Ob Kleidung tragen und zurücksenden oder sich mehrfach anmelden für Rabattcodes – vom arglistigen Ausnutzen von Geschäftsbedingungen können viele Händlerinnen und Händler ein Lied singen. Doch der so genannte Policy Abuse – der Missbrauch von Geschäftsbedingungen – ist schwer nachzuweisen und die Rechtslage schwammig.
Eyal Elazar ist Policy-Abuse-Experte beim auf Betrugsschutz spezialisierten SaaS-Dienstleister Riskified. Im Interview mit OnlinehändlerNews erklärt er, was Policy Abuse ist und wie man sich vor diesem schützen kann.
Der Vertrauensverlust kann der Kundenbeziehung schaden
OnlinehändlerNews: Was konkret ist Policy Abuse? Welche Schäden können Händlern dabei entstehen?
Eyal Elazar: Policy Abuse liegt vor, wenn reguläre, zahlende Kunden gegen die Geschäftsbedingungen eines Einzelhändlers verstoßen - in der Regel mit dem Motiv, Geld zu sparen oder zu verdienen. Das ist zwar nicht dasselbe wie herkömmlicher Betrug, hat aber ähnliche Folgen für die Einzelhändler. Die Händler haben in beiden Fällen einen finanziellen Schaden und einen erhöhten Bearbeitungsaufwand zu beklagen. Viel schwerer wiegt jedoch das resultierende Misstrauen, an dem eine Kundenbeziehung zerbrechen kann.
Der Verbrauchertrend, mehr und mehr online einzukaufen, wurde durch die Covid-19-Pandemie beschleunigt und der Missbrauch von Richtlinien der Händler hat damit massiv zugenommen. Es gibt mehrere Arten von Policy Abuse, zum Beispiel Wiederverkauf, Rückerstattungen, Rücksendungen und Werbecodes. Ähnlich wie bei traditionellen Betrugsversuchen ist auch beim Policy Abuse eine proaktive, bewusste Strategie notwendig, um sich als Einzelhändler abzusichern und zu schützen.
Welche Richtlinien laden besonders zum Missbrauch ein und auf welche Art und Weise werden sie ausgenutzt?
Am häufigsten werden Erstattungs- und Rückgabebedingungen ausgenutzt. Der Kunde sagt dann zum Beispiel fälschlicherweise, dass ein Artikel nicht zugestellt wurde. So hofft er, die Kosten erstattet zu bekommen – also nichts für den Artikel zu bezahlen – oder das Produkt kostenfrei noch einmal zu erhalten.
Gegenmaßnahmen könnten ehrliche Kunden verprellen
Beim „Wardrobing“ wiederum handelt es sich um eine Warenbestellung, die mit dem festen Vorsatz ausgeführt wird, die Ware nur für eine begrenzte Zeitdauer zu nutzen, um sie dann unter Berufung auf das Widerrufsrecht gegen volle Kaufpreiserstattung zurückzugeben. Häufig haben Händler auch mit dem – in den Richtlinien meist untersagten – Weiterverkauf gefragter Artikel zu kämpfen. In diesem Fall kauft der Kunde – im schlimmsten Fall mithilfe verschiedener (fiktiver) Identitäten – eine größere Menge begehrter Artikel, wie zum Beispiel Eintrittskarten zu Konzerten und Sportveranstaltungen, um sie dann über entsprechende Marktplätze zu höheren Preisen anzubieten.
Gegenmaßnahmen, wie strengere Rückgaberichtlinien oder Versand nur gegen Vorkasse, können hier allerdings schnell nach hinten losgehen, da sie sich negativ auf das reibungslose Einkaufen der KundInnen auswirken. Damit riskieren Händler den Verlust bislang treuer Kunden – oder schrecken sogar potenzielle Neukunden ab.
So ist laut einer aktuellen Umfrage des Marktforschers IDC eine kundenfreundliche Rückgaberegelung für 24 Prozent der Verbrauchenden entscheidend, um sich für einen Anbieter zu entscheiden – oder eben auch nicht. Händler müssen sich daher die folgende Frage stellen: Lohnt es sich, wegen eines einzigen erkannten Missbrauchs einer Richtlinie 100 mögliche Kunden zu verprellen oder nehme ich lieber die Kosten in Kauf, um dann an anderer Stelle mehrfach zu profitieren?
Den Betrug nachzuweisen gestaltet sich oft schwierig
Handelt es sich bei Policy Abuse um Betrug im rechtlichen Sinne? Und können Händler rechtliche Schritte einleiten, um betreffende Kundinnen oder Kunden zu sperren?
Policy Abuse findet in einer rechtlichen Grauzone statt. Bei gestohlenen Kreditkartendaten ist die Lage klar: Diebstahl ist strafbar. Aber wenn ein Kunde sich die Schlupflöcher in den Geschäftsbedingungen eines Händlers zunutze macht, ist das kein Verbrechen im herkömmlichen Sinn. Wie viel Policy Abuse toleriert wird und welche Konsequenzen folgen, müssen die Händler selbst entscheiden.
Schließlich müsste er das Missverhalten bzw. die Absicht dahinter erst einmal beweisen. Wie bereits erwähnt, gilt es hier abzuwägen, welchen Wert die Kundenbeziehung für den Händler auf Dauer hat. Bei einem regelmäßigen Kunden, bei dem einmal der Verdacht entsteht, er habe die Richtlinien missbraucht, könnte der Händler es daher auf sich beruhen lassen und beschließen, die Dinge weiter zu beobachten.
Anders läge der Fall bei umfangreichen betrügerischen Aktivitäten, wie zum Beispiel dem Weiterverkauf von Luxusartikeln oder Eintrittskarten. Hier sind unter Umständen härtere Maßnahmen angebracht, weil der Schaden den Nutzen, den der Kunde bringt, übertrifft. Mittlerweile gibt es entsprechende Technologien und Tools, die bei der Erkennung von Policy Abuse helfen können. Sie liefern zudem aussagekräftige Daten, mit deren Hilfe der Händler die sinnvollsten Entscheidungen für sein Unternehmen treffen kann.
Händler müssen sich ihrer Verantwortung bewusst sein
Was können Händler tun, um sich im Vorfeld zu schützen?
Auf der einen Seite sind bewährte Technologien und Methoden gegen Betrug auch im Kundenumfeld hilfreich, um dem Missbrauch von Richtlinien vorzubeugen. Genauso wichtig ist es allerdings, die eigenen Richtlinien auf ihre Eindeutigkeit zu überprüfen, um erst gar keine Schlupflöcher entstehen zu lassen. Möglicherweise sind die Formulierungen so schwammig, dass bei den Kunden gar kein Unrechtsbewusstsein aufkommt.
Händler müssen sich hier ihrer Verantwortung bewusst sein und klare, eindeutige Regeln formulieren. In jedem Fall ist es wichtig, sich mit Hilfe verschiedener Datenpunkte in Echtzeit ein umfassendes Bild der Personen hinter den Online-Interaktionen zu machen. Ebenso können gesammelte Informationen anderer Händler und allgemeine gesellschaftliche Trends hilfreich sein. Entscheidend ist dabei, das richtige Maß zwischen Prävention und Vertrauen in den Kunden zu finden, um mögliche Verluste und Gewinne auszubalancieren.
Auf Amazon gilt es, Fingerspitzengefühl zu beweisen
Amazon hat soeben neue Rückgaberichtlinien angekündigt, bei denen viele Händler einen massiven Anstieg an Missbrauch befürchten. Wie schätzen Sie diese Situation ein?
Gemäß den neuen Richtlinien von Amazon hängt die Erstattung der Versandkosten vom Grund der Rücksendung ab. Man weiß jedoch, dass kostenfreie Rücksendungen auf der Liste der Verbraucher ganz oben stehen. Die Befürchtung liegt daher nahe, dass die meisten Kunden bevorzugt Gründe nennen bzw. suchen werden, die ihnen eine kostenfreie Rücksendung garantieren.
Es dürfte schwierig werden, nachzuweisen, dass ein Grund vorgeschoben ist. Außerdem sind seitens Amazon keine Gegenmaßnahmen vorgesehen, um einen vorliegenden oder vermuteten Missbrauch zu ahnden. Hier ist viel Fingerspitzengefühl gefragt, da die Händler erstens nicht ihre Geschäftsbeziehung mit Amazon aufs Spiel setzen wollen und zum anderen auf diesem Marktplatz stark von den Bewertungen ihrer Kunden abhängen und unzufriedene Kunden revanchieren sich schnell mal mit einer negativen Bewertung.
Vielen Dank für das Gespräch!
Eyal Elazar ist Head of Product Marketing und Experte für das Thema Policy Abuse beim SaaS-Dienstleister Riskified. Mit ihrer Betrugsschutzsoftware hilft das Unternehmen E-Commerce-Anbietern weltweit, sich sicher aufzustellen.
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