Wie sehen die E-Commerce-Märkte innerhalb von Europa aus? Wie gestalten sich die Situationen in den unterschiedlichen Ländern? Wir wollen das wissen und sprechen mit den E-Commerce-Verbänden des europäischen Dachverbands Ecommerce Europe, in dem der Händlerbund den deutschen Online-Handel vertritt. Zum Auftakt unserer neuen Serie blicken wir nach Norden: Oula Järvinen vom finnischen E-Commerce-Verband Kauppa.fi steht uns Rede und Antwort.
(Bildquelle Finnland-Flagge: CGinspiration via Shutterstock)
OnlinehändlerNews: Was zeichnet die finnische E-Commerce-Industrie und das Online-Kundenverhalten aus?
Oula Järvinen: Der finnische E-Commerce ist wesentlich weniger konsolidiert als der in großen europäischen Ländern. Wir haben keinen klaren Marktführer, wie etwa Amazon, unter den Plattformen. Große B2C-Plattformen sind in Finnland nicht aktiv. Es gibt rund 10.000 Online-Shops, von denen die meisten sehr klein sind und einen Markt von über fünf Millionen Kunden bedienen. Die größten Shops werden von den größten stationären Handelsketten betrieben. Einige ausländische Anbieter, darunter Zalando, betreiben aggressives Marketing in Finnland und können in ihren Bereichen auch Marktanteile gewinnen. Lebensmittel-Händler sind in der Regel auch online vertreten und bieten einen Liefer- sowie einen „Click & Collect“-Service in den meisten Städten an. Das Handelsvolumen ist trotzdem noch sehr klein: Lediglich 0,5 Prozent der Lebensmittelumsätze werden so abgewickelt.
Knapp unter zehn Prozent des gesamten Handelsumsatzes werden online erwirtschaftet. Davon fallen 40 Prozent auf ausländische Shops mit grenzüberschreitender Lieferung. Der Anteil an mobilen Verkäufen liegt etwas unter dem Anteil in anderen nord- und zentraleuropäischen Ländern. Ich vermute, dass die meisten ausländischen Shops durch Google entdeckt werden und nicht durch Werbung auf sich aufmerksam machen. Da der Anteil an internationalen Bestellungen so hoch ist, sind die Erwartungen an die Lieferzeit moderat. Während ausländische Händler den Großteil im Bereich Kleidung und Mode ausmachen, werden Elektronikartikel vor allem von finnischen Unternehmen verkauft. Die Kunden wählen den Händler dabei vor allem wegen des Preises aus.
Durch die Rechtslage haben sich im finnischen E-Commerce zwei Sonderfälle entwickelt. Erstens spielt die Åland-Region eine besondere Rolle. Die Inselgruppe zwischen Finnland und Schweden befindet sich außerhalb des EU-Zollraums und weswegen die meisten Lieferungen mit niedrigem Wert (unter 22 Euro) von dort aus verschickt werden, um so die Mehrwertsteuer zu vermeiden. Aus diesem Grund hat sich auf den Åland-Inseln eine beträchtliche „Export“-Logistik entwickelt. Zweitens ist der Online-Verkauf von Alkohol in Finnland verboten – der Alkohol, der im Internet gekauft wird, wird also von anderen europäischen Ländern, vor allem aus Estland, importiert.
Abgesehen vom Online-Handel sind die Finnen begeisterte Nutzer von Online-Diensten. Online-Banking war zum Beispiel bereits vor dem Aufkommen des World Wide Web, Anfang der 90er, verfügbar und andere Dienste, wie etwa Ticket-Verkäufe, waren schon früh fast komplett online. E-Government ist weitgehend implementiert – die Bürger können also ihre Gesundheitsdaten online einsehen, Ausweise, Pässe und Sozialversicherungen im Internet beantragen und auch ihre Steuererklärung online abgeben. Mobile-Shopping ist zwar noch nicht allzu weit verbreitet, aber der Nutzungsgrad des mobilen Internets gehört zu den höchsten weltweit. Das beruht auf drei Faktoren: Die Regierung hat den Ausbau der High-Speed-Netze vorangetrieben (3 und 4G „überall“), die Netze sind durch die geringe Einwohnerdichte kaum überlastet und Flatrates für mobiles Internet sind sehr günstig.
Was sind die größten Herausforderungen, vor denen finnische Online-Händler stehen?
Die größte Herausforderung von einem makro-ökonomischen Standpunkt aus gesehen, ist, dass die meisten finnischen Händler die ausländischen Märkte nicht bedienen, während ausländische Händler Finnland als Zielmarkt erschlossen haben oder zumindest beliefern. Deshalb gibt es mehr Importe als Experte, was die „Online-Handels-Balance“ negativ beeinflusst. Betrachtet man einen einzelnen Shop, dann sind die Verkäufe deswegen oft so gering, dass keine Investition in Usability, SEO, Marketing etc. erfolgen kann. Das bringt ein „Henne-und-Ei“-Problem für das Wachstum. Die Absicht, einen großen Markt sofort zu bedienen, ist sehr selten, obwohl wir einige gute Beispiele für internationale oder weltweite Händler haben.
Auf der anderen Seite stehen finnische Händler in Sachen Vertrauen vor keiner Herausforderung. Die Betrugsraten sind niedrig, Finnland ist kein prozessfreudiges Land und das Kreditrisiko kann leicht bewältigt werden.
Welche Marktplätze und Plattformen werden in Finnland am häufigsten genutzt?
Wie schon eingangs erwähnt, gibt es keine großen aktiven B2C-Plattformen im Markt. Die Finnen shoppen aber gerne auf englischen Seiten, also können Amazon und Ebay einen gewissen Marktanteil für sich behaupten. Amazon setzt beispielsweise drei Prozent des Handelsvolumens bei Mode und sechs Prozent bei Elektronikartikeln um. Ebay ist der zweitgrößte Marktplatz für Sport-Equipment – mit einem Marktanteil von neun Prozent.
Es gibt zwei große C2C-Plattformen, tori.fi und huuto.net (letzte war ursprünglich eine Auktions-Seite). Weil diese so beliebt sind, geben sich einige kleine Unternehmen als private Verkäufer aus und nutzen diese Kanäle zum Verkauf.
Vor welchen Herausforderungen stehen ausländische Online-Händler, wenn sie in den finnischen Markt einsteigen wollen?
Neben der Sprache ist die größte Herausforderung sicherlich die kleine Marktgröße. Die Kaufkraft der Kunden ist recht hoch, aber in letzter Zeit nimmt sie aufgrund der schlechteren wirtschaftlichen Lage ab. Es gibt aber nicht viele marktspezifischen Voraussetzungen. Auch ein Geschäft auf Englisch zu betreiben, ist möglich. Die meisten Kunden sind durchaus bereit, auf Englisch einzukaufen, wenn es nötig ist. Die Lieferzeiten aus dem Ausland sind aufgrund der Distanz oft länger, aber die Lieferkosten sind hier niedriger als eine Lieferung innerhalb Finnlands.
Wie hoch ist die Retourenquote in Finnland?
Dazu gibt es keine statistischen Daten, aber ich glaube, in den meisten Bereichen ist die Retourenquote mit zwei bis zehn Prozent überschaubar. In einigen Bereichen, wie etwa Mode, kann die Quote bis zu 50 Prozent betragen. Zudem variiert die Retourenquote sehr stark zwischen einzelnen Shops. Es scheint also möglich zu sein, die Retourenquote durch ein Service-Angebot niedrig zu halten.
Über Oula Järvinen
Oula Järvinen hat einen Master of Science des Wirtschaftsingenieurwesens und wurde nach 15 Jahren im Bereich Softwaretechnologie-Management zum Managing Director von eCommerce Finnland berufen. Zudem ist er als Senior Adviser bei der Finnischen Commerce Federation aktiv.
Weitere Informationen zum finnischen E-Commerce-Markt erhalten Sie auf der Verbandsseite von Kauppa.fi.
Unsere Reihe zum E-Commerce in Europa:
Finnland - Der Markt der kleinen Händler
Italien - Der Markt der geringen Retourenquote
Tschechien - Der Markt des günstigsten Anbieters
Kommentar schreiben