In dieser Woche kamen Berichte auf, dass Amazon seine Kundenrezensionen erweitern und einen neuen Anstrich verleihen will. Dabei soll – zumindest nach heutigem Kenntnisstand – das bewährte und seit einigen Jahren nahezu unveränderte System nicht unbedingt komplett revolutioniert, sondern vielmehr erweitert werden. Zukünftig sollen sogenannte „Experten-Artikel“, also Rezensionen von anerkannten Persönlichkeiten – beispielsweise aus dem Blogger-Bereich – die Meinungstexte ergänzen. Das bedeutet, dass ausgewählte Personen, die sich in ihrem Bereich aufgrund ihrer Expertise einen Namen gemacht haben, ihre Gedanken zu einem bestimmten Produkt beziehungsweise zu einer Gruppe von Produkten niederschreiben und diese insbesondere mit ihren Worten bewerten.
Gefahr der Beweihräucherung
Auf den ersten Blick muten diese Experten-Artikel äußerst überflüssig an. Amazon wird wohl kaum einen ABC-Prominenten schlecht über ein Produkt berichten lassen, wodurch die Gefahr von ständigen Lobhudeleien fast schon ein kalkulierbares Faktum zu sein scheint und die Meinung dieser Quasi-Experten nicht unbedingt dazu beiträgt, ein Produkt qualitativ bewerten zu können.
Dennoch ist dieser Schritt von Amazon aus Sicht des Unternehmens richtig und wichtig. In gewisser Form reagiert der Online-Händler – vielleicht etwas verspätet – auf ein modernes Phänomen, das fast schon zwangsläufig als Leitbegriff der aktuellen Generation genannt werden muss: Authentizität. Während in den 90ern unnahbare Boy-Bands von ihren Fans angehimmelt wurden, sind es mittlerweile vermeintlich erreichbare Vorbilder, die heutzutage das Feld anführen. Stichwort: "Youtube-Stars".
Phänomen Youtube als Vorbild der Experten-Artikel?
Und genau hier könnte Amazon mit seinen Experten-Artikeln ansetzen. Die Zielgruppe vertraut in den entsprechenden Bereichen und Produktkategorien auf ihre Idole. Wenn also die Fashion-Youtuberin Dagi Bee ein neues Beauty-Produkt in eines ihrer Videos anpreist, steigt die Wahrscheinlichkeit explosionsartig in die Höhe, das ihre zahlreichen Fans genau dieses auch haben wollen. Wieso sollte das nicht auch in schriftlicher Form funktionieren?
Genau das gleiche Produkt wie eine selbst erkorene Leitfigur zu besitzen, rückt Fan und Vorbild ein Stück näher zusammen, denn letzterer macht sich dadurch greifbar und zu „einem von ihnen“ – eben authentisch. Dieses Prinzip lässt sich auf sämtliche Produktkategorien anwenden und beschränkt sich nicht unbedingt auf Lifestyle-Artikel, auch wenn sich diese im Vergleich natürlich hervorragend anpreisen lassen.
© TechCrunch - Screenshot
Authentizität als Markenbindung
Authentizität wird durch die Experten-Artikel aber auch auf einer anderen Ebene erzeugt: Ähnlich wie bei den Youtube-Videos können auch die Texte dafür sorgen, dass das jeweilige Produkt unter anderem als „verlässlich“ von den Kunden anerkannt wird. Der Duden umschreibt Authentizität mit „Echtheit“, Glaubwürdigkeit“, „Sicherheit“, „Verlässlichkeit“, „Wahrheit“ und „Zuverlässigkeit“. Alles Begriffe, die ziemlich eng miteinander in Verbindung stehen und die eine Bindung zum Produkt aufbauen, sobald sie erfüllt werden. Der Konsument setzt sein komplettes Vertrauen in das, was er kennt, was von seinem Vorbild empfohlen wurde und sich nach dem Kauf auch als bewährt herausgestellt hat. Wieso dann überhaupt noch zu einer anderen Marke wechseln?
Dabei ist zusätzlich eine mögliche Darstellungsform der Texte ebenso als modern anzusehen, wie das Authentizitäts-Phänomen. In dem von TechCrunch genannten Beispiel ging es um „8 Grundlagen für Weinliebhaber“, also eine Auflistung von angeblich elementarem Wissen beziehungsweise in anderen Fällen Produkten. Hier wird mit den Kenntnisstand des Leser und potenziellen Käufers gespielt. Getreu dem Motto: Ohne diese Produkte fehlen dem Kunden wichtige Bestandteile, um auf dem entsprechenden Gebiet auf dem Laufenden zu sein oder womöglich sogar selbst zukünftig eine anerkannte Expertise aufzubauen. Die Folge: der Kauf der (fehlenden) Waren.
Natürlich sind diese Auflistungen bereits seit Langem auf Amazon vorzufinden und wurden bisher von konventionellen Kunden erstellt. Wenn auch Prominente dieses Muster nutzen, erhalten diese Listen eine ganz andere Gewichtung. Hier kommt abermals der Faktor „Expertise“ zum Tragen, denn dadurch wird den darin vorkommenden Punkten weitaus mehr Beachtung geschenkt, als wenn diese von Konsumenten zusammengestellt wurden, deren Fachwissen für den Leser unbekannt ist.
Fazit: Experten-Artikel bereichern Produktbeschreibungen
Das Vorbild Youtube und das Authentizitätsphänomen werden also mithilfe der Experten-Artikel von einer audio-visuellen auf die schriftliche Ebene transferiert, die teilweise die Gestalt einer Auflistung annehmen. Vielleicht schafft es Amazon sogar in irgendeiner Form, nicht nur auf Produktlobpreisungen zu setzen und auch kritische Stimmen zuzulassen. Dann würden die Experten-Artikel eine hervorragende Ergänzung zu den etablierten Kundenrezensionen darstellen, die Produktbeschreibungen qualitativ erheblich erweitern und massiv für Kaufkraft sorgen.
Kommentar schreiben