klimawandels das Wetter auch im Handel und E-Commerce eine immer größere Rolle spielen wird und es in naher Zukunft tatsächlich Tools braucht, mit denen man sich auf Extrem-Wetter-Ereignisse vorbereiten bzw. sich diesen anpassen kann. Zum anderen wird das Wetter sicher auch seinen Platz in den neuen consumer-orientierten Technologien haben.
Ich denke da zum Beispiel an Ambient Computing, der nächsten Stufe der Voice- und Smart-Home-Technologie. Dabei kommunizieren wir mit smarten Agenten wie Brillen, Lampen und anderen Gegenständen auf Basis von Blicken, Bewegungen, Verhaltensmustern und Wünschen, deren Kontext von der künstlichen Intelligenz um uns herum verstanden werden soll. Wenn es also draußen heiß wird, könnte der Kühlschrank unaufgefordert die nächste Getränkebestellung losschicken.
Vielen Dank für das Interview!
Über Thomas Michahelles: Thomas Michahelles ist seit 2020 bei wetter.com. Als Senior Manager Business Development B2B Data steuert er den Vertrieb und die Weiterentwicklung des Data-Solution-Angebots Meteonomiqs. Im Fokus stehen wetter- und geodatengetriebene Businesslösungen, mit denen sich Unternehmensprozesse optimieren und bisher unentdeckte Geschäftspotenziale heben lassen.
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