Normalerweise sind Einkäufe innerhalb von Unternehmen streng geregelt: Es gibt Prozesse, wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Büromaterial kommen, wie Reisetickets gebucht werden oder wie Computer-Hardware ausgetauscht wird. Hinter den Kulissen ist in vielen Unternehmen allerdings nicht immer eitel Sonnenschein. Immer wieder kommt es vor, dass Angestellte Bestellungen an den eigentlichen Bestellprozessen vorbei tätigen.
Warum das so ist, welche Konsequenzen drohen und weshalb Unternehmen dringend Maßnahmen gegen solche unberechtigten Einkäufe ergreifen sollten, erklärt Henning Hatje vom Procurement-Spezialisten Lhotse im Interview.
OnlinehändlerNews: Maverick-Buying – hört sich erstmal kompliziert an … Aber ist es auch ein gängiges Problem in der Praxis?
Henning Hatje: Ja, es ist tatsächlich ein sehr häufig auftretendes Problem. „Maverick Buying“ bezieht sich auf all die Beschaffungen innerhalb eines Unternehmens außerhalb der internen, standardisierten Beschaffungswege. Dies kann dann dazu führen, dass es beispielsweise eine zu hohe Anzahl an Lieferanten, fehlende Kostentransparenz und höhere Anschaffungskosten gibt, welche sich negativ auf das Unternehmen und dessen Ergebnis auswirken.
Da das Problem verteilt in der Organisation bei vielen einzelnen Mitarbeitern auftritt, ist es schwer, den einen „Lösungsweg“ zu finden.
So kommen unerlaubte Bestellungen zustande
Wie kommt es zum Maverick-Buying? Wo liegen die Gründe?
Generell findet Maverick Buying vor allem bei indirekten Produkten und Dienstleistungen statt. Einige Beispiele umfassen Wartung, Reparatur und Betrieb sowie Büromaterial, Hotelverträge, Reisen, Drucken, IT-Hardware und -Software.
Die Gründe dafür können vielfältig sein – es könnte sein, dass der Mitarbeiter die Beschaffungssoftware und -vorgaben des eigenen Unternehmens nicht kennt oder nicht darin geschult ist. Oftmals sind Einkaufssysteme für den unregelmäßigen Nutzer aber auch zu komplex und zeitaufwendig, wenn mal schnell etwas beschafft werden muss.
Wie und wann fällt auf, dass es im Unternehmen Fälle von Maverick-Buying gibt?
Das größte Indiz für Maverick Buying in einem Unternehmen sind zusätzliche Kosten aufgrund höherer Einkaufs- und Prozesskosten. Dabei handelt es sich meist um nachgelagerte Kosten, die durch zusätzliche manuelle Arbeiten wie die Registrierung neuer Lieferanten und die Verwaltung der wachsenden Anzahl von Lieferanten entstehen. Resultat davon sind nicht nur höhere Beschaffungskosten, sondern auch weniger Hebel gegenüber Lieferanten.
Konkret kann die Verbreitung von Maverick Spend auch über das Nachhalten verschiedener KPIs beobachtet werden – am gängigsten ist hier die Quote von Rechnungen, zu denen es eine Bestellung gibt. Je kleiner dieser Anteil, desto weiter ist Maverick Spend verbreitet.
Diese Kennzahl heißt konkret, dass ein Unternehmen Rechnungen erhält, ohne vorher eine Bestellung an den jeweiligen Lieferanten versandt zu haben, und es so gesehen keine „offizielle“ Beauftragung gab. Das hat natürlich noch viele Abschichtungen und viele Unternehmen schönen diese Zahlen auch, indem sie nachträglich noch den fehlenden Bestellbezug herstellen.
Immense Schäden durch Einkäufe außerhalb der Standard-Prozesse
Welche Folgen hat Maverick-Buying bzw. welche Schäden können entstehen?
In den meisten Unternehmen machen indirekte Produkte und Dienstleistungen bis zu 80 % der Kauftransaktionen und bis zu 40 % der Gesamtausgaben aus. Die größte Folge des Maverick Buying sind die einzelnen kleinen Verluste, die bei jeder Beschaffung bzw. Transaktion entstehen, welche sich häufen und am Ende des Tages zu einem beeindruckenden finanziellen Verlust führen können. Darüber hinaus entstehen auch für die Buchhaltung hohe zusätzliche Aufwendungen durch das Anlegen und Pflegen zusätzlicher Lieferanten.
Wie kann man als Unternehmen verhindern, dass Mitarbeiter oder Abteilungen eigenmächtig Bestellungen aufgeben?
Es gibt viele unterschiedliche Ansätze, doch eine hat sich in den letzten Jahren bewahrheitet: Die bekannteste und auch modernste Lösung ist die Implementierung eines digitalen Beschaffungssystems – es führt nicht nur zu weniger Einzelkäufen und mehr Transparenz bei den Ausgaben, sondern sorgt auch für erhebliche Einsparungen.
Intuitive Systeme sind wichtig
Die Zufriedenheit mit Beschaffungslösungen ist allerdings nicht automatisch gegeben. Einkäufer in Unternehmen werden zögern, die Lösung zu verwenden, wenn sie nicht intuitiv ist. Jeder Stakeholder soll die Lösung sofort nutzen können, egal ob Beschaffungsspezialist oder nicht.
An dieser Stelle arbeiten wir auch mit Lhotse. Denn letztlich ist intuitive und einfache Benutzererfahrung der Hebel, um Maverick Buying zu verhindern. Dafür bedarf es Prozessexperten und Produktentwickler, die das Problem aus Sicht der Bedarfsträger, die in der Regel nichts mit dem Einkauf zu tun haben, lösen. In diesem Sinne ist unser Ziel, den Beschaffungsprozess dabei so weit zu automatisieren und zu vereinfachen, dass sich die Nutzung nicht wie eine B2B-Software anfühlt, sondern wie eine Lösung, die Anwender auch für private Anschaffungen nutzen würden.
Aus Ihrer Expertensicht: Gibt es Fälle, in denen Maverick-Buying in Ordnung ist bzw. die in der Praxis toleriert werden, weil es sich beispielsweise um Führungskräfte bzw. Abteilungschefs handelt?
Manchmal sind Mitarbeiter gezwungen, die vorgegebenen Prozesse zu umgehen. Dafür kann es mehrere Gründe geben. Einer könnte sein, dass Produkte oder Dienstleistungen noch nicht vom Beschaffungsteam definiert wurden und daher nicht über offizielle Prozesse verfügbar sind. Und ja, in der Tat sind natürlich Kreditkartennutzung von Führungskräften streng genommen „Maverick Spend“ – hier handelt es sich in der Regel aber um Reise- und Bewirtungskosten, bei denen es verständlicherweise nicht immer einen vorgegebenen Prozess gibt.
Ein weiterer Grund könnte sein, dass kurzfristig wichtige Ersatzteile, beispielsweise in der Produktion, beschafft werden müssen. In solchen Fällen ist es nur logisch, die Produktionslinie nicht unnötig warten zu lassen, bis ein ordnungsgemäßer Prozess durchlaufen wurde. Hier schlägt natürlich die Wichtigkeit von „Business Continuity“ die Maverick Buying Quote.
Über den Interviewpartner Henning Hatje
Henning Hatje ist einer der drei Gründer des 2020 gegründeten Procurement-Unternehmens Lhotse. Bei Lhotse ist Henning für Kunden und Partnerschaften verantwortlich. Zuvor war er mehrere Jahre Management Consultant bei der Boston Consulting Group und hat DAX30 Unternehmen & Konzerne zu strategischen Themen im Einkauf, Compliance sowie Digitalisierung beraten.
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