Nachdem die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY im Wirecard-Fall stark in die Kritik geraten war, erklärte sie nun, wie die wohl nicht-existierenden 1,9 Milliarden Euro in der Bilanz des Zahlungsdienstleisters lange nicht auffielen. Gleichzeitig erheben die Wirtschaftsprüfer schwere Vorwürfe gegen Wirecard und sprechen von einem ungewöhnlichen Ausmaß des Betrugs.
„Es gibt deutliche Hinweise, dass es sich um einen umfassenden Betrug handelt, an dem mehrere Parteien rund um die Welt und in verschiedenen Institutionen mit gezielter Täuschungsabsicht beteiligt waren“, erklären die Wirtschaftsprüfer dem Spiegel zufolge.
EY habe im Rahmen der Abschlussprüfung für das Geschäftsjahr 2019 entdeckt, dass gefälschte Saldenbestätigungen und weitere gefälschte Unterlagen für die Treuhandkonten vorgelegt worden seien. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die zu den vier großen internationalen Buchprüfungsgesellschaften gehört, habe das den zuständigen Behörden, dem Unternehmen und seinem Aufsichtsrat gemeldet.
Das Ausmaß des Betrugs erkläre auch, wieso dieser EY nicht aufgefallen war. „Konspirativer Betrug, der darauf abzielt, die Investoren und die Öffentlichkeit zu täuschen, geht oft mit umfangreichen Anstrengungen einher, systematisch und in großem Stil Unterlagen zu fälschen“, heißt es in der Mitteilung von EY. Es sei unter Umständen „auch mit umfangreich erweiterten Prüfungshandlungen“ nicht möglich, diese Art von Betrug aufzudecken.
Kritik an EY und der Bafin
Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft hatte die Jahresabschlüsse von Wirecard jahrelang testiert, ohne etwas zu beanstanden. Nun stehen die Prüfer in der Kritik, weil sie die mutmaßliche Manipulation der Bilanz, die Wirecard nun vorgeworfen wird, nicht früher entdeckt haben.
Ähnliche Kritik wird auch gegen die Bafin erhoben: Die Oppositionsparteien sprechen von einem „immensen“ Image-Schaden für den deutschen Finanzstandort. „Es ist unverständlich, warum die Bafin nicht schon viel früher aktiv geworden ist und längst eine Sonderprüfung veranlasst hat, statt kritische Stimmen zu ignorieren“, so Lisa Paus, finanzpolitische Sprecherin der Grünen, laut Spiegel.
Erste Anschuldigungen gegen Wirecard waren vor mehr als einem Jahr erhoben worden. Damals berichtete die Financial Times über mögliche Bilanzmanipulation bei dem Zahlungsdienstleister, die Bafin vermutete dahinter aber illegale Aktivitäten von Börsenspekulanten, die den Aktienkurs des Unternehmens durch die Berichterstattung stürzen wollten.
Wirecard-Aktie verliert 98 Prozent an Wert
Das Bundesfinanzministerium wolle nun die Kompetenzen der Bafin erweitern. Gleichzeitig kündigte Finanzstaatssekretär Jörg Kukies gegenüber dem Nachrichtenportal The Pioneer an, prüfen zu wollen, „was schiefgelaufen ist“. Die Möglichkeiten der Bafin, gegen Unternehmen wie Wirecard einzuschreiten, könnten nicht ausreichen: „Wir müssen überlegen, ob die Möglichkeiten der Bafin einzuschreiten, ausreichen. Ob Unternehmen wie die Wirecard AG, die ja effektiv Finanzdienstleistungen erbringt, nicht auch in ihrer Gesamtheit auch als Finanzdienstleister beaufsichtigt werden können“, so Kukies.
Der Aktienkurs von Wirecard hat derweil weiter an Wert eingebüßt, nachdem das Unternehmen am Donnerstag Insolvenz beantragt hatte. Die Aktie wurde daraufhin für 60 Minuten vom Handel ausgesetzt und verlor anschließend zeitweise 80 Prozent seines Werts. Zwischenzeitlich sackte das Wertpapier auf 2,50 Euro ab.
Damit hat die Wirecard-Aktie seit dem erneuten Verschieben der Bilanzvorlage und dem Eingeständnis, dass die fehlenden 1,9 Milliarden Euro womöglich gar nicht existieren, rund 98 Prozent an Wert verloren.
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