Boris Johnson hat sich im parteiinternen Wettstreit um den Parteivorsitz der Konservativen gegen seinen Kontrahenten Jeremy Hunt durchgesetzt. Damit wird er automatisch zum neuen Premierminister Großbritanniens. Die aktuelle Regierungschefin Theresa May wird morgen am 24. Juli bei Queen Elizabeth II. ihren Rücktritt einreichen, damit Johnson von der Königin vereidigt werden kann.
Seit Mays Rücktrittsankündigung am 24. Mai war vorerst Ruhe rund um den Brexit eingezogen. Für die EU und die Briten war diese Pause vom chaotischen, dramatischen und lauten Streit darüber, wie der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union verlaufen soll, wahrscheinlich nötig. Hoffentlich haben alle Seiten diese temporäre Ruhephase zur Erholung genutzt, denn ab heute geht der Trubel wieder los. Boris Johnson gilt als unberechenbar und hat seinen Wahlkampf um den Parteivorsitz vor allem darauf gestützt, dass er Großbritannien notfalls auch ohne Abkommen aus der EU führen werde. Die Auswirkungen eines solchen No-Deal-Brexits sind schwer vorhersehbar und umstritten.
Chaos und Angst bestimmen den Brexit-Prozess
Die letzten neun Monate im Brexit-Gerangel lassen sich kaum verständlich nachzeichnen. Mehrfach verschobene Abstimmungs- und Austrittstermine, geplatzte Abstimmungen, unzählige Ministerrücktritte und eine tief gespaltene konservative Regierungspartei, in der persönliche Machtambition das hauptsächliche Motiv zu schein scheint, haben zu allerlei absurden Momenten in der britischen Politik geführt. Daher ist der Blick in die Gegenwart einfacher:
1) Der Brexit-Termin wurde vom 23. März auf den 31. Oktober 2019 verschoben.
2) Umstrittenstes Thema ist der sogenannte Backstop an der irischen Grenze: Sollte der Brexit ungeregelt ablaufen, besteht die Möglichkeit, dass einige Handelsregeln des Binnenmarkts weiter bestehen, um den Handel auf der irischen Insel zu schützen. Würden EU-Handelsregeln für Nordirland weiter bestehen, bestehen sie de facto für das ganze Königreich. Brexit-Hardliner fordern deswegen die Streichung des Backstops aus dem Ausstiegsvertrag.
3) Boris Johnson wird Großbritannien laut seinem Wahlkampf am 31. Oktober mit oder ohne Deal mit der EU zum Brexit führen. Den Backstop will er beseitigen.
4) Die EU hat keinerlei Bereitschaft signalisiert, das mit May geschlossene Abkommen inklusive Backstop verändern zu wollen.
5) Die größte Sorge der Konservativen sind Neuwahlen, denn dann stünden die Chancen gut, dass Oppositionsführer Jeremy Corbyn zum Premierminister wird. Eine Vorstellung, die für die Konservativen schlimmer zu sein scheint als ein ungeordneter Brexit.
Thank you all for the incredible honour you have done me. The time for campaigning is over and the time for work begins to unite our country and party, deliver Brexit and defeat Corbyn. I will work flat out to repay your confidence
— Boris Johnson (@BorisJohnson) July 23, 2019
Verhärtete Fronten auf allen Seiten
Durch die Ernennung eines neuen Premierministers wird wieder Bewegung in den Brexit-Prozess gelangen. Nur in welche Richtung es gehen wird, ist aktuell nicht absehbar. Die Bestrebungen der Brexit-Hardliner um Boris Johnson treffen auf den Unwillen der EU, das bestehende Abkommen zu verändern. So verlangt die Union, dass die Einigung endlich im britischen Parlament akzeptiert wird, was bisher nicht abzusehen ist. Doch auch ein No-Deal-Brexit würde von Bevölkerung und Parlament in Großbritannien nicht gebilligt werden. Von Seiten der oppositionellen Labour-Partei wird in den nächsten Wochen Neuwahlen gefordert werden, denen die Tories wohl kaum entgegenkommen wollen. Ex-Premierminister Tony Blair sieht ein zweites Referendum als wahrscheinlichste Entwicklung in dieser Blockade. Was auch immer passiert: In den nächsten Monaten wird uns der Brexit in seiner Komplexität wieder regelmäßig beschäftigen.
Johnson’s No Deal Brexit would mean job cuts, higher prices in the shops, and risk our NHS being sold off to US corporations in a sweetheart deal with Donald Trump.
— Jeremy Corbyn (@jeremycorbyn) July 23, 2019
The people of our country should decide who becomes the Prime Minister in a General Election.
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