Deutschland steht am Scheideweg. Alle Branchen stehen unter dem Druck, sich schneller und flexibler an Marktveränderungen anpassen zu müssen. Wer sich abschottet, verliert. Das zeigt sich gerade im E-Commerce, der von scharfem Wettbewerb und sich permanent wandelnden Kundenbedürfnissen geprägt ist.
Business-Ökosysteme dagegen ermöglichen es Unternehmen, durch Partnerschaften mit Technologieunternehmen, Plattformanbietern und Start-ups innovative Lösungen schneller umzusetzen und neue Märkte zu erschließen. Beispiele wie Apples App Store oder Amazon zeigen, wie ein starkes Partnernetzwerk die Innovationskraft und den Marktwert steigern kann. Doch der inflationäre Gebrauch des Begriffs führt oft zu Verwirrung und überzogenen Erwartungen.
Worauf müssen sich also Unternehmen einstellen, wenn sie ein Business-Ökosystem anstoßen oder einem bestehenden beitreten möchten?
Das Fundament: Ökosystem-Konzepte verstehen
Erfolgreiche Business-Ökosysteme erfordern ein klares Verständnis ihrer Eigenschaften, Chancen und Grenzen. In der Wirtschaft existieren derzeit fünf Ökosystem-Konzepte: Produkt-, Industrie-, Wissens-, Plattform- und Innovations-Ökosysteme. Nur die letzteren beiden sind allerdings echte Konzepte mit betriebswirtschaftlicher Relevanz.
Plattform-Ökosysteme nutzen Netzwerkeffekte: Je mehr Anbieter aktiv sind, desto attraktiver wird die Plattform für Kunden. Je mehr Kunden die Plattform nutzen, desto attraktiver wird diese wiederum für Anbieter – ein sich selbst verstärkender Kreislauf entsteht. Erfolgsfaktoren sind eine kritische Masse an Nutzern und eine klare Governance. So können Plattformen nachhaltig wachsen und Marktdominanz erlangen. Erfolgreiche Beispiele aus Deutschland sind Zalando und die B2B-Handelsplattform für KfZ-Zubehör Alzura Tyre24, die über 2.000 Lieferanten und 40.000 Händler zu ihrem Netzwerk zählt.
Synergieeffekte mit Innovations-Ökosystemen
Innovations-Ökosysteme sind Netzwerke, die sich auf ein innovatives Angebot durch komplementäre Waren und Dienstleistungen auszeichnen. Sie ermöglichen Innovationen, die über die internen Möglichkeiten der beteiligten Akteure hinausgehen und werden dabei durch ein orchestrierendes Unternehmen gesteuert.
Ein Beispiel ist das Schweizer Start-up Tailored-Fits: durch die Zusammenarbeit von Experten für Biomechanik, 3D-Druck und Softwareentwicklung entstehen individuelle 3D-gedruckte Sohlen für Sportschuhe. Im Gegensatz zu Plattform-Ökosystemen streben Innovations-Ökosysteme nicht primär Wachstum an, sondern schaffen Innovationen durch eine enge Zusammenarbeit von Partnern.
Best Practices für erfolgreiche Business-Ökosysteme
Neben Grundlagenwissen erfordert der erfolgreiche Aufbau eines Business-Ökosystems eine sorgfältige strategische Planung und klare Prioritäten. Mit welchen Schritten kann man also den Weg hin zu einem erfolgreichen Netzwerk schaffen? Die folgenden fünf Faktoren basieren auf Fallstudien von über 40 Ökosysteminitiativen und vielfacher Projekterfahrungen:
1. Strategische Vorbereitungen
Ökosystem-Initiativen scheitern oft, wenn sie ohne klares Ziel gestartet werden. Viele Unternehmen möchten ein Ökosystem um des Trends willen aufbauen, ohne die Chancen und Risiken zu kennen. Plattform-Ökosysteme bieten zwar das Potenzial für Marktdominanz, erfordern jedoch langfristige Marketing- und Entwicklungsaktivitäten mit Risiken.
Innovations-Ökosysteme fördern Innovationen jenseits der eigenen Fähigkeiten, erzeugen jedoch starke Abhängigkeiten und sind komplex in der Koordination. Im ersten Schritt müssen Interessierte daher die Chancen und Risiken der verschiedenen Ökosystem-Konzepte sowie den Grund für ihre Anwendung klar verstehen.
2. Langen Atem beweisen
Ein Ökosystem aufzubauen, braucht Zeit. Gleichzeitig scheitern viele Initiativen oder erleiden Rückschläge. Dies erfordert das Rückgrat des Top-Managements, das die nötigen Änderungen und Entscheidungen entschlossen und mit Überzeugung vorantreiben sollte.
3. Das Kundenproblem erkennen und lösen
Die allererste Frage muss allerdings lauten, welches Kundenproblem die Initiative lösen soll. Unternehmen müssen kritisch hinterfragen, ob ihr entsprechender Business Case ausreichend vielversprechend ist, um die Herausforderungen der Ökosystem-Konzepte zu kompensieren. Das Wertversprechen des Business-Ökosystems muss dessen organisatorische und monetäre Herausforderungen deutlich überwiegen.
4. Organisation und feste Zuständigkeiten
In Ökosystemen gibt es feste Rollen für die Partner, wie die Kundenschnittstelle, den Orchestrator oder die Modullieferanten. Entscheidend ist, dass die Akteure fähig und bereit sind, ihre Aufgaben zu erfüllen. Weniger Rollen zu übernehmen, bedeutet auch ein geringeres Risiko und niedrigere Investitionen, jedoch potenziell auch einen kleineren Ertrag und weniger Einfluss. Hier sollten Unternehmen sehr bewusst abwägen.
5. Das richtige Maß für das Partnernetzwerk
Partner kann man durch einen starken Business-Case und einen klaren Umsetzungsplan überzeugen, basierend auf einem überzeugenden Wertversprechen. Je nach Ökosystem-Konzept empfiehlt sich ein unterschiedliches Vorgehen. Im Innovations-Ökosystem steht am Anfang zunächst die Integration des wichtigsten Partners und die Anpassung des Wertversprechens.
Im Plattform-Ökosystem geht es um die schnelle Integration vieler Partner, um Skalierung und Netzwerkeffekte zu erreichen. Ein Anforderungsprofil hilft,
wichtige Eigenschaften des potenziellen Partners wie Kompetenz, Ressourcen und Motivation einzuordnen. Dem Orchestrator fällt dabei eine wichtige Rolle zu: Er muss die potenziellen Partner gründlich sondieren, um eine valide Einschätzung darüber zu erhalten, welche Ressourcen diese jeweils einbringen werden oder können.
Die Umsetzung von Business-Ökosystemen ist komplex und erfordert ein starkes Wertversprechen, Investitionen und strukturelle Anpassungen. In diesem Überblick wurden die wesentlichen Erfolgsfaktoren aufgezeigt. Im Onlinehandel sichern Netzwerkeffekte den Unternehmen Marktvorteile, während Innovations-Ökosysteme auch kleinen Firmen durch disruptive Geschäftsmodelle und Synergien Wettbewerbsvorteile bieten. Wer klare Ziele, Innovationsmut und starke Partner mitbringt, kann es in der Retail-Branche zum Innovationstreiber schaffen.
Über den Autor
Prof. Dr. Bernhard Lingens ist Experte und Senior Manager Innovation and Ecosystems bei Detecon Schweiz. Er hat einen Doktor in Innovationsmanagement von der Universität St. Gallen und einen Master of Science in Maschinenbau und Betriebswirtschaft.
Aktuell leitet er außerdem den Innovationsbereich am IMA der Universität Luzern, ist Adjunct Associate Professor an der Aalborg Business School und Research Affiliate an der Universität St. Gallen. In seinem Buch „Business Ökosysteme verstehen, aufbauen und managen“ vertieft er die hier angerissene Materie.
Über Detecon International
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Artikelbild: http://www.depositphotos.com
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