Einen Monat nach den Wahlen zum Europäischen Parlament haben sich die Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten am 2. Juli in einem überraschenden Kompromiss auf fünf Namen für die höchsten EU-Posten geeinigt. Besonders die Besetzung der Präsidentschaft der Europäischen Kommission sorgte für kontroverse Diskussionen. Hatten die europäischen Parteigruppen ihren Wahlkampf noch mit je einem eigenen Spitzenkandidaten für die Kommissionspräsidentschaft geführt, setzten sich die Mitgliedstaaten über diese informelle Regelung hinweg und nominierten die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) für das höchste Amt innerhalb der Union. Am 16. Juli muss sie vom Europäischen Parlament bestätigt werden.
Die zweite Überraschung war die Nominierung der französischen IWF-Chefin Christine Lagarde, die der konservativen EVP-Fraktion zugeordnet wird, als neue Direktorin der Europäischen Zentralbank. Als Gleichgewicht zum neuen konservativen Spitzenpersonal haben die Mitgliedstaaten den sozialdemokratischen Italiener David Maria Sassoli als Parlamentspräsidenten empfohlen, den das Parlament am 3. Juli bestätigte. Der spanische Außenminister Joseph Borrell, ebenfalls aus der sozialistischen S&D-Fraktion, soll im Oktober zum EU-Chefdiplomat gewählt werden. Bereits im Amt bestätigt ist dagegen der neue Präsident des Europäischen Rats, dem Gremium der europäischen Staats- und Regierungschefs: Der liberale Ex-Premierminister Belgiens, Charles Michel, wird ab Dezember den Treffen der europäischen Oberhäupter vorsitzen.
Spitzenkandidaten scheitern an Mitgliedstaaten
Für Unmut und Zündstoff sorgte besonders die Berufung von der Leyens. Der Wahlkampf der europäischen Fraktionen war auf die eigenen Spitzenkandidaten für den Kommissionsvorsitz ausgerichtet, doch dieser Prozess basierte nie auf formellen Regelungen und stieß auf Ablehnung einiger Mitgliedstaaten. Die aussichtsreichsten Spitzenkandidaten Manfred Weber (EVP, DEU) und Frans Timmermans (S&D, NL) wurden nacheinander von Frankreich und Italien sowie den euroskeptischen Regierungen aus Ungarn, Polen, Tschechien und der Slowakei blockiert. Anschließend einigten sich die Regierungschefs ohne Gegenstimme auf die Nominierung von der Leyens, die von Emmanuel Macron vorgeschlagen wurde.
Die Zustimmung des EU-Parlaments ist nicht garantiert
In Stein gemeißelt ist ihre Wahl durch das Parlament am 16. Juli allerdings nicht. Die Stimmen der EVP-Fraktion und der liberalen RE-Fraktion sollten von der Leyen zwar sicher sein, doch die Art der Kompromissfindung hat für Irritationen bei Parlamentariern und Beobachtern gesorgt. So sprach Ska Keller, die Vorsitzender der Grünen-Fraktion im EU-Parlament, von einem „Hinterzimmerdeal”, Sigmar Gabriel (SPD) von „politischer Trickserei”. Zahlreiche Kommentatoren beklagten einen Rückschlag für die Demokratie der EU. Die europäischen Sozialisten zeigen sich bereit, den Kompromiss der Regierungen mitzutragen. Doch gerade die deutschen SPD-Abgeordneten und die europäischen Linksparteien haben bereits Ablehnung angekündigt. Wie Politico berichtet, sind die Grünen bislang kritisch, könnten aber zustimmen, sollte ihnen in Aussicht gestellt werden, dass sie mindestens einen der offenen Kommissarsposten in einem wichtigen Ressort erhalten.
Einen Stimmungstest des Parlaments zum Regierungskompromiss ließ sich bereits bei der Wahl des Parlamentspräsidenten am 3. Juli beobachten. Sassoli, Nutznießer der Absprache von Konservativen und Sozialisten, erzielte nur eine knappe Mehrheit – mit deutlich weniger Stimmen als gedacht. Auch deshalb reiste von der Leyen unmittelbar nach ihrer Nominierung nach Brüssel, um mit Vertretern aller Fraktionen zu sprechen und für sich als Kommissionspräsidentin zu werben. Weitere Informationen zu den Entwicklungen in der EU sind im Bericht des europäischen Dachverbandes Ecommerce Europe vom Juli 2019 nachzulesen.
Kommentar schreiben