Kundenbindung im Online-Handel, wenn der nächste Mitbewerber nur einen Klick entfernt ist, stellt viele Unternehmen vor große Herausforderungen. Die Käufer dann auch noch zu Fans der eigenen Marken zu machen, ist laut Dr. Ferri Abolhassan, Geschäftsführer Sales & Service bei der Telekom, die Königsdisziplin.
Im Interview erklärt der Fachmann und Autor des kürzlich erschienen Buchs „Kundenliebe“, wie man Kunden bei der Stange hält, warum die Gewinnmaximierung nicht an erster Stelle stehen sollte und wie viel Kundenbindung mit Liebe zu tun hat.
Fans geben Empfehlungen aus tiefster Überzeugung
OnlinehändlerNews: Herr Dr. Abolhassan, wie wichtig ist Kundenbindung für ein Unternehmen?
Dr. Ferri Abolhassan: Gerade heute, wo das Angebot an Produkten und Services immer vielfältiger wird, ist Mund-zu Mund-Propaganda von unschätzbarem Wert. Die Menschen vertrauen sehr häufig den Weiterempfehlungen aus ihrem Bekanntenkreis, wenn sie zwischen verschiedenen Angeboten wählen können. Wir bei der Telekom streben darum nicht nur zufriedene Kunden an, wir wollen sie begeistern, zu Fans machen. Denn Fans stehen auch in schwierigen Phasen loyal zu ihrem Unternehmen, bleiben diesem oft ein Leben lang treu und empfehlen es aus tiefster Überzeugung Familie, Freunden und Bekannten weiter. Solche Kunden verlängern regelmäßig ihre Abonnements oder Verträge und sind offen für neue, zusätzliche Produkte. Sie wechseln nicht bei den kleinsten Problemen den Anbieter. Fans eines Unternehmens oder einer Marke kommen immer wieder und sind oft über den gesamten Kundenlebenszyklus hinweg loyal.
Was können Unternehmen tun, um die Kundenbindung zu stärken?
Für Unternehmen gibt es nichts Wertvolleres als gute Beziehungen mit ihren Kunden zu führen. Dafür ist es bedeutend, die Bedarfe der Kunden permanent im Fokus zu haben. Was möchte mein Kunde? Was sind seine Ziele, Träume, Wünsche? Und dann diese Bedarfe konsequent erfüllen – und besser als es andere tun. So können Unternehmen die Beziehung zu ihren Kunden pflegen und aufrechterhalten – und gewinnen deren Zuneigung und Anerkennung – wie in einer richtigen Beziehung.
Sie sprechen davon, dass die Telekom ihre Kunden zu Fans machen möchte. Das ist dann die höchste Stufe der Kundenbindung, oder?
Absolut! Um Kunden zu Fans zu machen, müssen alle Rädchen perfekt ineinander greifen: die Motivation und Haltung des gesamten Teams, deren Fachlichkeit, die Effizienz der Prozesse und die Performance der technischen Plattformen. Vor allem kommt es auf die Haltung an: Zeigt das Unternehmen aufrichtiges Interesse und Verständnis dem Kunden gegenüber? Denn nur mit ehrlich empfundener Empathie, fachlicher Kompetenz und absoluter Hingabe gelingt es, Kunden zu begeistern, ihr Herz zu berühren und sie zu Fans zu machen. Das ist in der Tat die Königsdisziplin der Kundenbindung. Es gibt Unternehmen, die bereits daran scheitern, ihre Kunden zufriedenzustellen.
„Nur was ich gerne tue, mache ich auch gut!”
Wie können Unternehmen sicherstellen, dass sie die Bedürfnisse und Erwartungen ihrer Kunden verstehen?
Mein Motto lautet: Hör den Menschen zu, dann weißt Du, was zu tun ist! Klingt banal, ist aber durch nichts zu ersetzen. Das erlebe ich jedes Mal, wenn ich unsere Shops besuche, an der Line mithöre oder im Außendienst mitfahre. Im persönlichen Austausch mit den Kunden wächst das Verständnis von ihren Wünschen und Problemen von Mal zu Mal. Aber es gibt natürlich auch wissenschaftliche Methoden wie z. B. die Limbic Map: Mit der Limbic Map hat der Psychologe und Philosoph Hans Georg Häusel eine Landkarte entwickelt, die Unternehmen hilft, sich in der Welt der Emotionen zurechtzufinden. Denn 70 bis 80 Prozent unserer Kaufentscheidungen fallen unbewusst, also emotionsgesteuert. Mit der Limbic Map können Firmen ihre Marken und Produkte besser positionieren und ihre Zielgruppen besser identifizieren und abholen. Man kann aus ihr also ableiten, wie Kunden ticken.
Sie setzen bei der Telekom auch den Net Promoter Score ein. Was hat es damit auf sich?
Um die Zufriedenheit ihrer Kunden beziehungsweise deren Begeisterung zu messen, können Unternehmen auf den Net Promoter Score, kurz NPS, zurückgreifen. Erfunden hat ihn der amerikanische Berater Fred Reichbeld. Mithilfe des NPS lässt sich messen, wie groß die Kundenliebe ist, und ob Kunden ein Unternehmen oder eine Marke aus Überzeugung weiterempfehlen würden. Dazu gibt es eine relativ simple Befragung aus drei Fragen: In der ersten Frage sollen Kunden auf einer Skala von eins bis zehn angeben, wie wahrscheinlich es ist, dass sie das Unternehmen weiterempfehlen würden.
Die zweite und dritte Frage jedoch sind noch interessanter für Unternehmen, denn hier werden Kunden gebeten, ihren Score mit eigenen Worten zu begründen und zu erläutern, inwiefern Verbesserungsmöglichkeiten für das Unternehmen bestehen. Bei uns ist der NPS seit 2022 eine ganz zentrale Messgröße, neben der Lösung im ersten Kontakt und der Conversion Rate. Sie zeigt uns, ob wir unsere Kunden mehr und mehr zu Fans machen. Und da sind wir tatsächlich auf einem sehr guten Weg!
Welche Rolle spielen persönliche Erlebnisse, um aus Kunden Fans zu machen?
Eine ganz zentrale! Darum versuchen wir, die Anliegen unserer Kunden möglichst bereits im ersten Kontakt vollständig zu lösen, mit ganz viel Wissen, Freundlichkeit und Empathie. Darum bauen wir die Fachlichkeit unserer Teams kontinuierlich aus, z. B. über individuelle, KI-basierte Coachings. Zudem ist Spaß wichtig: Nur was ich gerne tue, mache ich auch gut! Jeder, der im Kundenkontakt steht, sollte für sein Unternehmen und seine Tätigkeit brennen. Auch eine positive Atmosphäre ist wichtig! Denn die Stimmung des Beraters oder Verkäufers überträgt sich auch auf den Kunden. So kann aus einer kleinen Flamme ein riesiges Leuchtfeuer entstehen – oder eben nicht.
Darum gehören Kundenbedürfnisse an die erste Stelle
Was sind die größten Fehler beim Thema Kundenbindung?
Den Kunden nicht zu lieben! Wir können nicht erwarten, dass uns unsere Kunden lieben und weiterempfehlen, wenn wir dies nicht andersrum auch tun. Statt die Gewinnmaximierung an die erste Stelle zu setzen, müssen wir unsere Kunden und deren Bedürfnisse priorisieren. Für uns als Telekom heißt das zum Beispiel, dem Kunden an der Hotline möglichst bereits im ersten Call weiterzuhelfen – auch, wenn das Gespräch dann länger dauert und uns mehr kostet. Am Ende des Tages ist das sinnvoll investierte Zeit, weil der Kunde begeistert ist und nicht ein zweites oder drittes Mal anrufen muss. Darum stellen wir das Kundenbedürfnis an erste Stelle. Unsere Prozesse, Strukturen und Erfolgsmessungen sind darauf ausgerichtet, dass sich die Kunden verstanden und geliebt fühlen, dass wir stets in ihrem Interesse handeln. Das gelingt uns noch nicht immer, aber immer öfter.
Was ist schwieriger: Neue Kunden zu gewinnen oder Kunden zu halten?
Kunden zu gewinnen ist heutzutage sehr schwierig. Aber Kunden dauerhaft zu halten, ist noch schwieriger. Der nächstbeste Anbieter ist im Internetzeitalter nur einen Mausklick entfernt. Und wie bereits anfangs erwähnt, sehnen wir Menschen uns nach Liebe, Anerkennung und einer glücklichen Beziehung. Doch die Anfangseuphorie einer neuen Beziehung ist oft schnell verflogen. Dann guckt man auch mal links und rechts. Hier heißt es nun handeln, um die Zuneigung aufrechtzuerhalten. Dies gilt sowohl für eine Beziehung zwischen zwei Menschen als auch für Kundenbeziehungen. Unternehmen müssen viel Zeit und Energie investieren, um ihre Kunden langfristig zu begeistern und an sich zu binden. Denn Unternehmen mit einer treuen Kundenbasis sind grundsätzlich resilienter: Weniger Kundenabwanderung bedeutet stabile Umsätze, mehr Planbarkeit und größeren finanziellen Spielraum, um in neue Trends und Technologien investieren zu können.
Welche Rolle spielt die Personalisierung von Produkten und Dienstleistungen bei der Kundenbindung?
Der Bereich der Mass Customization, also die individuelle Anpassung eines Produkts nach den Wünschen und Vorlieben eines Kunden, bietet großes Potenzial. Nehmen wir etwa mymuesli – einen der Pioniere der Mass Customization: Hier können Fans von Frühstückscerealien aus rund 80 Bio-Zutaten ein Müsli ganz nach ihrem persönlichen Geschmack mischen lassen.
Das Beste aus zwei Welten
Inwiefern können auch digitale Medien und Technologien zu einer nachhaltigen Kundenbeziehung beitragen?
Kein Kunde möchte ewig in Warteschleifen hängen, ständig weitergereicht werden oder ungelöste Anliegen. Für besten Kundenservice nutzen wir daher eine Vielzahl neuer Technologien – auch mit KI an Bord. Wir haben z. B. unsere „MagentaView“, eine Software, die eine vollständige Kundenansicht bietet. So können unsere Mitarbeitenden direkt die Kundenhistorie sehen, gezielter weiterhelfen und beraten. Daneben bauen wir auf unseren KI-Chatbot „Frag Magenta“, den wir schon vor sieben Jahren eingeführt haben und der immer mehr einfache Anliegen automatisiert löst – 24/7. Auch Self Service-Apps wie MeinMagenta ergänzen unser Angebot an verschiedenen Zugangswegen zu unserem besten Service. Wir wollen unseren Kunden letztlich das Beste aus zwei Welten bieten: Den persönlichen Kontakt von Mensch zu Mensch, aber auch schnelle technische Lösungen zu jeder Uhrzeit. Auf einen intelligenten Mix kommt es hierbei an.
Welche Trends und Entwicklungen gibt es derzeit im Bereich Kundenbindung, auf die Unternehmen achten sollten?
Wie erwähnt, verändert sich unsere Welt rasend schnell. Neue Technologien wie KI, Augmented Reality oder Virtual Reality bieten viel Potenzial, um ein ganz neues Kundenerlebnis zu schaffen – zum Beispiel im E-Commerce. Laut dem Report „Future of Shopping“ könnten 42 Prozent der globalen Retouren aus Online-Einkäufen von Kleidung vermieden werden, wenn AR während des Einkaufs angeboten würde. Damit schaffen Unternehmen nicht nur ein neues Kundenerlebnis, sondern helfen gleichzeitig dabei, etwas für die Umwelt zu tun – was ja wiederum auch ein wichtiger Punkt für Kunden in der Auswahl von Unternehmen und Marken ist. Der Durchbruch von AR und VR im Massenmarkt ist bisher noch nicht da. Doch die Bekanntheit und der Nutzen steigen stetig weiter, genauso wie die Verbreitung von KI-Anwendungen, davon bin ich fest überzeugt.
Vielen Dank für das Gespräch!
Über den Autor:
Dr. Ferri Abolhassan ist Geschäftsführer Sales & Service der Telekom. Als promovierter Informatiker startete er seine berufliche Karriere in der Forschung und Entwicklung von Siemens. Anschließend war er in verschiedenen Top-Management-Positionen bei SAP, IDS Scheer und T-Systems tätig. Abolhassan ist zudem Mitglied im Digitalisierungsrat der saarländischen Landesregierung und Aufsichtsratsvorsitzender des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) sowie Herausgeber zahlreicher Fachbücher.
Mit seinem neuen Buch „Kundenliebe“ gibt er Einblicke in die Bedeutung und das Management von erfolgreichen Kundenbeziehungen. In Gastbeiträgen und Interviews teilen nationale und internationale Experten aus unterschiedlichen Branchen und Bereichen ihre Erfahrung über den erfolgreichen Aufbau von langfristigen Kundenbeziehungen. Das Buch unterstreicht dabei die Bedeutung einer durchgängigen Kundenorientierung an allen Touchpoints – weit über den Vertrieb und Kundenservice hinaus – und präsentiert innovative Ansätze und Trends im Bereich Sales und Service.
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