Das kann doch nicht wahr sein?! In unserer Reihe „Tatort: Warenkorb“ gehen wir Kuriositäten, Mysterien, Betrügereien und anderen seltsamen oder gar kriminellen Vorkommnissen in der Welt des Online-Handels einmal genauer auf den Grund.
Es ist ein sonniger Spätherbsttag in dem kleinen Bekleidungsgeschäft der Händlerin Alma S., an dem sie, wie so oft, ihre übliche Paketlieferung entgegennimmt. Diesmal hat der Paketbote nicht nur Warenlieferungen, sondern mal wieder eine Retoure dabei. Denn die Händlerin betreibt neben ihrem stationären Geschäft einen dazugehörigen Online-Shop.
Rücksendungen sind in ihrer Branche selten ein Grund zur Freude, doch sie gehören selbstverständlich zum Business dazu. Mal passt was oder gefällt etwas nicht, mal gibt es mit der gelieferten Ware Probleme. Wenn ein Shop beispielsweise eine falsche Größe versendet, obwohl eine andere bestellt wurde, dann ist es ein klassischer Gewährleistungsfall: Verkäufer:innen sind verpflichtet, für diesen Mangel geradezustehen und etwa das falsch gelieferte durch das bestellte Produkt zu ersetzen. Nach so einem Fall sieht es zunächst auch in der folgenden Geschichte aus. Doch je genauer Händlerin Alma diese Retoure prüft, desto mehr Ungereimtheiten fallen ihr auf – das Etikett ist seltsam, die Ware im Bestand passt nicht dazu und die Kommunikation mit der Kundin wird immer skurriler … Alma ist wahrscheinlich Ziel eines ausgeklügelten Betrugsversuchs, der sie schließlich viele Nerven kosten wird.
Retourengrund: „Falsche Größe“
Doch von Anfang an: Eine Kundin, nennen wir sie Marion G., bestellt in Almas Online-Shop eine rote Kinderjacke. Kurz nachdem die Ware bei ihr eintrifft, ruft sie die Shop-Betreiberin an. Diese habe ihr die falsche Größe gesendet. Marion drängt auf eine umgehende Erstattung und klagt: „Ich brauchte die Jacke schnellstmöglich! Jetzt musste ich wegen Ihrer falschen Lieferung meiner Tochter schon eine Jacke in der Stadt kaufen.“ Marion sendet die Ware zurück. Und da es sich allem Anschein erstmal um einen Gewährleistungsfall und keinen Widerruf handelt, trägt Alma die Versandkosten.
Diese Sendung trudelt jetzt bei Alma ein. Routiniert macht sie sich an deren Überprüfung. Siehe da, das Etikett an der Jacke weist tatsächlich eine deutlich kleinere Größe (Größe 98) aus als jene, die Marion bestellt hat – eine 134. Die Händlerin überprüft ihr Lager und stutzt: Sie hat die gleiche Kinderjacke, die ihr zurückgesendet wurde, noch in derselben Größe da. Das bringt Alma ins Grübeln. Ihr Geschäft hat einen gut sortierten, aber überschaubaren Bestand. Oft hat sie verschiedene Farbvarianten und davon jede Größe einmal vorrätig – so auch in diesem Fall. Jetzt war die zurückgesandte Größe doppelt da. Wie kann das sein?
Die erste Theorie: Ein falsches Etikett an der Ware
Alma malt sich verschiedene Möglichkeiten aus, wie es zu der Verwechslung gekommen sein könnte. „Stimmen vielleicht Jackenlabel und der Aufdruck auf dem Etikett nicht?“, denkt sie und nimmt das angehängte Etikett unter die Lupe. Da entdeckt sie eine weitere Ungereimtheit: Zwar ist der Preis korrekt, doch der aufgedruckte Barcode folgt nicht demselben Muster, das sie für ihre Bestandsverwaltung nutzt.
Das bringt die Händlerin auf eine weitere Idee, um die Größe der ursprünglich versandten Jacke zu überprüfen: Für den Versand wiegt sie alle ihre Pakete vorab und das jeweilige Sendungsgewicht ist aufs Gramm genau im Geschäftskundenportal von DHL registriert. Sie legt nun die Jacke in Größe 134, die sie in einer anderen Farbvariante vorrätig hat, auf die Waage und vergleicht deren Gewicht mit dem Gewicht der Jacke in der kleineren Größe, die mit der Retoure zurückkam. Und siehe da, das Gewicht der größeren Jacke stimmt mit dem jener Bestellung überein, die sie damals an Marion G. verschickt hatte.
Alma ist sich nun sicher: Die Jacke aus der Retoure ist nicht ihre Jacke.
Die zweite Theorie: Eine Verwechslung
Die Händlerin konfrontiert ihre Kundin mit den bereits gesammelten Fakten per E-Mail. Marion meldet sich daraufhin telefonisch und räumt ihr Versäumnis ein: „Ja, ich habe zwei Jacken in verschiedenen Shops bestellt. Meine Haushaltshilfe ist wirklich nicht zu gebrauchen!“, meckert sie. „Sie sollte die Jacken zurücksenden und hat da offensichtlich die Shops vertauscht“, behauptet Marion.
Also alles nur ein Missverständnis? Weit gefehlt … es folgen unzählige weitere Telefonate. So beharrt Marion darauf, dass ihr die Händlerin die Kosten für die Jacke erstattet und will die Retourengebühr nicht übernehmen – trotz ihres eigenen Fehlers!
Marion appelliert an die Kulanz der Händlerin, betont erneut, dass sie bereits Ausgaben für den Kauf der neuen Jacke aus der Stadt hatte und schlägt vor, Alma könne einfach die falsche Jacke in der kleineren Größe in ihrem Shop weiterverkaufen. Für die Händlerin kommt das aus wirtschaftlichen Gründen nicht infrage. „Ich erstatte selbstverständlich den Preis der Jacke aus meinem eigenen Bestand, wenn ich diese wieder zurückerhalte“, erklärt Alma.
Die dritte Theorie: Das war Absicht
Alma gibt nicht nach. Schließlich einigen sich beide darauf, dass Marion den anderen Shop kontaktieren will, an den die „unfähige Hausangestellte“ versehentlich Almas Jacke versandt haben will. Marions widersprüchliche Angaben bereiten Alma zunehmend Kopfzerbrechen. „Seltsam, dass die Kundin im anderen Shop eine Größe 98 und bei mir eine Größe 134 bestellt haben will – es liegen schließlich noch fünf Kindergrößen dazwischen. Und normalerweise würde man doch eher verschiedene Größen im selben Shop erwerben und anderswo eher ein ganz anderes Modell. Warum hat sie mich extra angerufen, dass ich die falsche Größe geliefert habe, wenn sie doch nicht wissen konnte, dass ihre Angestellte die Ware vertauscht hat und nur eine Erstattung möchte? Und warum erzählt sie immer wieder, dass ihre Tochter jetzt eine Jacke aus der Stadt trägt?“, überlegt sie. Ihr Verdacht: Marion könnte ihr absichtlich die viel zu kleine Jacke von einem anderen Shop geschickt haben. Aber aus welchem Grund? Das soll sie im nächsten Kontakt mit Marion herausfinden …
Ein gezielter Betrugsversuch
Der andere Shop habe Almas Jacke an Marion zurückgesendet, meldet sich ihre Kundin zurück. Marion will Almas Jacke aber nun „plötzlich“ doch behalten – obwohl sie ja angeblich schon eine andere in der Stadt erworben hatte. „Na sowas“, denkt sich Alma und ist sich jetzt sicher, dass ihre dritte Theorie stimmt. Das Motiv dahinter kann eigentlich nur der Preis sein, vermutet sie. Sie recherchiert und findet Online-Shops, in denen dasselbe Modell ebenfalls angeboten wird – stark reduziert und nur in kleinen oder größeren Ausführungen vorrätig. Keine ungewöhnliche Praxis, denn einzelne Randgrößen werden oft vergünstigt abverkauft.
Nach dieser Recherche vermutet Alma einen gezielten Betrugsversuch, bei dem tatsächlich zwei Shops im Spiel sind: Marion erwirbt die günstige, aber viel zu kleine Jacke in einem anderen Online-Shop. Bei Alma kauft sie die richtige Größe für ihre Tochter. Sie widerruft die Bestellung bei Alma aber nicht einfach. Damit Marion die richtige Jacke behalten kann, schickt sie Alma die falsche Größe zu und verlangt den vollen Kaufpreis zurück. Außerdem unterstellt sie Alma einen Fehler, sodass das Gewährleistungsrecht greift und sie sogar noch die Retourengebühren spart. Mit der Geschichte, dass sie längst eine andere Jacke in der Stadt gekauft hat, will sie dann verhindern, dass ihr die Händlerin im Sinne des Gewährleistungsrechts die richtige Größe zusendet.
Dass Marion Almas Jacke jetzt behalten will, passt ins Bild. Denn ihre Tochter trägt die Jacke wahrscheinlich längst.
Mit mieser Masche Miese gemacht
Doch damit nicht genug. Nachdem ihre Masche bei Alma nicht geklappt hat, will Marion sich jetzt natürlich wenigstens den reduzierten Kaufpreis zurückholen. Und war mit möglichst wenig Aufwand: Die Händlerin soll die falsche Jacke einfach an den anderen Shop senden. Damit würde Marion zumindest die Versandkosten sparen.
Alma lehnt die Rücksendung an den anderen Shop aber ab. Sowohl aus Haftungsgründen als auch, weil sie in der Zwischenzeit die Retoure längst verpackt, an Marion adressiert und frankiert hat. Allerdings ist Marion bei diesem Vorschlag ungeahnt ein wesentlicher Fehler unterlaufen: Sie hat Alma nämlich schon die Adresse des Shops gegeben, an den die Retoure gehen sollte. Die Händlerin schaut sich deshalb im fremden Shop um und hat nun den Beweis: Die Jacke wird dort in Randgrößen zum halben Preis angeboten. Obendrein sind Retouren in dem Shop kostenpflichtig.
Ganz felsenfest kann Alma natürlich nicht untermauern, dass die Kundin hier einen Betrugsversuch unternommen hat. Doch immerhin haben diese Tatsachen das dubiose Verhalten und die zahlreichen Geschichten der Kundin letztlich erklärt. Alma sendet die zu kleine Jacke nun zu Marion und verlangt daraufhin sowohl die Gebühren für diese Sendung als auch für die ursprüngliche Retoure. Ihre Kundin begleicht die Rechnung – und hat mit ihrem Versuch, durch die Trickserei günstiger wegzukommen, letztlich ziemlich Miese gemacht: Sie zahlt den vollen Kaufpreis und dreifache Portokosten.
Zwischen Kulanz und Gesetz
Rein rechtlich ist Alma mit ihrer Reaktion auf der richtigen Seite: Als Händlerin ist sie bei einem normalen Widerruf dazu verpflichtet, den gezahlten Kaufpreis unverzüglich zurückzuerstatten. „Streng genommen hat die Kundin den Widerruf jedoch nicht eindeutig erklärt. Stattdessen hat sie auf das Gewährleistungsrecht gepocht, um ihr die falsche Größe unterzujubeln und die Retourengebühren zu sparen. Doch der Gewährleistungsfall hat nie bestanden, denn Alma hat mitbekommen, dass sie die richtige Jacke wie bestellt in Größe 134 geschickt hat. Der Kaufvertrag war also gültig und hat nach wie vor Bestand“, erläutert Yvonne Bachmann, Juristin und Expertin für IT-Recht bei OHN. Die Portokosten darf sie der Kundin per Gesetz ebenfalls in Rechnung stellen – denn immerhin hat diese ja den „Fehler“ begangen, die Ware zu vertauschen.
Dennoch hat sich Alma im Nachhinein mehrfach gefragt, ob sie richtig gehandelt hat oder was sie noch hätte tun können. Sie hätte natürlich kulant sein und das Ganze auf sich beruhen lassen können – und sich damit sicherlich viel Zeit und Ärger gespart. Dennoch findet Alma die Masche der Kundin extrem dreist. Sie hat sogar darüber nachgedacht, den Betrugsversuch anzuzeigen. Das ließ sie jedoch aus Sorge vor einer negativen Bewertung bleiben.
Wie hättet ihr reagiert? Und wärt ihr so lange drangeblieben wie Alma? Diskutiert gern mit in den Kommentaren oder auf Instagram!
Ihr habt auch einen unglaublichen Fall mit Kund:innen, Dienstleistern, Lieferanten oder Plattformen erlebt, der erzählt, analysiert oder weiter verfolgt werden sollte?
Redaktioneller Hinweis: Die Namen der beteiligten Personen wurden für diese Geschichte geändert, um die Anonymität der beiden Parteien zu wahren.
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